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Eine gute Lüge? Rahim Soltani (Amir Jadidi) möchte nur seine Schulden bezahlen und greift daher zu einer Halbwahrheit.

© Neue Visionen

Das iranische Drama „A Hero“ im Kino: Ohne Geld keine Ehre

Der Regisseur Asghar Farhadi ist ein Kritiker der iranischen Gesellschaft. Im preisgekrönten Familiendrama „A Hero“ löst eine gute Tat eine tragische Kettenreaktion aus.

Von Andreas Busche

Wenn die öffentliche Moral zur Staatsdoktrin wird, sieht sich das Individuum mitunter gesellschaftlichen Kräften ausgesetzt, die es nicht immer kontrollieren kann. Es bleiben dann kaum noch Graubereiche zwischen richtig und falsch. Diese Ambiguität, die das (westliche) Publikum zunächst in der Sicherheit wiegt, auf der richtigen Seite zu stehen, ist eine Spezialität des iranischen Regisseurs und Festival-Lieblings Asghar Farhadi.

Helden findet man in seinen Filmen keine. Man sollte den Titel „A Hero“ dennoch nicht ironisch verstehen – eher schon als diskrete Kritik. Farhadi ist kein lauter Ankläger, dafür ein umso präziserer Beobachter der Verhältnisse. Dass seine Filme soziale Konflikte in Prozessen – seien es Ermittlungen wie 2009 in „Alles über Elly“ oder Gerichtsverhandlungen wie in seinem Berlinale- und Oscar-Gewinner „Nader und Simin – Eine Trennung“ von 2011 – sezieren, darf man da durchaus als Seitenhieb verstehen. Justiz und Moral suchen stets nach eindeutigen Antworten, die Farhadi nicht zu geben gewillt ist.

Auch Rahim Soltani (Amir Jadidi) will eigentlich nur das Richtige machen. Doch im Kino Farhadis bleibt keine gute Tat ungesühnt. Rahim ist für zwei Tage auf Hafturlaub, die er nutzen will, um eine alte Schuld zu begleichen. Der Mann, dem er Geld schuldet (zu allem Überfluss sein Ex-Schwager), hat ihn ins Gefängnis gebracht. Seine Rettung wirkt wie eine Fügung des Schicksals, das Rahim in Farhadis unglaublich verschachteltem Drehbuch mit immer neuen Wendungen einen Streich spielt. Ist es der Fluch der guten Tat? Oder doch nur dem Umstand geschuldet, dass Recht und Moral im Iran in eins gesetzt sind?

Seine heimliche Freundin Farkhondeh (Sahar Goldust), die Rahim nach Verbüßung seiner Strafe heiraten möchte, hat auf der Straße eine Handtasche mit 17 Goldstücken gefunden. Der Fund sollte reichen, um die Schulden zu begleichen und damit die Haft zu verkürzen. Doch dann überkommt die beiden ihr schlechtes Gewissen – oder ist es doch nur die Tatsache, dass durch den fallenden Goldkurs das Geld eh nicht reichen würde, um die Schulden zurückzuzahlen? Sie beschließen, dass Rahim sich als Finder ausgibt.

Alles Leidtragende der iranischen Verhältnisse

Es meldet sich dann tatsächlich die Besitzerin der Handtasche; auch sie ist eine Leidtragende der iranischen Verhältnisse. Das Gold hatte sie vor ihrem Ehemann versteckt, darum wird auch die Rückgabe diskret behandelt. Die Frau kommt und verschwindet wieder spurlos: die neben seiner Schwester Malileh (Maryam Shahdaei) einzige Augenzeugin von Rahims Altruismus.

Doch auch der Gefängnisdirektor, der von der Sache Wind bekommt, sieht seinen eigenen Vorteil. Weil sein Gefängnis nach einem Suizid positive PR gebrauchen kann, gibt er die human touch story an die Presse weiter. Rahim, der lieber ehrlich bleibt und dafür seine Gefängnisstrafe in Kauf nimmt, wird zum unwahrscheinlichen Medienhelden.

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Mit Hängeschultern und Dackelblick steht er vor den Fernsehkameras, neben ihm sein junger Sohn Siavash (Saleh Karimaei), der unter einem Sprachfehler leidet. Eine Wohltätigkeitsorganisation, die ursprünglich für die Angehörigen von zu Tode Verurteilten ins Leben gerufen wurde, stiftet dem ehrlichen Finder eine Spendenaktion, die am Ende genug Geld einbringt, um Rahims Schulden zu bezahlen.

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Doch Widersprüche in seiner Geschichte erwecken Misstrauen; vor allem bei seinem Gläubiger Bahram (Mohsen Tanabandeh), der nicht nur wegen der familiären Vorgeschichte dem „Verlierer“ Rahim nicht über den Weg traut. Dank der nicht beglichenen Schulden konnte er seiner heiratsfähigen Tochter auch keine Mitgift geben – seine persönliche Schande. Und nun, motzt Bahram, werde sein nichtsnutziger Ex-Schwager für etwas geehrt, was doch jeder anständige Mensch getan hätte.

Stoff für eine Gesellschaftssatire

Die Unausweichlichkeit, mit der eine kleine Lüge in „A Hero“ immer weitere Kreise zieht und diese fast zwangsläufig zu neuen Lügen führt, nur um den Anschein von Moralfestigkeit zu erwecken – das wäre im Grunde der Stoff für eine Gesellschaftssatire. Doch mit Humor ist Farhadi nicht gesegnet. So absurd, wie sich die Verstrickungen Rahims in die eigenen Lügen auch entfalten, „A Hero“ hält an seinem lakonischen Tonfall fest; als versuche der Film seinem Titel unbedingt noch gerecht zu werden.

Weil die Wohltätigkeitsorganisation, die das Geld für Rahim gesammelt hat, seine Geschichte bezeugt haben möchte – Gerüchte über seine Glaubwürdigkeit kursieren längst in den sozialen Medien –, soll er die Besitzerin ausfindig machen. (In einer „CSI“-würdigen Sequenz identifiziert er aus Aufnahmen einer CCTV-Kamera das Gesicht der Frau). In dieser Notlage gibt sich Farkhondeh als die unbekannte Besitzerin aus. Doch der verzweifelte Schritt bringt Rahims Konstrukt aus Lügen und Halbwahrheiten endgültig zum Einsturz.

(In 12 Berliner Kino, auch OmU und OmenglU)

„Ich habe nicht gelogen“, sagt Rahim voller Verzweiflung zu Bahram, als die Geschichte längst außer Kontrolle geraten ist. „Aber du hast auch nicht die Wahrheit gesagt“, entgegnet der. In diesem Spannungsfeld besteht das moralische Dilemma in „A Hero“, das Farhadi meisterlich zuspitzt – bis sich der gesellschaftliche Druck schließlich Bahn bricht. In Bahrams Geschäft, das er mit seiner Tochter betreibt, konfrontiert der freundliche, immer etwas duckmäuserische Herr Soltani, der kurz als Vorbild für iranische Tugendhaftigkeit diente, seinen Peiniger. Es kommt zu einem Handgemenge, das schließlich als Film im Internet auftaucht.

Die Kritik an den sozialen Medien, die laut Farhadi in seinem Land immer stärker als gesellschaftlicher Pranger fungieren, ist in „A Hero“ dabei nur ein Nebeneffekt seines Moralstücks. In einem Land, das die Moral qua Religion sozusagen konstitutionell verankert hat, werden die Handlungsspielräume für alle Beteiligten kleiner. Bei Farhadi kommt niemand gut weg, und trotzdem verliert „A Hero“ nie seinen humanistischen Grundton. Dass die Suche nach Helden oft von eigenen Unzulänglichkeiten ablenken soll, sieht man auch gerade wieder an der Verehrung, die Wolodymyr Selenskyj im Westen entgegengebracht wird. Farhadi ist kein eminent politischer Regisseur. Aber er weiß, dass eine Gesellschaft, die auf Helden angewiesen ist, mehr als nur ein moralisches Problem hat.

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