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"Crazy World" von Isaac Nabwana ist ein Beitrag des Toronto Filmfestivals bei "We Are One".

© Wakaliwood

Digitales Filmfestival "We Are One": Das neue Normal

Beim Online-Event „We Are One“ zeigen 21 internationale Filmfestivals Beiträge aus ihrem Programm. Das könnte ein Modell mit Zukunft sein.

Von Andreas Busche

Noch ist nicht abzusehen, wie die Kinobranche – und das Kino selbst, als Kunst- und Unterhaltungsform – aus der Coronakrise hervorgeht. Sicher ist, dass der Kinosaal künftig ein anderer Ort sein wird, das zeigen auch die ersten Zahlen aus den Bundesländern, in denen der Betrieb langsam wieder anläuft.

Den erhofften Besucheransturm gab es in Hessen und Schleswig-Holstein nicht, die Idee eines geschlossenen Raumes voll fremder Menschen ruft bei vielen Filmfans nach zwei Monaten unter Pandemie-Bedingungen eher Unbehagen hervor. Das Publikum braucht Zeit, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, wieder unbeschwert ins Kino zu gehen.

Venedig und Toronto brauchen neue Konzepte

Aber wenn die vergangenen Monate in der Netflix-Dauerschleife etwas gezeigt haben, dann, dass der Film eine Öffentlichkeit braucht. Weil das Kino eine soziale Erfahrung ist, aber auch eine Industrie, von der viel Geld und Einfluss abhängen – und noch mehr Menschen mit einer immensen Leidenschaft.

Auch die Festivals bekommen dies gerade zu spüren. Cannes und Locarno sind abgesagt, Venedig und Toronto, die Anfang September stattfinden, müssen sich neue Konzepte überlegen. Die Einschränkungen belasten auch die mit den Festivals verbundenen Filmmärkte, speziell in Cannes und Toronto, die frisches Geld ins System pumpen.

„Das neue Normal“, nennt Takeo Hisamatsu, Direktor des Festivals von Tokio, diese Situation, auf die er und seine Kolleginnen und Kollegen sich auf lange Sicht einstellen müssen. Es gibt kein Zurück in die Zeit vor der Pandemie.

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Hisamatsu war einer von sieben Teilnehmern einer Video-Pressekonferenz, auf der ein bisher einmaliges Projekt vorgestellt wurde. Seit Freitag läuft auf Youtube das Filmfestival „We Are One“, zu dem sich 21 der größten internationalen Filmfestivals zusammengeschlossen haben; darunter Cannes, Venedig, Toronto, Mumbai, Sarajevo, Sundance, New York und die Berlinale.

Sie haben exklusive Beiträge zum Programm beigesteuert, über 100 Stunden insgesamt. Entstanden ist das Projekt auf Initiative des Tribeca Filmfestivals in New York und Youtubes. Tribeca-Mitgründerin Jane Rosenthal nennt den Schockzustand der Branche eine „mentale Krise“.

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Die Idee hinter „We Are One“ sei auch, neue Erinnerungen zu schaffen. Tribeca ist dafür ein gutes Modell. Das Festival wurde 2002 als Reaktion auf den Anschlag aufs World Trade Center gegründet, damals wollte man mit kulturellen Angeboten die Menschen zurück nach Manhattan locken.

Kooperationen zwischen Festivals und Akteuren des „Content“-Gewerbes sind Neuland, aber nicht ganz neu. Tribeca und Sundance haben in der Vergangenheit bereits Streamingpremieren getestet, die Amerikaner sind da forscher als die europäischen Traditionalisten. Allerdings scheiterte im Frühjahr eine geplante Kooperation zwischen dem Tech-Festival South By Southwest und Apple auch an der Bereitschaft vieler Filmemacherinnen und Filmemacher. Smriti Kiran, die künstlerische Leiterin des Mumbai Filmfestivals, findet es nicht mehr zeitgemäß, damit zu kokettieren, „technisch herausgefordert“ zu sein. Mit der Pandemie habe sich für Festivals die Chance eröffnet, in die digitale Sphäre zu expandieren.

Konstantina Kotzamanis Kurzfilm „Electric Swan“ handelt von den Bewohnern eines Hochhauses in Buenos Aires, das ein Eigenleben entwickelt.

©  Ecce Films

Egal, wie verlockend Filmfans die Idee eines Online-Festivals finden: Als Ergänzung zu den regulären Events hat „We Are One“ seine Berechtigung – und seinen Reiz. 360-Grad-VR-Dokumentarfilme wie „Traveling while Black“ über die Alltagserfahrungen von Afroamerikanern vor dem historischen Hintergrund des „schwarzen“ Reiseführers „Green Book“ oder Chloë Sevignys Kurzfilm „White Echo“ über eine Freundinnen-Clique, die Kontakt zur Geisterwelt aufnimmt (in Cannes 2019 nur in einer Nebensektion zu sehen), erhalten in „We Are One“ eine zweite Chance, ihr Publikum zu finden.

Stars wie John Torturro und Olivia Wilde beteiligen sich

Alle Filme sind kostenfrei, die meisten auch nach ihrer Premiere weiter auf dem Youtube-Kanal verfügbar. Zur Begrüßung richten die Filmemacher aus ihren Wohnzimmern ein paar freundliche Worte ans Publikum; oder Stars wie John Torturro und Olivia Wilde erinnern sich an ihre Lieblingsfilmdialoge.

Der Versuch, ein Gefühl von Community herzustellen, ist rührig, dabei darf nicht übersehen werden, dass ein solches Unterfangen ohne einen Player wie Youtube kaum möglich wäre. Robert Kyncl von Youtube gibt dann auch zu, dass das System langfristig monetarisierbar sein müsse. Dieser Aspekt spielt bei „We Are One“ allerdings keine Rolle. Stattdessen haben Filmfans die Gelegenheit, mit einem Klick Geld an eine Covid-19-Hilfsorganisation zu spenden.

Ein irrer No-Budget Actionfilm aus Uganda

Toronto-Chef Cameron Bailey sieht in einer Online-Plattform auch die Chance, die Diversität des Weltkinos zu fördern. Das beste Beispiel hierfür ist sein Beitrag „Crazy World“ aus dem Do-it-yourself-Studio Wakaliwood des ugandischen Autodidakten Isaac Nabwana. Ein irrer No-Budget-Actionfilm aus den Slums von Kampala um eine Ninja-Kindergang, die es mit einem kleinwüchsigen Gangsterboss aufnimmt. Die fantastisch-billigen Videoeffekte und die Slapstick- Kampfszenen, von einem „Master of the Ceremony“ aus dem Off kommentiert, haben eine psychedelische Qualität.

Im Internet konkurrieren Festivals mit schier unendlichen Bilderwelten . Mit dieser Herausforderung umzugehen, ist auch ein Lernprozess. „Wenn wir alle global werden“, warnt Tokio-Direktor Hisamatsu, „verlieren wir unsere Identität.“

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