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Kultur: Das Böse in dir

Subtiler Horror: Christian Alvarts „Antikörper“

Die Plakate zu deutschen Filmen geraten schnell in Vergessenheit. Aber das Plakat zu „Antikörper“ wird sich einprägen. Unser bester Schurkendarsteller André Hennicke nackt und blutverschmiert in einem weiß gekachelten Raum – das ist simpel und spektakulär zugleich. Mit sparsamen Mitteln wird eine starke Wirkung erzielt, passend zu einem Film, der eine ungeheuerliche, ja ekelhafte Geschichte mit Anstand in Bilder umsetzt. Hennicke spielt einen pädophilen Serienmörder, der kleine Jungen vergewaltigt und mit ihrem Blut Bilder malt. Gleich zu Filmbeginn wird er verhaftet. Weil womöglich ein zweiter Serienmörder sein Unwesen treibt, will die Polizei ihn aushorchen. Für diese Aufgabe eignet sich am besten der etwas tumbe Dorfpolizist Michael Martens (Wotan Wilke Möhring).

Die Gespräche durch das Gitter erinnern an „Das Schweigen der Lämmer“. Die Parallelen werden sogar im Film thematisiert. Doch während Jodie Foster im Laufe ihrer Ermittlungen ihre Angst überwinden konnte, entdeckt der rechtschaffene Dorfpolizist in „Antikörper“ seine finstere Seite. Das Böse fasziniert ihn. Irgendwann vermutet der Zuschauer, er sei der zweite Serienmörder.

Aus beruflichen Gründen muss Martens, der Hobby-Landwirt aus Mecklenburg-Vorpommern, ab und zu nach Berlin. Die Stadt ist in diesem ersten Spielfilm von Christian Alvart ein Sündenpfuhl. Wenn der einfache Dorfpolizist zufällig vor einer Boutique steht und deren Besitzerin von Nina Proll gespielt wird, dann ist eine heiße Sexszene nicht fern. Die Ehefrau (Ulrike Krumbiegel) daheim auf dem Bauernhof hat das Nachsehen: Ihr Mann stellt fortan höhere Ansprüche an sie. In seiner präzisen Darstellung von Ehekonflikten ist der Film meisterhaft, und Wotan Wilke Möhring vermittelt die Rechtschaffenheit seiner Figur ebenso glaubhaft wie ihre Abgründigkeit.

Überhaupt sind die Charaktere das Beste an dem Film. André Hennicke untertreibt bewusst, er spielt den Unhold wie einen Normalbürger, ohne starren Blick oder verzogenen Mund. Ein Horrorfilm ist „Antikörper“ nur auf der inhaltlichen Ebene. Ein paarmal schaut man vorsichtshalber weg, doch die Leichenfunde und Obduktionen werden niemals genüsslich ausgedehnt.

Christian Alvart ist eindeutig mehr an einer Charakterstudie interessiert. Andererseits liegt genau darin auch das Problem des Films. Visuell hat Alvart wenig zu bieten. Die Berlin-Szenen sind noch recht stimmungsvoll geraten, wenn auch einseitig: nur Sexclubs und schmuddelige Mietshäuser. Aber sobald „Antikörper“ aufs Land reist, scheint er sich mit den ästhetischen Mitteln einer Folge von „Polizeiruf 110“ zu begnügen. Nichts gegen diese TV-Serie, aber vom Kino erwartet man mehr. Eine eigene Handschrift. Zauberei. Magie.

Immerhin: Dass der brave Familienvater Martens sich zum Fanatiker entwickelt, der die Geschichte von Abraham und Isaak nachspielen will, verspricht einen Mut zum Exzess, die Hinwendung zum religiösen Melodram. Doch hier verlässt Christian Alvart der Mut. Anders als sein Held kokettiert er nur mit dem Bösen, statt sich ihm hinzugeben. Bleibt das Plakat: Es brennt sich ein.

In 14 Berliner Kinozentren

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