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Stolz der Stadt. Das Gewandhaus auf dem Leipziger Augustusplatz. Die Institution blickt auf eine 272-jährige Geschichte zurück.

© Hendrik Schmidt/dpa

Kulturinvest-Kongress: Das Erbe der 16 Kaufleute

Mit Hilfe von privatem Vermögen will der Leipziger Gewandhaus-Intendant Andreas Schulz die ehrwürdige Institution in eine Stiftung überführen.

Nachdem Riccardo Chailly etwas überraschend verkündet hatte, seine Chefposition am Leipziger Gewandhaus noch vor Ablauf der ursprünglich vereinbarten Vertragszeit aufzugeben, gelangen dem Orchester und seinem Direktor Andreas Schulz ein beträchtlicher Coup: Mit dem Letten Andris Nelsons konnte einer der erfolgreichsten und charismatischsten Dirigenten der jüngeren Generation als Nachfolger ab der Spielzeit 2017/2018 gewonnen werden.

Das sächsische Spitzenensemble wird sich seinen Chefdirigenten, der in Leipzig den altehrwürdigen Namen des „Gewandhauskapellmeisters“ trägt, zwar mit dem Boston Symphony Orchestra teilen müssen; die Konstellation Leipzig-Boston allerdings ruft reizvolle musikhistorische Resonanzen hervor: So ist die Boston Symphony Hall ein vergrößerter Nachbau des alten Gewandhauses, das im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde und seit 1981 durch einem Neubau gegenüber der Oper ersetzt wird.

Zudem haben legendäre Dirigenten wie Artur Nikisch und Charles Münch in beiden Städten gewirkt. Eine „enge Partnerschaft“ zwischen beiden Orchestern wird zur Zeit organisiert, „mit der wir eine mehr als hundert Jahre alte gemeinsame Tradition wiederbeleben wollen“, erzählt Andreas Schulz im Gespräch. Geplant sind wechselseitige Residencies der Orchester, die gemeinsame Vergabe von Auftragswerken und Leipziger beziehungsweise Bostoner Festwochen, in denen sich das eine Orchester mit Kompositionen auseinandersetzt, die vom jeweils anderen uraufgeführt wurden.

Steigende Einwohnerzhalen ziehen Investitionen in die Infrastruktur nach sich

Zwischen alter und neuer Welt, Traditionsbewußtsein und Innovationsbestreben sind auch die Pläne angesiedelt, mit denen Schulz auf die bekannten strukturellen Finanzprobleme reagieren will, die alle öffentlich unterstützten Kulturinstitutionen plagen. Neben allgemeinen Sorgen, die etwa von der öffentlichen Hand nur teilweise übernommene Tariferhöhungen betreffen, gibt es auch für Leipzig spezifische, wie Schulz erklärt, der seit 1998 beim Gewandhaus amtiert: „In den nächsten Jahren läuft der Solidaritätszuschlag aus, außerdem wird der Länderfinanzausgleich neu verhandelt.

Leipzig ist zudem eine übermäßig stark wachsende Stadt. Wir werden wahrscheinlich schon 2020 die Marke von 600.000 Einwohnern knacken. Das zieht natürlich viele Folgekosten etwa für Infrastruktur und Bildung nach sich. Wenn die Gewerbesteuern nicht steigen, muss eine Stadt alles auf die Prüfwaage legen und sich fragen: Wo setzen wir Prioritäten?“

Schulz kann die Argumente der Politik nachvollziehen und will lieber selbst nach Lösungen suchen, bevor er vor vollendete Tatschen gestellt wird. „Ich muss mir heute Gedanken machen, wie ich eine der sichersten Rechtformen für die Zukunft finde. Wie können wir Geld sammeln, um das, was die Kommune auf Dauer vielleicht nicht mehr finanzieren kann, selber mit zu tragen?“

Schon jetzt verfügt das Gewandhaus, das eine bemerkenswerte Eigenfinanzierungsquote von über 50 Prozent einbringt, über ein ausgefeiltes Sponsoringsystem. Aber die Sponsorengelder sind an Ausgaben für Sonderkonzerte, Education- und Musikvermittlungsprojekte sowie Honorare für namhafte Gastsolisten gebunden; strukturelle Defizite können sie nicht beheben.

16 Privatpersonen sollen zum Grundkapital der Stiftung beitragen

Zur Zeit lässt Schulz daher die auch steuerrechtlichen Möglichkeiten prüfen, das Gewandhaus von einem Eigenbetrieb in eine Sammelstiftung zu überführen. Für die Akquise eines beträchtlichen Stiftungskapitals zielt er dabei vor allem auf deutsche Privatvermögen. „Dann wollen wir Stadt und Land dazu ermuntern, den gleichen Betrag nochmal draufzulegen.“

Als Rendite dieser Summe sollen bis zu 1,5 Millionen Euro zusammenkommen. „Auf Dauer könnte der Zuschuss der Stadt Leipzig sogar gesenkt werden, so dass die Stadt dieses Geld, so wäre es jedenfalls meine Vorstellung, in die freie Szene investieren kann.“ Der Gewandhausdirektor sieht seinen Plan selbst nicht als „Ideallösung“, auch der Zeitplan bleibt noch ungewiss: „Es sei mal dahingestellt, ob ich in meiner Amtszeit ein Stiftungskapital von 50 oder 100 Millionen Euro zusammenbekomme“, sagt Schulz. „Vielleicht wird das erst meinem Nachfolger gelingen. Wichtig ist es, die Sache heute anzustoßen und nicht noch fünf oder zehn Jahre zu warten.“

Bei seinem nicht unheiklen Balanceakt zwischen amerikanischem Selbstfinanzierungs- und deutschem Subventionsmodell kann sich Andreas Schulz immerhin ein weiteres Mal auf die Tradition berufen: 16 Privatpersonen sollen zum Grundkapital der Stiftung beitragen. Denn genau 16 Kaufleute waren es einst, die im Jahr 1743 mit der Konzertvereinigung „Grosses Concert“ in Leipzig die Vorgängerinstitution des Gewandhauses gegründet hatten.

Wirtschaft und Kultur treffen sich am 29. und 30. Oktober im Tagesspiegelhaus zum Kulturinvest-Kongress. Mehr Informationen dazu gibt es auf der Website kulturmarken.de.

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