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Kultur: Das Leben ist ernst genug Und was macht die Kunst? Eine Verteidigung

der Hochliteratur / Von Christoph Peters

Nein, ich werde keine Namen nennen. Ich werde keine Kollegenschelte betreiben, obwohl das Tradition hat. Wenn sich Autoren auf Kosten anderer profilieren, ist mir das peinlich. Jeder, der sein Leben mit Schreiben verbringt, nimmt eine Vielzahl von Risiken in Kauf: das des Scheiterns am Text, das der finanziellen Unsicherheit, und womöglich wird vor großem Publikum Häme über ihn ausgeschüttet. Das sind keine Gründe zu klagen. Alle haben sich freiwillig dazu entschlossen. Aber diesem Mut gehört mein Respekt, unabhängig davon, ob mir die Bücher eines Autors gefallen oder nicht.

Wenn die Frage nach dem Unterschied zwischen „ernster Literatur“ (E) und „Unterhaltungsliteratur“ (U) gestellt wird, geht es um poetische Konzeptionen, gesellschaftliche Rahmenbedingungen, und nicht zuletzt um die Frage der Qualität. Seit Jahren wird gefordert, die Unterscheidung fallen zu lassen, es wird behauptet, die Grenze sei nicht mehr auszumachen. Das so genannte „neue deutsche Erzählen“ wurde kurzzeitig als Versöhnung der Gegensätze gefeiert: Seht her, wir haben wieder spannende Geschichten in verständlicher Sprache statt selbstreferenzieller Experimentaltexte, die niemand lesen will. Selbst wenn ich an dem Ast säge, auf dem ich sitze: Das war natürlich vor allem ein Verlags und Medien-Mythos, der sich auch den gestiegenen Preisen für internationale Bestsellerlizenzen verdankte: Wir brauchen die nicht, wir können das selber – und billiger. Es folgte prompt der Gegen-Mythos: Die junge deutsche Literatur sei oberflächlich, lediglich am Massengeschmack orientiert.

Abgesehen davon, dass es bessere und schlechtere Bücher gibt, werden bis heute sprachartistische, still melancholische oder essayistische Romane geschrieben, mal gefeiert, mal verrissen und dabei mehr oder weniger gut verkauft – nicht anders als in den viel geschmähten 70er und 80er Jahren. Aber da das Ausrufen von Trends zu den wichtigsten Steuerungstechniken des Markts gehört, konnte die Literatur davon nicht verschont bleiben.

Die E-Literatur nimmt im Normalfall maximal zehn Prozent der Plätze auf den Bestsellerlisten ein. Den Rest teilt der U-Bereich sich auf: Krimis, Fantasy, Frauenromane, Bekenntnisliteratur. Wobei es Grenzgänger gibt, besonders in der anglo-amerikanischen Literatur, handwerklich gut gemachte Romane, die beim Lesen dennoch dem Bedürfnis nach dem Verschwinden des Alltags Rechnung tragen. Aber das sind Ausnahmen.

Trotzdem hört man immer wieder Stimmen, die dafür eintreten, die Unterscheidung aufzuheben, eben mit Verweis auf diese Grenzgänger: Literatur müsse, ja dürfe nicht langweilig sein. In jahrelanger Fernseharbeit hat uns das der ehemalige deutsche Größtkritiker eingebläut. Sein Hauptkriterium für nicht-langweilig wurde mit zunehmendem Alter der erotische Mehrwert.

Anhänger der Gleichbehandlung der Sparten gibt es auf beiden Seiten – mit unterschiedlichen Gründen: Dass ein „Unterhaltungsschriftsteller“ an der Abschaffung des Unterschieds Interesse hat, liegt nahe: Schließlich verweigert ihm das Feuilleton die höheren Weihen. E-Autoren dagegen haben es oft einfach satt, dass ihre Bücher für anstrengend gehalten und deshalb weniger verkauft werden. Mit einem Drittel der Auflage eines Bestseller-Thrillers wäre die Miete sicherer, also behaupten sie: Im Grunde mache ich dasselbe, lest es und ihr werdet sehen, es ist strand- und U-Bahn-tauglich. Manchmal stimmt das auch. Ich gebe unumwunden zu, dass ich einen Hang zu Verschwörungstheorien habe. Vielleicht ist auch das Folgende eine: Der große Gott der Märkte hat dem Menschen auferlegt, mit all seiner Kraft zu produzieren und mit all seinem Geld zu konsumieren. Der Unterhaltung, ganz gleich, ob sie im Fernsehen, in der Musik, dem Freizeitpark oder in Büchern zelebriert wird, kommt dabei eine entscheidende Rolle zu: Sie sorgt dafür, dass in der so genannten Freizeit, da, wo Zeit für das Denken und Sinnen wäre, die Frage „Was mache ich hier“ neutralisiert wird. Vor dem Einschlafen noch ein paar Seiten lesen, bis der Kopf ins Kissen kippt. Die Vision der großen Liebe, des heroischen Abenteuers, des Sieges über das Böse nimmt man mit in den Traum. Und in den Ferien verschwindet man in einer Geschichte, die aussieht wie das wahre Leben, für das man leider weder Zeit noch Geld hat. Mit der Unterhaltung ist es wie mit dem Geld: Sie macht nicht glücklich, aber sie beruhigt ungemein – beim Weiter-so, beim Warten auf das ganz Andere. Und was macht die Kunst?

Ebenso wie die Malerei sich spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts von kirchlichen und feudalen Auftraggebern löste und zu einem Mittel des persönlichen Ausdrucks wurde, befreite sich die Literatur vom Vorwurf, Freizeitvergnügen unbefriedigter Frauen zu sein. Sie wurde zum Medium individualistischer Welt-Ansichten und zum Ort kritischer Gesellschaftsreflektion.

Sie ist die Alternative zu den Humanwissenschaften, die den Menschen in seinem Verhalten systematisiert. Literatur, die sich selbst ernst nimmt – anders lässt sich das E nicht definieren –,legt Zeugnis ab vom nicht berechenbaren Einzelnen, vom Menschen in seinem Scheitern, seiner Liebe, von seiner Angst vor dem Tod, vom Tod, vom Blick auf eine Landschaft, die einen Moment lang alles verwandelt.

Wir können das heute postmodern oder post-postmodern brechen und ironisieren, manchmal bleibt gar nichts anderes übrig, da die Möglichkeiten ursprünglicher Erfahrung auf ein Minimum reduziert sind, und trotzdem: Die Literatur kann ein Ort sein, dieses Minimum zu schützen, zu bewahren. Sie kann den Einzelnen zur Sprache bringen und die Sprache aus den Sprüchen, den Slogans von Politik, Werbung, Therapievorschlägen herausholen.

Damit sind wir bei der Qualität: Neben der konzeptionellen Arbeit an einer Geschichte, der Charakterzeichnung ihrer Figuren, ist sie in erster Linie eine Frage der Sätze.

Ein Satz kann Glück und Schrecken in einem sein. Man liest ihn, und er ist wie ein Schlag auf den Solarplexus. Etwas, das man erahnt, befürchtet, erhofft hat, ist zu einer Formulierung geworden, die man sich wieder und wieder vorspricht, die man in einen Gegenstand verwandeln möchte, den man an sich drücken will, mit dem man leben kann. Das ist weder langweilig noch unterhaltsam. Es ist ein Schock. Eine plötzliche Erinnerung, da war etwas, um das es geht: ums Ganze.

Für diese Schocks gibt es Literatur. Einschlafen kann man vor dem Fernseher, am Strand laufen schöne Mädchen und Jungs in knapper Kleidung vorbei, und in der U-Bahn muss man aufpassen, dass man seine Haltestelle nicht verpasst. Da ist Literatur nicht sehr hilfreich. Zum Glück.

Der Autor, 1966 in Kalkar am Niederrhein geboren, lebt als Schriftsteller in Berlin. Mit dem Roman „Stadt Land Fluss“ wurde der studierte Maler 1999 bekannt. Im Münchner btb-Verlag ist soeben seine frühe Erzählung „Heinrich Grewents Arbeit und Liebe“ neu erschienen.

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