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Monumental. Brandon Jovanovich (Samson) und der Staatsopernchor in „Samson et Dalila“ an der Staatsoper Unter den Linden.

© Matthias Baus

Damián Szifron inszeniert „Samson et Dalila“: Der argentinische Regiestar wird ausgebuht

Damián Szifron und Daniel Barenboim machen an der Staatsoper „Samson et Dalila“ zum grandiosen Spektakel. Doch nicht alle sind begeistert.

Nachdem Daniel Barenboim und die Gesangssolisten ausführlich gefeiert worden sind, betritt ein schmächtiger, sehr jugendlich wirkender Mann die Bühne – und ein wilder Buhsturm bricht los. Damián Szifron ist sichtlich verdattert. Der 44-jährige kommt aus Argentinien, er kennt die Gepflogenheiten auf deutschen Bühne nicht. Zudem war dieser Abend sein Debüt als Opernregisseur. In seiner Heimat ist er ein Star, erreicht mit Filmen und TV-Serien Millionen Zuschauer.

Der ebenfalls in Argentinien geborene Staatsopern-Chefdirigent hat Szifron eingeladen, Unter den Linden Camille Saint-Saens' „Samson et Dalila“ zu inszenieren. Das war riskant, denn der französische Komponist brillierte in seinem langen Leben, das von 1835 bis 1921 reichte, in so ziemlich jeder musikalischen Form – nur für die Oper fehlte ihm das dramatische Gespür.

13 Werke hat Saint-Saens in dieser Gattung geschrieben, allein „Samson et Dalila“ schaffte es ins Repertoire, obwohl gerade dies Werk gar nicht für die Szene konzipiert war, sondern als alttestamentarisches Oratorium.

So herrlich die Melodien des Stückes klingen, so elegant Saint-Saens instrumentiert, die Geschichte von der fatalen Liebe des Hebräers Samson zur Philisterin Dalila ist eigentlich uninszenierbar. Denn das Libretto ist eine Folge von tableaux vivants, von „lebenden Bildern“, mit denen das Bürgertum im 19. Jahrhundert historische Begebenheiten nachzustellen liebte. Wer das im Hinterkopf hat, muss Damián Szifron höchsten Respekt zollen für seine Personenführung, für den Naturalismus, mit dem er die Geschichte zu bebildern versteht.

Vorbild Hollywood

Szifron hat eine so überbordende Fantasie, dass er sie sogar an dieser papiernen Handlung entzünden kann. Für den langen, akademisch gedechselten Eröffnungs-Chor erfindet er einfach eine Story hinzu, lässt ein verhungertes jüdisches Mädchen auf rituelle Weise betrauern und bestatten.

Im Liebesduett findet der Regisseur ein tolles Bild für den Stolz der Dalila: Wenn Samson endlos zwischen religiöser Pflicht und erotischer Neigung zaudert, schleudert sie ihm den Inhalt ihres Wasserbechers ins Gesicht, um ihn ins Hier und Jetzt zurückzuholen.Übermann ihn dann schließlich doch die Libido, stürzt er sich wie ein Vergewaltiger auf die Angebetete – so dass der Messerschnitt, mit dem Dalila ihn seiner magischen Haarpracht beraubt, zur Notwehrhandlung wird.

[„Samson et Dalila“ an der Staatsoper Unter den Linden: Wieder am 27. und 30. November sowie 4., 7., 11. und 14. Dezember.]

In Berlin hat noch kein Filmregisseur, der sich erstmals an einer Oper versucht, eine so stringente, in ihrem Hyperrealismus so organisch wirkende Inszenierung zustande gebracht, Doris Doerrie nicht und auch nicht Volker Schlöndorff, von Wim Wenders ganz zu schweigen. Dass Damián Szifron am Sonntag dennoch die Buhrufer gegen sich aufbringt, liegt wohl an der Optik des Abends. Die ganz unverhohlen der Art huldigt, mit der einst in Hollywood pathetische Historienschinken ausgestattet wurden.

1949 brachte die Paramount ihre Monsterproduktion von „Samson and Delilah“ heraus, mit Hedy Lamarr als Diva und wogenden Statistenmassen. Wahrlich eines Cecil B. DeMille würdig ist aber auch, was Bühnenbildner Etienne Pluss und Kostümdesignerin Gesine Völlm jetzt Unter den Linden aufbieten.

Ein hyperrealistisches Bühnenbild, wann gab es das zuletzt?

Im 1. Akt sieht man Lehmhütten vor einer Felsenkulisse, darüber spannt sich ein Himmel, der in Wolkenformationen und -färbungen alle musikalischen Emotionen suggestiv nachvollzieht (Video: Judith Selenko). Im Zwischenspiel zum 2. Akt fährt absolut lautlos eine komplett neu Szenerie aus dem Bühnenuntergrund hoch, diesmal einen Felsenhöhle, in der natürlich echtes Feuer brennt, während draußen der Nebel wabert und Blitze zucken.

Im Finalakt schließlich, der bühnenfüllend den Tempel der Philister zeigt, entfesselt der Regisseur eine Orgie, wie sie sich perverser, brutaler und authentischer kaum denken lässt, mit barbusigen Tänzerinnen, mordenden Knaben und wild tanzenden Choristen.

Es ist diese altmodische, prachtvolle und handwerklich brillant gemachte Überwältigungsästhetik, die sich viele im Saal nicht bieten lassen wollen. Nicht in Berlin, der Hauptstadt des Euro-Trash, dem Hotspot der Bühnenavantgarde, wo die Theaterzukunft gestaltet wird – und nicht Kinogeschichte zitiert.

Was die Wütenden übersehen, ist, dass dieser Abend in sich schlüssig ist, weil sich eben auch die Musik auf begeisternde Weise in das Konzept fügt. Daniel Barenboim präsentiert die Partitur nämlich in klingendem Technicolor: Die leuchtenden, manchmal geradezu knallbunten Klangfarben der Staatskapelle klingen fantastisch – und nach weit mehr Musikerinnen und Musikern, als tatsächlich im Orchestergraben sitzen.

Dauerhafte Hochspannung im Orcherstergraben

Wie auch bei Verdi besteht Barenboims Taktik darin, maximale Präzision und Transparenz im Technischen mit leidenschaftlicher Dringlichkeit im Ausdruck zu verbinden. Das tönt dann nicht immer typisch französisch, entwickelt aber eine enorme Sogwirkung und sorgt für dauerhafte Hochspannung.

Von der sich die Darstellerinnen und Darsteller oben auf der Bühne tragen lassen: der von Martin Wright perfekt vorbereitete Chor, Kwangchul Youn, der als fieser Philisterfürst Abimelech mächtig die Stimmbandmuskeln spielen lässt, Brandon Jovanovich, dessen Samson mehr ist als ein tenoraler Kraftprotz, der für den gedanklich Wankenden auch leise Töne findet, sogar noch, wenn er seine große Arie im 3. Akt in unbequemster Haltung singen muss, an einem Seil hängend, mit nach oben ausgerenkten Armen und gefesselten Händen.

Kalt und berechnend, geschmeidig und unwiderstehlich wie eine James-Bond-Gegenspielerin agiert Elina Garanca auf der szenischen Seite – und bringt auf der musikalischen das Kunststück fertig, ihre Auftrittsarie „Printemps, qui commence“ mit perfektem Legato so zu singen, als bräuchte sie dazu tatsächlich nur einen einzigen Atemzug.

Am allermeisten Spaß aber hat Michael Volle: Wie er lustvoll intrigiert, als Oberpriester Gift und Galle spuckt, während er sich selbstironisch beim Chargieren beobachtet, - ein Jack Nicholson im Wallegewand, nur eben mit Luxusbariton - das ist ganz große Cinemascope-Oper.

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