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Schrei nach Wohnraum. Szene mit Florian Rummel als Markus (vorne). Foto: dapd

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Kultur: Das ist unser Haus!

„Schöner Wohnen“: Das Grips-Theater arbeitet sich an der Gentrifizierung ab

Woran erkennt man ein gentrifiziertes Berliner Viertel? Klar, am Latte Macchiato für vier Euro. Es geht los mit den Balkonen, die der Investor an die luxussanierten Fassaden schraubt, schon fallen die Besserverdienenden ein und süffeln den ganzen Tag lang ihren Hochpreiskaffee. Gute Nacht, Kiez. Obwohl: Was kann der Milchschaum dafür? Anders gefragt: Ist es nicht normal, dass Städte sich wandeln, Altes geht, Neues kommt?

Am Grips-Theater haben sie sich das Thema Gentrifizierung vorgenommen, es ist die erste Premiere unter dem neuen Intendanten Stefan Fischer-Fels, der Volker Ludwig beerbt. „Schöner Wohnen“ heißt die Inszenierung, im Untertitel: „Ein singender Umzug von Franziska Steiof und Ensemble“. Die Plakate zitieren das berühmte Nacktbild aus der Kommune 1, das Stück allerdings beschreibt eine gegenwärtige Variante der utopischen Wohn- und Solidargemeinschaft.

„Da steht ein Haus in Moabit“, singt der Punk Paule (Jens Mondalski) zu Beginn auf der Akustikgitarre, zur Melodie von „House of the Rising Sun“. Neben diesem Fossil, das morgens Bier trinkt und keine Miete zahlt, wohnen hier die alleinerziehende Journalistin mit Migrationshintergrund Adile (Katja Hiller), die sexy Studentin mit Escort-Nebenjob Charlotte (Jennifer Breitrück), das Beamtin-Handwerker-Pärchen Anja (Nina Reithmeier) und Markus (Florian Rummel) sowie der Unternehmensberater Cyrus (Robert Neumann). Man hat sich Mühe gegeben, alle Urbanisten unter ein Dach zu bringen.

Als die Mieter nach Modernisierung verlangen – „Wir wollen hier schöner wohnen, denn jeder Tag soll sich lohnen“, singen sie im Chor – sieht der Altarchitekt und heimliche Hausbesitzer Harald (Thomas Ahrens) keine andere Wahl, als das Objekt an die „Activare“-Group zu verkaufen, eine Heuschrecke, die gleich die Mieten anzieht. Moabit kommt! „Wir werden vom Global Player gefressen!“, ruft Punker-Paule.

In der Weddinger Allee soll sich das Haus befinden, es wäre allerdings auch in der ARD-Lindenstraße möglich gewesen. Da muss man sich nur Cyrus anschauen, den Klischee-Yuppie, der unentwegt Businessphrasen ins iPhone blafft. Natürlich ist es wichtig, jungen Erwachsenen Werte zu vermitteln, die ein stabileres Gerüst bilden als jene, die vor Altbaufassaden montiert wird. Sonst studieren sie am Ende noch irgendwas mit Wirtschaft und treiben an der Börse die Lebensmittelpreise hoch. Diese Gut-und-Böse-Karikierung wirkt, als sollte eine Gesinnungsgewissheit unter Milieuschutz gestellt werden, die es am Grips eigentlich seit Jahren nicht mehr gibt. Seltsam. Die Inszenierung von Hesses „Demian“, die Stefan Fischer-Fels als Leiter des Jungen Schauspielhauses Düsseldorf verantwortet und zu Saisonbeginn in Berlin vorgestellt hat, ließ auf eine andere Ästhetik hoffen.

Und was ist mit der Regisseurin Franziska Steiof los, die am Grips zuletzt die famose Liebesgeschichte „So lonely“ hinlegte? Warum wird der Umzug zur Seifenoper, wieso lässt sie eine Figur wie Anja zu, die „Mausi“ genannt wird, ein graues Kleid trägt und ihren Markus angreint: „Du kümmerst dich gar nicht um meinen Zyklus“? Kein Wunder, dass der zum Fußball flieht, zu Union. Früher wurde am Grips noch die Hertha gefeiert. Mit Ironie allein ist das alles nicht zu erklären.

Gut, die musikalischen Arrangements von Thomas Zaufke sitzen, die vierköpfige Band hat Drive, die Songeinlagen zwischen Randy Newman und Britney Spears sind komisch, das Ensemble ist spielfreudig wie eh und je. Kein vollständig verpatzter Auftakt. Aber zum Thema der Latte- Macchiatisierung Berlins, zu Fragen der Solidarität und sozialen Kälte findet dieser Liederabend für verwirrte Städtebewohner überhaupt keine Haltung. Und dauert drei Stunden. So was. Da kommt man aus dem Grips und muss sich sorgen, ob die Linie 1 noch fährt. Patrick Wildermann

Wieder 16. und 17. September, 19.30 Uhr

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