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Kultur: Das Prinzip Heilung

Von der Krise des Patriotismus: Wie Hollywood Amerika auf ein neues Selbstbild einstimmt

Als Gregory Navas Polit-Thriller „Bordertown“ unlängst im Berlinale-Wettbewerb gezeigt wurde, war die Katastrophe programmiert. Ein B-Picture, selbst eines mit den besten Absichten, konnte in solch anspruchsvollem Rahmen nur enttäuschen – und dass es vor allem mit Lust am Spektakulären seit Jahren ungesühnte Serienmorde an mexikanischen Fabrikarbeiterinnen anprangerte, machte die Sache nur noch schlimmer. Häufigster Festival-Stoßseufzer über das Werk mit Jennifer Lopez und Antonio Banderas: Die Welt muss dringend besser werden, damit uns künftig derlei triviale Weltverbessererfilme erspart bleiben.

Emilio Estevez’ „Bobby“, der am Donnerstag ins Kino kommt, mag da schon von anderer Qualität sein – aber der aufs singuläre Heldentum zugeschnittene Weltverbesserungsimpuls ist ihm genauso penetrant eingeschrieben wie „Bordertown“. Mit weitgehend fiktiven Charakteren rekonstruiert der Film den Vortag der Ermordung von Robert Kennedy am 4. Juni 1968 im Hotel Ambassador in Los Angeles; dramaturgisch geschieht das mit dem seit „Short Cuts“ zur Genüge kopierten Kompilationsprinzip, emotional bewegt sich der Film überwiegend auf dem Level einer Soap Opera. Moral: Der Mensch ist schwach. Aber: Alle Menschen werden Brüder. Zumindest, wenn es ganz schlimm kommt.

Was erzählt „Bobby“ in seinen immerhin 116 Minuten? Ein Ensemble aus 22 Hauptfiguren, Gäste wie Personal, präsentiert allerlei Probleme zwischen Liebesaffären und LSD-Horrortrip, zwischen Alkoholismus und Altersmelancholie – und ist doch nur Dekor für die dazwischengeschnittenen Dokumentarszenen und Wahlreden des demokratischen Präsidentschaftsbewerbers. Das Attentat auf „Bobby“ kurz nach Mitternacht in der Hotelküche ebnet alle zuvor ausgebreiteten Konflikte mit kaum verhülltem Pathos ein. Für dieses sittlich zumindest im Ergebnis erhebende Werk war ein prominenter Cast – darunter Sharon Stone, Demi Moore, Elijah Wood und Laurence Fishburne – laut Presseheft gänzlich ohne Gage tätig.

An beiden Filmen imponiert, dass sie ihr Anliegen mit Verve vertreten: „Bordertown“ kämpft gegen die frühkapitalistischen Zustände in den neuen Migrations-Megalopolen an der Grenze Mexikos zu den USA, „Bobby“ entwirft mit geradezu schwärmerisch rückwärts gewandter Sehnsucht die Vision eines Amerika, das von einem moralisch integren Präsidenten geführt wird. Zugespitzt gesagt: Mit filmischen Mitteln wollen sie zur Heilung einer tief verwundeten Nation beitragen – gerade so, als ließe sich die „cinema therapy“, ein in Amerika sprießender Nebenzweig der Psychotherapie, auch auf die Linderung kollektiver Traumata anwenden. Ihre Regisseure sind dabei keineswegs allein, wobei die Doktoren zugleich oft auch als Agitatoren funktionieren. Moralische Thriller boomen ebenso wie Kriegsfilme und zeitgeschichtliche Storys, die sich als Kommentare zur aktuell desolaten Lage lesen lassen. Die Leinwand als Wandzeitung: Hollywood macht mit einer beeindruckenden Reihe neuer Filme so massiv mobil, als wollte es gleich das amerikanische Selbstverständnis neu definieren.

Zum Beispiel „Blood Diamond“: Der Afrika-Thriller prangert den internationalen Diamanten- und Waffenhandel auf Kosten der Schwarzen an und hat die Läuterung eines von Leonardo DiCaprio verkörperten Söldners im Gepäck. Zum Beispiel „The Last King of Scotland“: Forest Whitaker gibt einen scheußlichen Idi Amin und warnt gleichzeitig vor der Fratze politischer Allmacht. Zum Beispiel Clint Eastwoods brillantes Doppel „Flags of Our Fathers“ und „Letters from Iwo Jima“: Geschichten von der gnadenlosen Manipulation der US-Heimatfront durch getürkte Bilder und davon, dass auch der – damals japanische – Feind Angst hat und ein Überlebensrecht besitzt wie man selber. Klügere Attentate auf den naiven Patriotismus, von dem Hollywood lange Jahre zehrte, sind derzeit im Kino nicht zu haben.

Das Scheitern der Politik hat sich längst zum Syndrom einer nationalen Identitätskrise ausgewachsen. Amerika schämt sich für seinen Präsidenten, schämt sich für den dahinschwärenden Irakkrieg, schämt sich für die so hässlich missbrauchte Weltherrschaft. Und Hollywood schämt sich an vorderster Front. Zu Vietnamzeiten mochte „Hanoi Jane“ Fonda noch recht einsam gegen den Krieg trommeln, der erst viel später jene Protestfilme zeitigte, die heute als Klassiker gelten – diesmal ist die Traumfabrik mit beeindruckender Geschlossenheit pünktlich am Werk. Und wenn Slavoj Zizeks Wort von Hollywood als dem „sensibelsten Anzeiger für politische Trends“ zutrifft, dann steht Amerika nichts Geringeres als eine Revolution seines Selbstbegriffs ins Haus. Was 2003 am Vorabend des neuen Irakkriegs mit den rhetorischen Berlinale-Paukenschlägen von Dustin Hoffman und George Clooney begann, was Sean Penn, Tim Robbins und Susan Sarandon zu Hause zu leidenschaftlichen Anti-Bush-Appellen und Kriegswarnungen inspirierte, ist heute – von Kim Basinger über Matt Damon und Ethan Hawke bis Angelina Jolie – Meinungs-Mainstream in Hollywood. Und schlägt sich in neuen Filmen nieder.

Von superklug bis naiv: Unter den Gegenbildern ist alles im Angebot. Wobei die ohnehin strukturell naive Sehnsucht nach Helden als Erstes unter die Räder kommt. „Bordertown“ und „Bobby“, die mit herkömmlichen Grobrasterkontrasten arbeiten, sind da als weiterführendes Gedankenmaterial nur wenig brauchbar. Oder George Clooneys „Good Night, and Good Luck“: Was bleibt vom unerbittlichen McCarthy-Gegner Edward Murrow mehr als die vor der eigenen Wichtigkeit erstarrte Statue? Auch Oliver Stone, der zwar gerne besonders laut gegen Bush wettert, hat sich mit seinem Ersatzhelden Fidel Castro, dem er ein devotes Filmporträt widmete, und mit dem Nine-Eleven-Pathos der Feuerwehrmänner in „World Trade Center“ einstweilen disqualifiziert: Die Lust auf Denkmäler taugt wenig, wenn man wirkungsvoll intervenieren will. Sogar das destruktionswütige Gegenteil, wie es Michael Moore im Anti-Bush-Pamphlet „Fahrenheit 9/11“ vorführte, reicht kaum über den Augenblickseffekt hinaus – lebte es doch vor allem von der (enttäuschten) Sehnsucht nach einem Super-Size-Präsidenten.

Viel geschickter stellt es etwa Al Gore an. Der populäre Ex-Vize und Fast-Präsident machte bei den Oscars nicht nur mit seiner Klimaschutz-Doku „Eine unbequeme Wahrheit“ alles richtig, sondern leistete es sich, seine Rolle als exekutiver Hoffnungsträger der Nation amüsant selbstironisch ad acta zu legen. Lieber tut er – und das ist schlicht modern – mit der verbleibenden Wirkungsmacht etwas für die gute Sache, kämpft fürs ökologische Umdenken und mahnt damit eine weitere, bereits allgemeiner Filmstoff gewordene Bringschuld der rückständigen Amerikaner an. Tatsächlich ist dem Land mit dem Rückzug in die Gebetsmühle eigener Größe am wenigsten geholfen. Gelassen formuliert Clint Eastwoods „Flags“-Veteran den Fundamentalwiderspruch: Eine Nation brauche wohl Helden, sagt er, nur sei die Heldenrolle für den Einzelnen viel zu groß.

Was aber, wenn auch eine Nation aus lauter Einzelnen besteht? Die stärkste Antwort auf jene Haltung, die Amerika in der Weltgemeinschaft derzeit so nachhaltig isoliert, gibt Robert DeNiro in der meistzitierten Szene seines „Good Shepherd“ – wieder im Gewand einer scheinbar historischen Geschichte, wieder auch im psychologischen Umkehrschluss. Und er ist dem Prinzip Heilung vielleicht gerade deshalb am nächsten, weil er jegliche Rezepte verweigert. Da sagt ein alter Mafioso zum CIA-Helden Wilson, die Italiener hätten ihre Familie und die Kirche, die Iren ihre alte Heimat, die Juden ihre Tradition, sogar die Nigger hätten wenigstens ihre Musik – und was habe er? „Die Vereinigten Staaten von Amerika“, entgegnet Wilson, „ihr anderen seid nur zu Besuch.“ Hochmut und Fremdenfeindlichkeit mögen aus dieser Äußerung sprechen; tatsächlich aber ist dieser Wilson die traurigste Figur der Welt, denn außer seinem Patriotismus hat er nichts.

So einfach geht das. Naive Konzepte, auch das lehrt die Stafette der neuen amerikanischen Filme, können auf national ausbeutbares Heldentum nicht verzichten, die klugen setzen auf eine umwerfend schlichtere und schmerzhaftere Lektion. Patriotismus: eine leere Hülse. Amerikas Größe: vorbei. Was nicht heißt, dass das Land anderswo nicht mehr willkommen wäre. Es muss auch keineswegs die Welt verbessern wollen. Sondern nur, ganz simpel, Vernünftiges tun.

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