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Kultur: Das Elend der Glorreichen

Rock this city: Wie klingt die sterbende Stadt? Und kommt die beste Musik aus urbanen Krisengebieten?

Ein Plattencover aus den frühen Achtzigern: Oldschool-Rapper Kurtis Blow steht breitbeinig im schicken weißen Zuhälter-Anzug vor einer New Yorker Slum-Ruine und einem ausgebrannten Autowrack. Die Machopose des harten Typen, der das Ghetto mit Coolness und durchtrainiertem Körper überlebt hat, signalisiert, dass er gleichzeitig Sieger und Verlierer ist. Die kaputte Stadtlandschaft wird ins eigene Image integriert und zur Selbststilisierung benutzt. Womit die Musik – gut marxistisch – als Reaktion auf die materiellen Verhältnisse in Szene gesetzt wäre.

Das Kurtis-Blow-Cover gehört zur Ikonographie des frühen Rap – wie Eminem nicht ohne Bilder eines kaputten Detroit vorstellbar ist, wie das Prä-Wende-Berlin zu den Einstürzenden Neubauten gehört, das London der Thatcher-Jahre zu Bands wie The Clash, The Fall und The Damned, das deindustrialisierte Glasgow zu Franz Ferdinand und das Los Angeles der Gangs zu den Geto Boys. Und man fragt sich: Kommt aus kaputten Städten die interessanteste Musik? Sind urbane Krisengebiete, aus denen sich die Menschen zurückziehen, ideale Voraussetzungen für die musikalische Avantgarde? Und wie hängt die Existenz innerstädtischer Brachen und das Schrumpfen ganzer Städten mit dem Entstehen spezifischer Subkulturszenen zusammen? Kurz: Wie klingt eine sterbende Stadt?

Diese und ähnliche Fragen will ab Donnerstag ein „Shrinking Cities Music Festival“ in der Palast-Ruine ausloten. Aus Glasgow kommt die Electro-Noise-Band Errors nach Berlin, aus Izhevsk im Ural, der Stadt, in der die Kalaschnikow gebaut wird, reist das Electronica-Duo EU an, was für „Elochuye Ighrushki“ steht – „Christbaumdekoration“. Andere Künstler sind Veteranen des Underground, Richard H. Kirk aus Sheffield zum Beispiel, Miterfinder der legendären Industrial-Götter Cabaret Voltaire, oder Derrick May und Jeff Mills, zwei Godfathers of Techno aus Detroit. Nichts davon wäre denkbar, ohne die kollabierenden oder durch ökonomisch-politische Krisen taumelnden Städte, in denen die Musik in Leerräume vorstößt. Das zumindest ist die steile Ausgangsthese des Festivals.

Die vulgär-marxistische Parole, man müsse den Verhältnissen ihre eigene Melodie vorspielen, um sie zum Tanzen zu bringen, wird seit Jahrzehnten von Musikern aller Underground-Richtungen aufs Raffinierteste eingelöst, wenn auch möglicherweise etwas anders, als sich die Kommunistische Internationale das vorgestellt hat. Wobei weit reichende Rückkopplungsprozesse entstehen, in denen eine bestimmte urbane Situation bestimmte Musiken generiert, die ihrerseits wieder auf das Image der Stadt und ihre Selbstwahrnehmung zurückwirkt.

Als Detroit noch die kraftstrotzende Hauptstadt der Autoindustrie war, hieß Motown nicht nur das wichtigste schwarze Platten-Label, man hörte es der Musik auch an, dass sie aus einer schwarzen Industriemetropole kam. Einige Jahrzehnte später war nicht nur der Motown- Soul zum Auslaufmodell geworden, auch die Autofabriken waren in die Krise geraten, der Fordismus des Fließbands war längst von moderneren Produktionsmethoden der asiatischen Konkurrenz überflügelt worden. Detroit wurde zum städtischen Krisengebiet. Wer konnte, zog in die Suburbs, die Innenstadt verödete. Und obwohl die Stadt nicht gefährlicher, krimineller oder drogensüchtiger als andere US-Metropolen ist, hat sie bei Amerikanern das Image einer urbanen Hölle.

Eminem nutzt dieses Detroit-Bild der Gewalt- und Armutsmetropole als Katalysator seiner eigenen Verruchtheit. Auch die „RoboCop“-Filme, die eine in Kriminalität, Korruption und Designerdrogen versinkende Metropole imaginieren, spielen, logisch, in Detroit. In den verwaisten Randzonen dieses Krisen-Detroit entstand Ende der Achtziger eine Musik, die auf den Untergang industrieller Fertigungsstätten mit einem technizistischen Futurismus reagierte. Musik, die wie japanische Autos nicht mehr durch die Hände qualifizierter Facharbeiter geht, sondern von Computern, von teilweise autark arbeitenden Maschinen hergestellt wird – und diesen Übergang als Befreiungsakt feiert: Techno. „Künstler, die überall auf der Welt leben könnten und sich für eine Stadt wie Detroit entscheiden, sehen weit in die Zukunft“, sagt der Detroiter Techno-Produzent und DJ Derrick May. „Um in Detroit zu leben, kannst du nur an die Zukunft denken. Du kannst nicht an die Vergangenheit denken, oder du wirst im Elend ersticken.“

Die Rede vom Paralleluniversum Techno als Mittel, einer deprimierenden Stadt zu entkommen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn nirgends ist diese Musik so unbekannt wie in Detroit selbst. Den Wert der Marke „Detroit Techno“ hat die Stadt lange nicht erkannt. Als sie vor drei Jahren erstmals ein Festival elektronischer Musik veranstaltete, kamen zur Überraschung aller eine Million Besucher aus aller Welt. Ganz anders ging man in Manchester mit dem von der Subkultur geschaffenen symbolischen Kapital um. Die Stadt, die einst als Hochburg der britischen Industrialisierung galt, wurde in den Achtzigern zur angesagten Musikmetropole. In leeren Lagerräumen und Industrieanlagen in der verödeten Innenstadt siedelten sich Clubs, Musiker, eine Gay-Scene an – und die Stadt verstand es, sowohl den Imagegewinn als auch die Aufwertung innerstädtischer Räume gezielt zu nutzen. Da war es nur konsequent, dass Peter Saville, der Designer, der die Plattencover des Underground-Labels Factory Records entwarf, zum Creative Direktor für das Stadtmarketing ernannt wurde.

Bleibt die Frage, ob man das alles der Musik aus Detroit, Manchester oder auch dem russischen Izhevsk anhören kann. Kurtis Blow zumindest ließ in den Achtzigern keine Zweifel daran, welche Ambivalenzen New York ihm zumutet. Einmal singt er stolz vom „heißesten Platz zum Arbeiten und Leben/ Main Street, Harlem, USA“, dann wieder klagt er: „du bist abgebrannt, du hast Depressionen/ du hast kein Geld, deine Schulden zu bezahlen... Steig in dein Auto, verlass diesen Ort...“ Klingt wie eine Ode auf Berlin, das allerdings, wie man hört, trotz allem eine Boomtown ist.

Zu behaupten, Popkonzerte ließen sich als soziologische Recherche erleben, hat seine Tücken. Musik, die in verlassenen Kaufhäusern, aufgegebenen Werkhallen oder unterirdischen Bunkern entsteht, entspricht nicht unbedingt dem ökonomischen Verfall des Umfelds. Denn Armut klingt nach nichts. Es sei denn, sie wird in etwas anderes verwandelt, in das Elend der Glorreichen, die von der materiellen Welt genug haben.

Shrinking Cities Musik, Palast der Republik, Konzerte: 23. September – Messer für Frau Müller (St. Petersburg), Errors (Glasgow); 24.September – Clueso (Erfurt), Tim White (Glasgow) 808 State DJ-Team (Manchester); 25. September – Richard H. Kirk (Sheffield), FSK (Frankfurt am Main) Derrick May (Detroit), jeweils 22 Uhr.

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