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Bühne: Das moralische Herz

Andrea Breth diskutiert in der Guardini-Galerie über Ethik und Ästhetik der Tragödie.

In gut einem Monat wird im Rahmen der Spielzeit Europa die Deutschland-Premiere von Andrea Breths Salzburg-Inszenierung „Verbrechen und Strafe“ zu sehen sein. Nun saß Andrea Breth schon einmal in der Guardini-Galerie und besprach mit dem Philosophen Michael Pauen von der Humboldt-Universität und der Moderatorin Marie-Luise Raters aus diesem Anlass die Frage: „Wie moralisch sollten Tragödien sein?“ Es war ein feiner Abend von zeitweise künstlerischer Anmutung, eine Performance im Fach kreative Begriffsverwirrung. Denn während Raters und Pauen über Moral, genauer gesagt über „moralische Dilemmata“ sprachen, weigerte sich die Künstlerin Andrea Breth standhaft, auf deren Abstraktionshöhen zu kraxeln. Breth sprach nicht über Moral. Sie sprach moralisch.

Moralische Dilemmata entstehen, erklärte Pauen, wenn in einer Situation zwei moralische Prinzipien nicht unter einen Hut zu bringen sind. Beispiel: Man möchte nicht lügen, aber wenn man im Fall X nicht lügt, muss ein Mensch sterben. Diese Dilemmata sind im Drama, so Pauen weiter, interessant, weil sie Protagonisten zwingen, Farbe zu bekennen. Ein moralisches Dilemma ist also ein klasse Konfliktlieferant, und ohne Konflikte sind Dramen und Filme langweilig – Paun sprach tatsächlich, als sei er im Nebenjob Dozent einer Drehbuchklasse. Diese formalistische Sicht war Marie-Luise Raters wiederum zu unmoralisch. Sie fragte Breth, ob für eine plausible Konfliktgestaltung nicht ein „moralisches Konzept“ nötig sei? Sie sei, so Breth, nur den Figuren verpflichtet. Wenn sie deren Ambivalenz zur Entfaltung bringe, entstünden Konflikte von allein. Für die Moral, mit der in diesem Fall schlicht Botschaft gemeint war, sei der Zuschauer verantwortlich.

Das ist freilich nur die halbe Wahrheit, denn natürlich offenbart die Art, welche Schwerpunkte man bei den Konflikten setzt, eine moralische Haltung. Nur sprechen wollte Andrea Breth darüber nicht, die sich damit das gleiche Recht zubilligte wie den Figuren auf der Bühne: „Es muss immer ein geheimnisvoller Rest bleiben.“ Stattdessen erzählte sie Geschichten von Heil-Hitler-rufenden Trambahnschaffnern in Wien und Westberliner-Damen, denen sie einmal eine Lektion zum Thema Unrechtsbewusstsein erteilte, indem sie ihnen einen Teller Pasta klaute. Da half jemand aus dem Publikum: Man müsse zwischen moralisch und moralistisch unterscheiden. Wenn man über Moral rede, klinge es leicht moralistisch, also verlogen. Vielleicht helfe die Bezeichnung „ethisch“? Bloß keine Eindeutigkeit! Das Mäandern, Stochern und raffinierte Drumherumreden brachte in dieser beglückenden Stunde zwar keine Klarheit, aber ein emphatisch schlagendes, liebendes Herz zum Vorschein.

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