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Kultur: Das Böse steigt aus der Sahnetorte „Hänsel und Gretel“

als Oper in Rheinsberg

Die alte Dame heißt Rosine Leckermaul und gibt sich kinderlieb. Welches Monster sich hinter der zuckersüßen Oma verbirgt, weiß jedes Kind aus der Grimm` schen Vorlage: eine Kannibalin mit Zauberkräften. Nicht auszuschließen, dass die böse Alte auch die Humperdinck-Premiere der Kammeroper Schloss Rheinsberg verhext hat, die feuchte Witterung erzwingt den Umzug in eine Bootsmontagehalle. Container-Kunst statt Open Air. In der Blech-Scheune tönt’s geschmeidig wie auf dem Grünen Hügel, weil Michael Helmrath und die Brandenburger Symphoniker aus Wagners Einfluss auf Humperdincks Partitur keinen Hehl machen. Der majestätisch dahinströmende Gestus überzeugt vor allem in der klangprächtig musizierten Ouvertüre und in den Zwischenspielen, reibt sich allerdings öfter mit der Szene. Denn Kay Kuntze (Regie) und Sandra Linde (Bühne) pfeifen auf wilhelminischen Biedersinn und Bayreuther Waldweben, setzen stattdessen auf Spielwitz und hintersinnigen Dekor.

Hänsel und Gretel hauen ab aus der Enge einer mit nicht verkauften Reisigbesen zugepflasterten Hütte. Bevor sich der Besenbinder-Vater (Jae-Hyong Kim) und die sorgenfaltige Mutter (Christine Köhler) auf die Suche nach ihren verschwundenen Kindern machen, setzt sich das Inventar in Bewegung, ein bedrohliches Besenballett. Die ökonomische Krise scheint die ganze Familie aus dem Haus zu treiben. Der Wald ist eher eine Lichtung, die sich bald mit Kinderwünschen und Kinderalbträumen füllt, mit grünen Waldgeistern und riesigen Kinderbuchwattewolken. Gabriela Scherer (Hänsel) und Katia Bentz (Gretel) überzeugen als frech-spielfreudiges Geschwisterpaar, wobei Gabriela Scherers biegsamer Mezzosopran sängerisch den Ton angibt.

Und die Hexe? Sie verbirgt sich unter dem obersten Sahnetupfer einer vierstöckigen Himbeercremetorte. Die Sahnestück-Kulisse ist Klettergerät und Kinderfalle – eine originelle Hexenhausversion, der Baustoff muss nicht immer Lebkuchen sein. Aufgeklappt beinhaltet die Riesentorte mit Kinderknast und Hexenofen alles, was eine Humperdinck-Hexe so braucht. Julia Kirchner bleibt als Hexe der schwierigen Mezzopartie nichts schuldig. Ihr furchterregendes Kostüm macht sie zur Stammeskriegerin, beim „Hexenrit“" fegt sie auf einem fahrbaren Riesenbesen durchs Publikum und krönt ihr Solo – „Galopp lopp lopp, mein Besengaul“ – mit lodernd hohem H. Eine schöne Stimme für eine hässliche Opernfigur – das ist ist hier kein Widerspruch.

Kammeroper Rheinsberg, wieder am 9., 10., 12. und 13. August, jeweils um 20 Uhr, Karten unter Tel. 033931-39296.

Jens Hinrichsen

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