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Vogelperspektive. „Eagle“(2017) heißt das abstrahierte Motiv von Sarah Morris.

© Galerie Capitain Petzel / Christopher Burke

Sarah Morris-Ausstellung: Das endlose Spiel

Die Konzeptkünstlerin Sarah Morris beschäftigt sich in der Galerie Capitain Petzel mit Klassikern der Filmgeschichte.

Er ist wieder da. Nein, nicht schon wieder der mit dem Chaplin-Schnäuzer, sondern sein Zeitgenosse Fritz Lang. Ganz sicher würde ihm das wieder wachsende Interesse an seiner Person sehr schmeicheln, wäre er nicht vor vierzig Jahren verstorben. So kann er auch leider nicht mehr als Darsteller seiner selbst daran teilhaben wie noch in Godards Film „Verachtung“ von 1963 zusammen mit Brigitte Bardot und Michel Piccoli.

Vor einem Jahr musste also Heino Ferch, unser Schauspieler Nummer eins für alle Fälle – andere nennen ihn den deutschen Bruce Willis – ran und Fritz Lang in einem Biopic („Fritz Lang - Der Andere in uns“) verkörpern, das um den nie aufgeklärten Tod von Langs erster Ehefrau durch Langs Waffe kreiste und Lang als triebgesteuerten Sexmaniac zeigte. Und aktuell gibt Iddo Goldberg in der Amazon-Serie „The Last Tycoon“ eine kaum weniger soziopathische Version Langs, der sich, gerade erst in seinem Exil angekommen, gemeinsam mit Marlene Dietrich gleich daranmacht, das brave Hollywood in einen Sündenpfuhl zu verwandeln. Vielleicht wäre (der echte) Lang doch nicht so geschmeichelt.

Wüste Collage aus fingierten Interviews und Archivmaterial

Eine Facette Langs bleibt bei den Adaptionen auf der Strecke – davon kann man sich derzeit in einer Ausstellung in der Galerie Capitain Petzel überzeugen. Zu sehen ist: Lang, der Fabulierer. In dem Film „Mimosa Tank: A Prologue for a Film“ von 2017 (35:32 Minuten, Edition 1/3) läuft da eine Sequenz, in der der (echte) alte Lang erzählt, nachspielt, wie es dazu kam, dass er Deutschland verließ. Wie er Goebbels – „Einladung ist zu wenig, Befehl ist zu viel gesagt“ – besuchte und erfuhr, dass er „der Mann“ sein sollte, „der uns den nationalsozialistischen Film schenkt“. Wie er sagte: „Jawohl, Herr Minister“, und sich dabei dachte, dass es schon zu spät sei, „um auf die Bank zu gehen und mein Geld abzuholen.“ Und so weiter. Es sind biografische Tatsachen bekannt, die ausschließen, dass Lang sich hier wirklich ganz richtig erinnert. Das macht die Erfahrung natürlich nur um so vergnüglicher.

In dem Film tauchen dann auch noch Peter Sellers als Dr. Strangelove auf und Helge Schneider als Igor Stroschek; eine Bikinischönheit im Meer und ein Zug in den Schweizer Alpen; eine kolportierte Geschichte um den Sohn von Madame Butterfly als Kampfflieger über Tokio im Zweiten Weltkrieg; die Dokumentation eines Skype-Dialogs zwischen der britischen Künstlerin Sarah Morris und dem deutschen Filmemacher, Fernsehproduzenten, Schriftsteller, Juristen Alexander Kluge, die beide als Urheber des Films genannt werden. Dabei handelt es sich um genau jene Sorte wüst assoziativer Collage aus fingierten Interviews und Archivmaterial, wie man sie seit vielen Jahren aus Kluges DCTP-Programmen kennt und wahlweise liebt oder hasst. Kluge hätte Sarah Morris dafür nicht gebraucht – aber die renommierte, in New York lebende Künstlerin ist nun einmal jetzt aus irgendeinem Grund auf Alexander Kluge und Fritz Lang gekommen. Und eigentlich ist die Ausstellung die Sarah-Morris-Ausstellung „Cloak and Dagger“ nach dem gleichnamigen Film von Lang.

Sarah Morris ist bekannt für ihre bunten Rasterbilder

Morris, die zwischen 1999 und 2000 als Gast der American Academy in einem Atelier im Künstlerhaus Bethanien arbeitete, macht Filme und malt Bilder – großflächige, hoch ästhetische Rasterbilder in vielen bunten Farben. Sie ist damit während der 1990er-heyday-Ära der Young British Artists ziemlich bekannt geworden. Auf den ersten Blick erinnern diese Bilder oft an Günter Fruhtrunk und seine ihm später peinliche Aldi-(Nord-)Tüte. Fruhtrunk allerdings verstand sich als konkreter Künstler: „konkret“ im Gegensatz zu „abstrakt“, da nichts in der materiellen Realität Vorhandenes abstrahiert würde, die geometrische Konstruktion sollte nur sie selbst sein. In diesem Sinne ist Sarah Morris eine abstrakte Malerin. Am bekanntesten sind wahrscheinlich ihre geometrischen Reduktionen amerikanischer Hochhauslandschaften. In der aktuellen Berliner Ausstellung (mit Preisen von 70 000 bis 120 000 Euro für die Leinwandarbeiten) kann man nun mit einem minimalen Aufwand an Fantasie in „Conversation“ von 2017 die Amplitude einer Tonaufzeichnung erkennen und „1501 Summit Ridge Drive“ aus demselben Jahr als ins beinahe Gigantische vergrößerten QR-Code identifizieren. „M“ rekurriert ganz offensichtlich auf den gleichnamigen Fritz-Lang-Film.

Ach ja, Fritz Lang. Eine zweite Werkgruppe besteht aus von Sarah Morris appropriierten alten Filmplakaten (Preise: 8000-20 000 Dollar), über die sie stets ein feines, ausgesprochen dekoratives Liniennetz in der Art eines U-Bahn-Fahrplans gelegt hat. Als da sind: schöne japanische Plakate von „Cat People“ und „All the President’s Men“ – herzlichen Glückwunsch zum 80. Geburtstag an Dustin Hoffman! Ein tschechisches Plakat von Kluges filmischem Klassiker „Abschied von gestern“, der Softporno-Klassiker „Emmanuelle“. Und: Plakate der Fritz-Lang-Meisterwerke „Dr. Mabuse, der Spieler“, dem Thriller „M“ und „Rancho Notorious“.

In einem zweiten Film erzählt Kluge von der Frankfurter Schule

Es gibt in der Ausstellung noch den zweiten Film „Finite and Infinite Games“ aus diesem Jahr (40:19 Minuten, Edition 1/5), in dem dann Kluge von Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Herbert Marcuse erzählt und wie das damals so war. Wie ihn also Adorno zu Lang schickte, an die Sets von „Der Tiger von Eschnapur“ und „Das indische Grabmal“, in der irrigen Annahme, dass Kluge dort die Filmflausen für immer ausgetrieben würden. Wie Kluge danach für den kommerziellen Film tatsächlich verloren war („Ich würde nie einen Tiger anketten. Ich würde nie so tun, als ob.“). Wie er nur so den Neuen Deutschen Film erfinden konnte und Adorno am Ende doch allein in der Frankfurter Schule sitzen blieb. Und so weiter. Als Fabulierer steht Kluge Fritz Lang in nichts nach.

Aber was ist nun von einer Sarah-Morris-Ausstellung zu halten, wenn es Fritz Lang und Alexander Kluge sind, die einem danach durch den Kopf gehen?

Capitain Petzel, Karl-Marx-Allee 45; bis 26.8., Di–Sa 11–18 Uhr

Jens Müller

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