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Kultur: Crashkurs für Nahost

Die Schaubühne zeigt Theater aus Palästina

Am Anfang war die Idee, ein gemeinsame Reihe mit israelischen und palästinensischen Theatermachern zu veranstalten. „Nicht schon wieder“, haben die Palästinenser gestöhnt, so erzählt Jens Hillje, Dramaturg und Mitglied der Künstlerischen Leitung der Berliner Schaubühne, „bloß, damit Ihr Deutschen ein Festival über Israel veranstalten könnt, ladet ihr pro forma noch Palästinenser ein, damit es politisch korrekt aussieht.“

Hillje begann das einzuleuchten. Dieser Überdruss, in der Welt immer nur über den Disput mit Israel wahrgenommen zu werden, statt als eigene Gesellschaft, eigene Kultur. „Man versteht den Konflikt nur, wenn man beide Seiten einzeln betrachtet und auch einzeln schätzt“, sagt Hillje. „Und eine selbstkritische Auseinandersetzung ist nur möglich, wenn der Gegner nicht anwesend ist.“ Deswegen lag der Länderschwerpunkt des Schaubühnen-Festivals Internationale Neue Dramatik, kurz F.I.N.D., im vergangenen Jahr auf Israel, deswegen rücken die Berliner in diesem Jahr Palästina in den Fokus, mit Gastspielen und szenischen Lesungen.

Natürlich sind die palästinensischen Traumata in den Stücken präsent, die Hillje eingeladen hat, die Erfahrungen von Gewalt und Exil, auch wenn vordergründig beispielsweise Familien-Dramen, Vater-Sohn-Geschichten verhandelt werden. Politik lässt sich nicht ausblenden. In Juliano Mer Khamis’ berührendem Dokumentarfilm „Arnas Kinder“ spürt der Regisseur dem Schicksal einiger junger Palästinenser nach, die vormals Kinderschauspieler in einer Theatergruppe unter der Leitung seiner Mutter waren. Einer wurde Selbstmordattentäter, ein anderer von der israelischen Armee getötet.

Aber es geht eben auch um die gemeinsamen Wurzeln der arabischen und der europäischen Kultur. „Der Sonne und dem Tod kann man nicht ins Auge sehen“ heißt ein Stück, das die Schaubühne aktuell bereits im Programm hat und das von der Entführung der Europa durch Zeus an der Levante handelt, dieser mythischen Meeresküste. Der Autor Wajdi Mouawad, ein Frankokanadier aus Beirut, wird eine weitere Arbeit präsentieren, „Seuls“ betitelt, eine theatralische Reise ins eigene Unterbewusste.

Jens Hillje betont, dass wirkliches Verstehen auf eigenem Erleben fußen muss. Schon bei seiner ersten Nahost-Reise hat er einen Crash-Kurs in Israel-Palästina-Kunde verpasst bekommen. War mit einer Freundin, einer christlichen Araberin, auf Sightseeing-Tour in Jerusalem und sollte sich, um in die al-Aqsa-Moschee eingelassen zu werden, als deutscher Muslim ausgeben. Die Freundin hatte ihm ein paar arabische Brocken beigebracht, aber als der Tempelwächter zu Hillje sagte: Okay, ich lasse dich rein, wenn du die ersten drei Suren des Koran auf Arabisch aufsagen kannst, war nach kurzem Gestottere Schluss. „Ich habe sofort gesehen: Du läufst wie ein Christ“, bekam er zu hören. Seiner Begleiterin, die sich noch schnell einen billigen Schleier gekauft hatte, wurde hingegen bescheinigt: „Du bist eine gute muslimische Frau, auch das sieht man gleich.“ Fast avantgardistisch findet Hillje dieses Spiel mit Schein und Sein, „jeder, der sich dort selbstbewusst bewegen will, wird zum Performer der eigenen Identität“.

François Abou Salem, der in Berlin eine Soloperformance zeigt und eine Lesung einrichtet, ist der Sohn einer französischen Mutter und eines palästinensischen Vaters, 1977 hat er das Ensemble El-Hakawati gegründet, übersetzt heißt das: der Geschichten-Erzähler. Salem hat lange weiße Haare und hellwache Augen, ein George-Tabori-Typ, der mit sonorer Stimme vom palästinensischen Theater erzählt, von seinen eigenen Anfängen in einem ehemaligen Jerusalemer Kino, das Fundamentalisten niedergebrannt hatten, weil dort Softpornos liefen. Die Künstler hatten damals kaum Mittel, dafür jede Menge freiwilliger Helfer und einen starken Aufbruchswillen, meint Salem. Noch heute ist das palästinensische Theater arm, finanziell gesehen, es existiert keine strukturierte öffentliche Förderung, dafür kommt ein gnadenlos authentisches Publikum, das sofort anfängt zu schwatzen, wenn es sich langweilt, oder aus dem Saal läuft.

Salem begreift sein Theater als politisch, ganz klar, aber er betont, es gehe ihm nicht um tagesaktuelle, sondern universelle Geschichten. Fragt man ihn, wie er sich den deutschen Blick auf sein Theater wünscht, lächelt er verschmitzt und sagt: „Am besten wäre es, wenn die Zuschauer vergessen, dass sie vor Palästinensern sitzen.“ Patrick Wildermann

Vom 6. bis 9. November in der Schaubühne am Lehniner Platz. Programm unter: www.schaubuehne.de

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