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Kristian Järvi dirigiert mit vollem Körpereinsatz.

© Bernd Possardt

Das Baltic Sea Philharmonic: Mein lieber Schwan

Der Dirigent Kristian Järvi und das Baltic Sea Philharmonic begeistern bei ihrem Gastspiel in der Berliner Philharmonie.

Er will junge Menschen zusammenbringen – und voran: Als Begegnungsplattform dient Kristian Järvi seit 2008 das Baltic Sea Philharmonic, ein Orchester, in dem Musikerinnen und Musiker aus allen zehn Ostsee-Anrainerstaaten gemeinsam musizieren. Mit dem hochbegabten Nachwuchs entwickelt der estnische Dirigent dann extravagante Konzertformate. Bei „Nordic Swans“, dem aktuellen Tourneeprogramm, spielen nicht nur alle Mitwirkenden, bei denen das spieltechnisch möglich ist, im Stehen, sondern das gesamte Ensemble bewältigt die pausenlose, zweistündige Aufführung auch noch auswendig.

Weil niemand den Notentext lesen können muss, wird eine Lichtregie ermöglicht, die den Saal in schummrige Stimmungen taucht, einmal quer durch den Regenbogen (Am 26.4.wird der Auftritt des Orchesters in Danzig live gestreamt, ab 20 Uhr unter www.gdansk.pl).

In allen drei Stücken stehen Schwäne im Mittelpunkt

Ohne Dirigentenpodium und Taktstock agiert Kristian Järvi inmitten des Ensembles, als primus inter pares, der die Partituren vortanzt, ein Pantomime, der die Klänge durch seinen Körper strömen lässt, jede musikalische Wendung in Bewegung übersetzt. Los geht es mit dem „Schwanenlied“ seines Landsmanns Arvo Pärt, im klassischen Spannungsbogen vom flachen Atem des Beginns über die pathetisch-filmmusikhafte Klimax mit Glockenklang zurück in den ruhigen Puls – aus dem dann Jean Sibelius' „Schwan von Tuonela“ erwächst, dunkel und geheimnisvoll, eine Tondichtung aus der Weite der finnischen Wälder, von den Saal-Scheinwerfern in passendem Grün beschienen.

Die Zugabe stammt von einer Orchestermusikerin

Attacca folgt Tschaikowskys „Schwanensee“-Ballettmusik, die Järvi für dieses Konzert zur „dramatischen Sinfonie“ arrangiert hat. Eine kinoreife Schnitttechnik ist da zu erleben, angelegt auf scharfe emotionale Kontraste zwischen schwärmerisch blühender Melodik und wuchtiger Hochfrequenzdramatik. Sicher, passagenweise würde man sich hier vom Dirigent mehr Detail- und weniger Beinarbeit wünschen, doch was soll kleinliche Krittelei, wenn die Stimmung in der ausverkauften Philharmonie so schwantastisch ist, wenn die Energieströme so beglückend von der Bühne in den Saal fluten und retour!

Als Zugabe erklingt weder der Schwan aus dem „Karneval der Tiere“ noch das „Lohengrin“-Vorspiel, sondern mitreißende zeitgenössische Musik mit Maultrommel und viel Percussion, komponiert von Liis Jürgens, der Harfenistin des Orchesters. Und als solidarisch-hoffnungsfroher Ausblick folgt dann noch eine Friedenshymne, gerade erst geschrieben von Järvi und dem Ukrainer Ruslan Trochynskyi.

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