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Die Ausstellung der Galerie Nagel Draxler mit Lechner-Skulpturen und -Zeichnungen.

© Simon Vogel

Alf Lechner: Das Gewicht spüren

Die Berliner Galerie Nagel Draxler zeigt Stahlskulpturen von Alf Lechner und bewertet den Münchner Bildhauer neu.

Welche Anhaltspunkte gibt es, um die Relevanz eines Malers oder Bildhauers zu bestimmen? Bei verstorbenen Künstlern den Nachruf. Wenn etwa mehrere namhafte Medien so einen Nachruf publizieren, dann spricht das für eine nicht unerhebliche Relevanz. Eigentlich. Wenn dann aber dieselben Medien dafür alle auf denselben Text einer Nachrichtenagentur zurückgreifen, sich also nicht selbst ans Formulieren machen, dann lässt das wiederum auf die Historizität dieser Relevanz schließen.

Nach 1945 gab es einen Boom der öffentlichen Skulpturen – der ehemalige Galerist Jörg Johnen hat diese für Berlin jüngst im Buch „Marmor für alle“ dokumentiert. Auch die Firmenzentralen der Deutschland AG haben sich früher gerne etwas Gewichtiges vor den Eingang gestellt. Heute müsste man die entsprechenden Ausgaben vermutlich vor dem Bund der Steuerzahler beziehungsweise den Kritischen Aktionären rechtfertigen. Die Großskulpturen im Außenraum sind etwas aus der Mode gekommen – und mit ihnen ihre Urheber.

Im geschlossenen Raum wird die Kunst wieder gegenwärtig

Alf Lechner zum Beispiel. „Stahlbildhauer“ hat ihn die dpa in besagtem Nachruf Anfang 2017 genannt. Seine auf geometrischen Grundformen – vorzugsweise dem Quader – und deren Variation, Dekonstruktion beruhenden Großskulpturen standen und stehen auf den Plätzen und in den Parks in etlichen Städten der alten Bundesrepublik: auf dem Königsworther Platz in Hannover, dem Karlsplatz in Freiburg, im Westpark in Nürnberg oder im Kant-Park in Duisburg.

Die Bonner Republik, lange ist sie her. „Nach vielen Jahrzehnten konzeptueller Skulptur kann etwas so direkt aufs Material Bezogenes sehr radikal sein“, sagen nun die Galeristen Christian Nagel und Saskia Draxler. Und verschaffen Alf Lechner zwei Jahre nach seinem Tod eine bemerkenswerte Berliner Sommerausstellung. Im öffentlichen Raum mag man über die Großskulpturen längst hinwegsehen. Im geschlossenen Raum, in der intimen Atmosphäre der Galerie, geht das nicht, zeigen selbst die moderateren Formate plötzlich wieder eine gewichtige Präsenz.

Zusammen wiegen die Skulpturen über zwei Tonnen

„Fläche wird Raum“, vor zwei Jahrzehnten aus massivem Stahl gewalzt, gesägt und geschweißt, 500 Kilogramm schwer, sieht aus wie ein im spitzen Winkel nach oben abgeknicktes Stahlband – und wurde laut der Galeristen bereits in „eine renommierte norditalienische Skulpturensammlung“ verkauft. „Fläche wird Raum“ – 1998 mit denselben Mitteln entstanden, dabei jedoch stolze 1,2 Tonnen wiegend – besteht aus einem stählernen Winkel, an dessen Enden im 90-Grad-Winkel zwei weitere Stahlplatten angeschweißt sind. Dazu gesellt sich das Werk „Aus dem rechten Winkel“, von 1999 mit eindrucksvollen Ausmaßen (200 x 55 x 166 cm) und einem Gewicht von 700 Kilogramm aus zwei in eben jenem Winkel verschweißten Stahlplatten.

Die mit der Zeit entstandene Oxidschicht lässt die Skulpturen rostrot leuchten. „Wichtig war uns, dass wir in der Galerie richtige Skulpturen haben und nicht nur Modelle. Denn es ist bei Lechner wichtig, dass man das Gewicht der Skulptur auch im Innenraum spürt“, erklären die Galeristen. Knapp zweieinhalb Tonnen Gewicht reizen nun die Grenzen der Bodenstatik in ihren Räumen aus.

Mehr ging nur im Außenraum, auf dem kleinen Rasenstück vor Roger Bundschuhs Architekturbüro am Rosa-Luxemburg-Platz. „Kreuzlagerung“ stammt aus dem Jahr 2000, ist aus massivem Stahl gewalzt und gebrannt – und wiegt satte 13 Tonnen. In Sichtweite – man muss ja nicht immer gleich den „Dialog“ bemühen – steht Bert Neumanns an seinen angestammten Platz vor der Volksbühne zurückgekehrtes, rostrotes Räuberrad und bringt weit weniger auf die Waage. Wie auch Lechners mehr oder weniger dekonstruierter, zerschnittener, neu zusammengesetzter Würfel aus massivem Vierkantstahl der siebziger Jahre im Nagel Draxler Kabinett, dem dritten Ort der Schau.

So spielerisch, unmittelbar und auf das sinnliche Erleben ausgerichtet

Kubische Gitterstrukturen des amerikanischen Künstlers Sol LeWitt oder quadratische Stahlplatten von Carl Andre gibt es auf Kunstmessen wie der Art Basel: Blue Chips, die zum Kanon gehören. Aber jenseits davon? Begegnet einem solche, zugleich streng-geometrische wie spielerische, unmittelbare, voraussetzungsfrei auf das sinnliche Erleben ausgerichtete Kunst ohne jeglichen Anspruch auf symbolischen Gehalt eigentlich nur noch in der Bank. Namentlich der Deutschen Bank mit ihrem vom Künstler Anton Stankowski gestalteten Quadrat-Logo. Von der Deutschen Bank wird gerade eingefordert, sie solle sich auf ihre alten Stärken aus Zeiten der Bonner Republik besinnen.

Um die Skulpturen von Alf Lechner in größerer Zahl zu erfahren, bedürfte es einer Fahrt zum Lechner Skulpturenpark im bayerischen Obereichstätt. Seine Witwe und sein Sohn leisten dort die Stiftungsarbeit. Der Sohn, Daniel McLaughlin, hat im Auktionshaus Sotheby’s und später bei der New Yorker Galerie Cheim & Read und der Art Basel gearbeitet. Er teilt offenbar nicht die seinem Vater nachgesagte Skepsis gegenüber dem Kunstmarkt. Alf Lechner war ein produktiver Künstler. Nicht alle Skulpturen zählen zur Stiftungssubstanz. Die bei Nagel Draxler ausgestellten, mittelgroßen Skulpturen kann man kaufen. Sie kosten zwischen 55 000 und 240 000 Euro. Geld ist nicht alles. Aber Preise sind auch so ein Anhaltspunkt, um die Relevanz eines Künstlers zu bestimmen.

Galerie Nagel Draxler, Weydingerstraße 2/4 & Nagel Draxler Kabinett, Rosa-Luxemburg-Str. 33; bis 31. August, Di–Sa 11–18 Uhr

Jens Müller

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