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Multitasker. Staatsopern-Chefdirigent Barenboim mit dem West-Eastern Divan Orchestra. 

©  Monika Rittershaus

Daniel Barenboim und das West-Eastern Divan Orchestra: „Wir wollen Harmonie lehren“

Vor dem Waldbühnenkonzert: Daniel Barenboim über das West-Eastern Divan Orchestra, die Pläne für die Nachwuchsakademie und die Baustelle der Staatsoper.

Herr Barenboim, seit 1992 sind Sie Chefdirigent der Berliner Staatskapelle, seit 1999 leiten Sie zusätzlich das West-Eastern Diwan Orchestra, in dem junge Musiker aus Israel und den arabischen Ländern zusammen musizieren. Wie teilen Sie Ihre Arbeitskraft zwischen beiden Ensembles auf?

Das ganze Diwan-Projekt mit allen Facetten vom Orchester über die Akademie bis hin zu den Musikerziehungsprogrammen in Israel und Palästina ist das Wichtigste, was ich tue. Denn das kann nur ich tun. Die Arbeit an der Staatsoper könnten auch andere machen. Aber die Staatskapelle ist natürlich mein künstlerisches Zuhause. Es ist ja nicht selbstverständlich, dass es nach 21 gemeinsamen Jahren noch so eine Neugier von beiden Seiten gibt. Ich nenne keinen Namen, aber ich erinnere mich an einen Gastauftritt, den ich als Pianist bei einem tollen Orchester hatte, das mit seinem Chef seit Jahrzehnten zusammen war. Als der Dirigent in der Probe abbrach, um etwas zu korrigieren, haben einige Musiker stumm die Lippen mitbewegt – weil sie genau wussten, was der Maestro sagen und wie er es formulieren würde. Ich bin der Staatskapelle wirklich sehr dankbar für das große musikalische Vertrauen, das sie mir entgegenbringen. Gerade weil sie wissen, dass ich Interpretationen nie stur wiederhole. Ich sage immer: Ein Rubato (ein freier Umgang mit dem Tempo an einer bestimmten Partiturstelle, d. Red.) ist wie Fisch. Ab dem dritten Tag fängt es an zu stinken. Dann muss man etwas Neues machen.

Hat der Wechsel ins Schillertheater der Verbindung neue Impulse gegeben?

Natürlich warten wir alle ungeduldig auf den Tag, an dem wir Unter den Linden wieder ins Stammhaus einziehen können. Aber die Arbeitsbedingungen für Orchester und Chor sind zugegebenermaßen im Schillertheater besser. Man kritisiert die Berliner Politik so oft – manchmal auch zu Recht – , aber bei der technischen Ertüchtigung des Schillertheaters wurde alles richtig gemacht. Es ist keine Ausweichspielstätte, sondern ein vollgültiges, modernes Haus, das auch gut klingt. Die Investitionen haben sich gelohnt. Und wenn die Sanierung der Komischen Oper eines Tages beginnt, dann gibt es für die Kollegen einen Ort, der schon eingespielt ist.

Mit dem West-Eastern Diwan Orchester proben Sie traditionell in Sevilla. Warum ausgerechnet in Spanien?

Gegründet wurde das Orchester 1999 in Weimar zum europäischen Kulturhauptstadtjahr. Seit 2002 sitzen wir in Sevilla. Andalusien ist ein idealer Ort, weil dort sieben Jahrhunderte lang Juden, Muslime und Christen in Frieden zusammengelebt haben – das einzige Beispiel in der Geschichte! Wir geben jeweils mehrere Konzerte vor Ort, bevor wir auf Tournee gehen. Die Sommertour führt uns diesmal nach Marseille, in die aktuelle Kulturhauptstadt Europas, dann nach Basel, Luzern, Stuttgart sowie zum Rheingau Festival und den Salzburger Festspielen, bevor wir am 25. August in die Berliner Waldbühne kommen.

Der Auftritt in der Waldbühne wird ein Benefizkonzert für die Akademie sein.

Ja, die Waldbühnenkonzerte sind bisher immer Benefiz-Abende gewesen, entweder für das Diwan-Orchester oder für die Musikerziehungsprogramme in Israel und Palästina.

In naher Zukunft könnten Sie ja mit den Musikern dann auch in Berlin proben, in der Barenboim-Said-Akademie, die derzeit im ehemaligen Dekorationsdepot der Staatsoper neben der Hedwigs-Kathedrale entsteht. Immerhin soll in dem Gebäude auch ein Saal des Stararchitekten Frank Gehry eingebaut werden.

Die Planungsphase ist fertig, der endgültige Entwurf von Gehry liegt vor. Und der ist erstaunlich. Ich kenne viele Konzertsäle weltweit, aber so etwas habe ich noch nicht gesehen. Das Gebäude ist ja viereckig, aber mein Wunsch war es, einen Kontrast dazu zu schaffen. Also hat er ein Oval gefunden, das absolut faszinierend ist, zumindest auf dem Papier. Schade ist nur, dass wir den Musik-Kindergarten leider nicht wie geplant im Dachgeschoss unterbringen können. Das hat statische Gründe: Es würde mehrere Millionen Euro kosten, die Etage so aufzusetzen, dass die Gebäudeseite mit dem Saal akustisch komplett von der anderen Seite mit den Unterrichts- und Übungsräumen getrennt wäre.

Wie weit sind Sie denn mit den Überlegungen für das Curriculum, also den Unterricht, den die Stipendiaten erhalten werden , die aus Israel und den arabischen Ländern für jeweils zwei Jahre mit Ihnen in Berlin arbeiten dürfen?

Ich bin mitten in der Planung. Fest steht, dass die Unterrichtssprache Englisch sein wird und dass die Stipendiaten Unterricht an ihren Instrumenten erhalten, außerdem in Kammermusik, zeitgenössischer Musik und Theorie. Gerade Theorie wird heute nicht ausreichend vermittelt. Ich möchte, dass die Musiker eine solide Basis auch in diesem Bereich haben, besonders in Harmonielehre. Und dann gibt es den zweiten Bereich, den ich den philosophischen nenne. Es soll dabei um Denkschulen gehen, deren Erkenntnisse für die Musikausübung hilfreich sind, Kant beispielsweise oder Spinoza. Aber da muss ich erst einmal meine Ideen für mich selber präzisieren.

Wie viele Stipendien werden Sie vergeben können?

Zunächst machen wir ein Pilotprojekt mit zehn Stipendiaten, um Erfahrungen zu sammeln. Im zweiten Jahr werden wir wohl auf 25 erhöhen können, danach müssen wir sehen.

Wie rekrutieren sich die Dozenten?

Für den Musikunterricht aus den Reihen der Staatskapelle, aber auch aus dem Diwan Orchestra. Viele Musiker, die im Diwan angefangen haben, konnten seitdem wichtige Positionen bei bedeutenden Orchestern weltweit einnehmen. Auch mein Sohn Michael unterrichtet übrigens gerne die Geiger.

Der Bundestag hat die Mittel für den Ausbau des alten Magazingebäudes zur Akademie bewilligt, insgesamt 20 Millionen Euro. Wie aber wird sich die Akademiearbeit finanzieren?

Mehrere Millionen Euro habe ich bereits von privaten Spendern eingeworben, unter anderem hat der italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano ein Preisgeld in Höhe von einer Million Dollar gestiftet. Und von der Krupp-Stiftung haben wir eine weitere Million bekommen.

Der nach Pierre Boulez benannte Saal der Barenboim-Said-Akademie wird gut 700 Plätze haben. Wenn Sie ihn nicht für die Akademie brauchen, kann er auch vermietet werden?

Er muss sogar, damit wir die laufenden Kosten decken können! Der Saal wird übrigens ideal auch für zeitgenössische Musik sein, weil er sehr flexibel angelegt ist, was den Zuschnitt der Bühne betrifft und die Anordnung der Sitzreihen.

Was hören Sie von der Baustelle der Staatsoper?

Zum Beispiel, dass wir keine neuen Informationen vor Ablauf des Winters bekommen werden. Jemand hat mich neulich gefragt, ob ich mir keine Sorgen mache, dass mir wegen der ewigen Verzögerung die Orchestermusiker weglaufen könnten? Da habe ich geantwortet: Ich erinnere die Musiker einfach immer daran, dass der Flughafen auch noch nicht fertig ist.

Das West-Eastern Divan Orchestra tritt am 25. August in der Waldbühne auf. Das Gespräch führte Frederik Hanssen.

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