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Kultur: Das Deutschlandspiel

Integration auf dem Rasen: In der Bundesliga kicken immer mehr Kinder von Einwanderern

Am vergangenen Mittwoch stürmten für Deutschland: Miroslav Klose, Kind polnischer Eingewanderter; Fredi Bobic, Sohn eines nach Stuttgart ausgewanderten Kroaten, Oliver Neuville, Schweiz-Franzose mit deutschem Pass. Unterstützt wurden die drei von Paul Freier, Pole von Geburt. Nicht dabei diesmal, aber auch Kandidat für die deutsche Fußball-Repräsentanz: Gerald Asamoah, Sohn ghanaischer Eltern. Zum erweiterten Kader dieses illustren Kreises gehört außerdem Kevin Kuranyi, der laut Geburtsurkunde für Panama hätte auf den Fußballplatz treten können oder – laut Reisepass – für Brasilien (aber dafür ist er nun doch nicht gut genug).

Ist es nicht fast wie drüben in Amerika, wo ein Österreicher Gouverneur von Kalifornien werden will? Wenn die Söhne Eingewanderter angekommen sind in Deutschlands bedeutendstem Gefühlshaushalt, dem Fußball, ist das dann nicht Beweis der vollzogenen Integration – Deutschland, einig melting pot?

Es ist nur leider so, dass Gerhard Mayer- Vorfelder, der Chef dieses Gefühlshaushaltes und oberster Vorsitzender aller hiesigen Fußballspieler inmitten dieser doch erfreulichen Entwicklung mal wieder die Rechte der europäischen Gemeinschaft brechen und ihren Mitgliedern die freie Wahl des Arbeitsplatzes verwehren möchte. Wir hätten viel zu viele Ausländer in unserem Fußball, zeterte er, der Präsident des Deutschen Fußball- Bundes, in der vergangenen Woche: Die deutschen Talente kämen dagegen nicht an (meint er: gegen die Schwemme?), sie verkümmerten (was schon rein sportlich ziemlicher Unsinn ist), eine Ausländerquote müsse her. Das erinnert nun fatal an die unsäglich und unselig geführte Debatte um „Kinder statt Inder“ – zur griffigen Plakatierung der Mayer-Vorfelderschen Forderung schlagen wir also vor: „Schwabe statt Slawe“, „Rheinländer statt Ausländer“ und „Bayer statt Ukrainer“.

Allein, wen meint Mayer-Vorfelder? Die sündhaft teuren Brasilianer und Argentinier, die die Liga erst zum gesellschaftlichen Spektakel machen, meint er gewiss nicht. Die hat er selber en gros angeschleppt und, als er noch Präsident des VfB Stuttgart war, mit Geld zugeschüttet, bis sein Verein kurz vor der Insolvenz stand. Dann meint er wohl Gerald Asamoah, der Hannoveraner ist durch und durch. Oder er meint Robert Kovac, einen für Bayern München spielenden Kroaten, der das im Pass eingetragene Vaterland allerdings nur von gelegentlichen Besuchen her kennt – bei weitem nicht so gut wie seine Geburtsstadt Berlin und seinen dortigen Kindheitskiez Wedding. Oder er meint Hamit Altintop, der seit Beginn der Saison Schalke 04 stark und erfreulich macht. Hamit Altintop ist Deutscher von Herzen, genau gesagt, er ist Gelsenkirchener, und Türke aus Kalkül. Der junge Mann – 20 Jahre alt ist er – hat sich nämlich in der Frage, für wen er künftig patriotische Gefühle entwickeln will, für das Land seiner Vorfahren entschieden. Warum bloß?

Etwa 50 solcher Einwanderungs-Nachfahren spielen in der obersten deutschen Spielklasse: ein satter Anteil bei den etwa 450 im Ligabetrieb engagierten Fachkräften. Das sind Hamburger Ghanaer wie der für Dortmund spielende Otto Addo; der Berlins Herthanern zugehörige schwäbische Portugiese Roberto Pinto; der Velberter Grieche Dimitrios Grammozis, der für den 1. FC Kaiserslautern in der Pfalz kickt oder Yildiray Bastürk, der im Mittelfeld trickst für Bayer Leverkusen, unweit seines Geburtsorts, der Stadt seiner Einschulung, der ersten Liebe und des ersten Torschusses: Wattenscheid. Allerdings trickst Bastürk, wenn er nicht für seinen Arbeitgeber kickt, gerne auch mal mit bebendem Herzen für die Türkei.

Man braucht übrigens keine Angst vor Sprachbarrieren zu haben, wenn man die türkische Mannschaft besucht. Mitunter ist es fast die Hälfte aller Spieler, die kein türkisch spricht, wohl aber pfälzisch, schwäbisch und den Slang des Reviers. Ähnlich verhält es sich mit der Mannschaft, die für Kroatien um die Ehre kämpft. Es geht nämlich ein Riss durch die 50 deutschgebürtigen oder deutschstämmigen Kicker der Liga. Die deutschen Herzen derer, deren Vaterländer einen eigenen funktionierenden und lukrativen Fußballmarkt haben, hörten nämlich ganz schnell auf zu schlagen. Diese Fußballer haben ihre Weddinger oder Buerer Identität flugs vergessen und spielen für Kroatien, die Türkei, Serbien-Montenegro. Ob das damit zusammenhängt, dass es in etwa 45 Jahren Zuzugstradition kaum einmal ein Nachgeborener bis in die Nationalmannschaft geschafft hat?

Jupp Posipal, der Weltmeister von 1954, war einer davon, ein Rumäniendeutscher. Jimmy Hartwig und Erwin Kostedde sind in diesem Zusammenhang nicht repräsentativ, die beiden waren Söhne amerikanischer GIs und unterschieden sich von ihren Nationalmannschaftskollegen lediglich durch die Hautfarbe. Dann gab es noch den gebürtigen Holländer Rainer Bonhof, auch er Weltmeister. Dann kickte einmal Zoltan Sebescen – Sohn ungarischer Eltern, die aus der Vojvodina nach Stuttgart gekommen waren – für Deutschland: Eine Berufung, die er dem Schrecken verdankte, der die Deutschen ergriff, als der französische Nachbar mit all seinen Kolonialkindern den Weltfußball beherrschte. Und noch eine Ausnahme für die Regelbestätigung: Mustafa Dogan, zwei Einsätze 1999.

Ansonsten galten die Kicker im eigenen Lande nichts, viel aber im Land der Väter. Als Ümit Davala bei der WM in Asien den späteren Weltmeister Brasilien schwindelig spielte, wunderten sich die deutschen Journalisten über seinen Mannheimer Dialekt. Kaum einer kannte Davala. Die türkischen Journalisten wunderten sich über diese mangelnde Popularität hierzulande: In Kurudure ist eine Brücke nach dem jungen Mann benannt, in Afyon steht vor der Ümit-Davala- Sportanlage eine Ümit-Davala-Statue.

Davala ist nicht der einzige Export deutschen Fußballkönnens. So wie es deutsche Wissenschaftler in die USA treibt, weil die Karrierechancen dort höher zu sein scheinen, treibt es türkischstämmige und balkanstämmige Fußballspieler hinaus aus der angestammten Identifikation. Wahrscheinlich handelt es sich beim noch jungen Phänomen der multikulturellen Nationalmannschaft also eher nicht um das Resultat einer gelungenen Integrationspolitik.

Denn auf der anderen Seite stehen die Polen und Afrikaner und ihre sehr nüchternen und unpatriotischen Überlegungen. Wo würde Paul Freier spielen, wenn er für Polen spielen würde? In der Vorrunde einer Welt- oder Europameisterschaft, geduldet als Adabei, aber fernab jeglicher Aufmerksamkeit und der finanziellen Pfründe. In der deutschen Nationalmannschaft hat er die Chance auf ein Finale – und dann die Garantie auf ewigen Ruhm im Vater- oder Mutterland. Immerhin vollzieht sich auf dem Rasen auf diese Art und Weise doch so etwas wie Ausländerpolitik. Die ist nicht allzu konsequent und wetteifert nur zaghaft dem französischen, englischen und niederländischem Vorbild nach, deren Fußball-Vertretungen keinerlei Probleme haben bei der Integration ihrer Landeskinder. Aber im Gegensatz zu rückwärts gewandten Mayer-Vorfelderschen Visionen bringt sie Deutschland dennoch weiter. Wenigstens auf dem Spielfeld.

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