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Honji Wang und Sébastian Ramirez.

© Filine Fink/Promo

Compagnie Wang Ramirez bei "Tanz im August": Das Schweben genießen

Das Choreografen-Duo Honji Wang und Sébastien Ramirez ist mit einem Mix aus Hip-Hop, Ballett und Kampfkunst erfolgreich.

Von Sandra Luzina

Sie treten an den großen Theatern in Paris und London auf und wurden sogar schon mit dem New Yorker „Bessie Award“ ausgezeichnet. Das Choreografen-Duo Wang Ramirez ist international erfolgreich, doch in Berlin kennen sie bislang nur Insider. Dabei ist die Hauptstadt ihr Lebensmittelpunkt, hier haben Honji Wang, Deutsche koreanischer Abstammung, und Sébastien Ramirez, Franzose mit katalanischen Wurzeln, sich 2004 auch kennengelernt. Doch noch sind sie beide in ihrer Wahlheimat berühmte Unbekannte. Das soll sich nun ändern: Das Festival „Tanz im August“ präsentiert die Deutschlandpremiere ihres Gruppenstücks „Everyness“ – und danach wird das Berliner Publikum den beiden bestimmt zu Füßen liegen.

Zum ersten Mal sind sie sich im Jugendzentrum Antenne in der Friedrichstraße begegnet, wo sich die Underground-Hip-Hop-Szene trifft. Wang ging jeden Tag dorthin, um als Autodidaktin Breakdance-Techniken zu trainieren. In Frankfurt am Main, wo sie aufgewachsen ist, hat sie bis zum 15. Lebensjahr klassisches Ballett am Konservatorium studiert. „Ich wollte Primaballerina in einem weißen Tutu werden“, erzählt Wang beim Gespräch im Café Olive in Mitte und lacht. Doch dieser Mädchentraum zerplatzte, als die Lehrer ihr sagten, ihr Körper sei eher für modernen Tanz geeignet. Also hing sie die Spitzenschuhe an den Nagel. Doch in ein schwarzes Loch fiel sie nicht. Denn da war ja noch der Hip-Hop, für sie nicht nur eine Musik, sondern ein Lifestyle. So hat sie dann zum Breakdance gefunden.

Die Einheit in den Unterschieden

Wenn man sie fragt, ob es schwer ist, als Frau akzeptiert zu werden in der männlich dominierten Hip-Hop-Szene, schaut sie verwundert. Das werde sie seltsamerweise öfter gefragt, erzählt Wang. Aber es gehe nur um die Fähigkeiten, die man sich als Tänzer erwirbt, und nicht um Geschlechterfragen. Auch die Herkunft sei in der Hip-Hop-Community egal, wirft Ramirez ein. Sie sei offen für alle. „Es geht immer darum, deinen eigenen Stil zu finden und nicht jemanden zu kopieren“, unterstreicht Wang. Mit ihrem ganz speziellen Tanzstil ist sie Sébastien Ramirez jedenfalls gleich ins Auge gestochen. Der war damals schon eine Koryphäe im französischen Hip-Hop. Durch die Zusammenarbeit mit Niels „Storm“ Robitzky und Raphael Hillebrand hatte er eine Verbindung zur deutschen Szene.

Es hat nicht nur auf dem Dancefloor gleich gezündet bei den beiden. Sie wurden künstlerisch und auch privat ein Paar. 2009 haben sie schon kleinere Choreografien zusammen entwickelt, mit denen sie an Hip-Hop-Wettbewerben, sogenannten Breakin’ Conventions, teilgenommen und Preise gewonnen haben. Damals hatte Ramirez schon seine eigene Compagnie in Frankreich. Es kam der Punkt, wo beide dachten: „Wir sind ein gutes Team. Lass uns mal eine komplette Show machen.“ 2010 haben sie die Compagnie umbenannt in Wang Ramirez, um zu zeigen, dass sie gleichberechtigte Partner sind. „Alle künstlerischen Entscheidungen werden von uns beiden gemeinsam getroffen“, betont Wang.

Ihren unterschiedlichen kulturellen Hintergrund empfinden Wang und Ramirez als Bereicherung. Wenn man sich in seiner eigenen Kultur wohlfühle, dann könne man sich auch für andere Einflüsse öffnen, meint Ramirez. Die beiden ergänzen einander perfekt. Das merkt man daran, wie sie kommunizieren, und das sieht man ihren elektrisierenden Duetten auf der Bühne an. Ihr Tanz lässt sich als eine spannende Weiterentwicklung des Hip-Hop zum Bühnentanz beschreiben. Wang Ramirez haben solche unterschiedlichen Einflüsse absorbiert wie Ballett, Martial Arts und zeitgenössische Techniken. „Wir lieben scharfe, intensive und zugleich weiche Bewegungen“, erklärt Wang. „Es muss einen schönen Flow haben.“ Den anderen Tänzern die eigene Bewegungsästhetik aufzuzwingen – davon halten sie gar nichts. „Hip-Hop-Tänzer sind sehr individualistisch“, sagt sie. „Das ist genau das Ziel: anders zu sein. Wir versuchen, die Einheit in den Unterschieden zu finden.“

Eine Kugel voller Sehnsüchte

Breakdancer scheinen mit ihren waghalsigen Sprüngen, Stürzen und Drehungen der Schwerkraft ein Schnippchen zu schlagen. Wang Ramirez aber heben schon mal völlig ab: In ihrer Erfolgsproduktion „Borderline“ fliegen und schweben die Tänzer durch die Luft. Möglich ist dieser Effekt der Schwerelosigkeit durch das „Rigging“, eine Drahtseil-Technik, die Ramirez in der Filmindustrie entdeckt hat und die bei Stunt-Szenen von Hollywood-Filmen zum Einsatz kommt.

„Das ist ein tolles Werkzeug, um die Bewegung auf andere Weise zu erforschen. Es verleiht dem Tanz etwas Poetisches“, schwärmt Ramirez. Er hat lange mit Freunden herumexperimentiert, wie man Tanz und Rigging verbinden kann. In „Everyness“, einer Koproduktion mit dem Theater Archipel in Perpignan, dem sie eng verbunden sind, wenden sie die Technik nun auf neue Weise an. Nicht die Tänzer hängen hier an den Drähten, vielmehr wird eine weiße Kugel, die die französische Designerin Constance Guisset entworfen hat, an unsichtbaren Fäden bewegt. Wie eine leuchtende Skulptur schwebt sie durch den Raum und füllt sich symbolisch nach und nach mit den Sehnsüchten der Performer.

Eine Szene aus ihrer Produktion "Everyness", die Freitag beim Festival "Tanz im August" Premiere hat.
Eine Szene aus ihrer Produktion "Everyness", die Freitag beim Festival "Tanz im August" Premiere hat.

© Gaby Cuartero/Promo

Die anderen Tänzer der Compagnie Wang Ramirez kommen ebenfalls überwiegend vom Hip-Hop und sind sehr artistisch. Doch in den Stücken geht es nicht nur darum, das eigene Können herauszustellen. Die emotional aufgeladenen Performances sind beides: ein Erforschen von Bewegungen und ein Erkunden von Beziehungen. Dabei bewegen sich Wang Ramirez geschmeidig zwischen den Stilen und Kulturen. Honji Wang ist schon mit dem Londoner Tanzstar Akram Khan aufgetreten, der den indischen Kathak mit einer zeitgenössischen Ästhetik verbindet. „Das war toll“, erzählt sie. „Ich konnte mich in meiner eigenen Sprache ausdrücken und er in seiner. Diese Fusion war ganz natürlich.“ In „Felahikum“ traf sie auf die Flamencotänzerin Rocío Molina. Derzeit erarbeitet sie ein Duett mit Sara Mearns, der Ersten Solistin des New York City Ballet. „Es geht nicht um Ballett meets Hip-Hop, es geht um sie und mich.“

Das sensible Miteinandertanzen macht ihre Stücke so aufregend

Die Zusammenarbeit mit Künstlern aus anderen Disziplinen möchten Wang Ramirez weiter ausbauen. Die Musik für „Everyness“ kommt von Schallbauer, dahinter verbirgt sich der Berliner Komponist Robert Henke. Anfang November werden Wang Ramirez in der Londoner Royal Albert Hall gemeinsam mit dem bekannten Komponisten Nitin Sawhney in „Dystopian Dream“ auftreten.

Das Choreografen-Duo hat seinen Fuß auch schon in die Welt der Celebrities gesetzt. Sie haben die Kreationen des englischen Modedesigner Paul Smith in coolen Posen präsentiert. Wang hat zudem in Paris an einer Audition für Madonnas „Rebel Heart Tour“ teilgenommen – und wurde ausgewählt unter 5000 Tänzern. Doch als sich herausstellte, dass die Tourpläne mit ihren eigenen Projekten kollidierten, gab sie Madonna einen Korb. Ramirez aber hat seinen Job für den Popstar erledigt. Er wurde eingeladen, zwei Nummern für die Madonna-Show zu choreografieren. „Das öffnet viele Türen und – um ehrlich zu sein – es gibt auch viel mehr Geld als im zeitgenössischen Tanz“, sagt Ramirez und grinst.

Doch sonst sind ihnen die eigenen Projekte wichtiger. Sie konzentrieren sich zur Zeit vor allem auf Duos und Trios mit viel Partnerkontakt. „Du musst hart gegenüber dir selbst sein, aber mit deinem Partner musst du achtsam umgehen“, lautet Wangs Philosophie. Dieses zugleich fordernde und sensible Miteinandertanzen macht ihre Stücke so aufregend. Wenn man sie fragt, ob sie immer noch gern mit Ramirez tanzt, strahlt Wang übers ganze Gesicht. „Das ist das Beste“, schwärmt sie.

Warum sie in Berlin nicht mehr Auftrittsmöglichkeiten bekommen, verstehen sie selbst nicht. „Das ist ein Rätsel“, sagt Ramirez. Wang glaubt, das liege vielleicht daran, dass ihre Stücke sehr „dancy“ seien – die Tanzkuratoren in der Hauptstadt würden aber eher konzeptionelle Arbeiten bevorzugen. Beim „Tanz im August“ sorgen sie mit ihrer Produktion nun dafür, dass die Lust am Tanz nicht zu kurz kommt.

Wenn sie Zeit haben, gehen Honji Wang und Sébastien Ramirez auch heute noch in die Antenne, um mit den anderen Hip-Hop-Tänzern zu trainieren. „Dort triffst du auf die Realität“, sagt Ramirez und lacht. Auch wenn die beiden schon mal abheben, stehen sie doch mit beiden Beinen auf dem Boden der Wirklichkeit.

Radialsystem V, Premiere 26. 8., 19 Uhr, auch 27. 8., 19 Uhr und 28. 8., 17 Uhr

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