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Kultur: Das S-Wort

Eine

von Jens Mühling

Nach der Selbstoffenbarung des Literaturnobelpreisträgers Günter Grass sehen Deutschlands Intellektuelle immer mehr scheinbare Gewissheiten in Zweifel gezogen. So erklärte gestern ein anonymer Germanist, auch Grass’ vehemente Ablehnung der Rechtschreibreform müsse im Lichte seiner Waffen-SS-Mitgliedschaft neu bewertet werden. Der Wissenschaftler wies schlüssig nach, Grass habe die Reform des Regelwerks vor allem deshalb zu verhindern getrachtet, weil die weitgehende Ersetzung des Buchstabens ß durch den Doppelkonsonanten ss ein „biografisches Trauma des Schriftstellers berührt“ habe. Aus demselben Grund habe Grass seine Enthüllung auch in der „FAZ“ publik gemacht, weil diese, so der Germanist, „bis heute sz schreibt, wo die SZ ss schreibt“.

In diesem Zusammenhang wies der Germanist auf einen am Tag der Enthüllung veröffentlichten Kommentar des „FAZ“-Herausgebers Frank Schirrmacher hin, in dem dieser erklärt hatte, Grass sei entgegen der üblichen Waffen-SS-Gepflogenheiten zwar nicht mehr tätowiert worden, weil dafür die Zeit gefehlt habe, dennoch trage er bis heute „das Mal“ der SS an sich. Der Literaturwissenschaftler bezichtigte Schirrmacher in diesem Zusammenhang der „Verbreitung gefährlichen Halbwissens“. Er verwies auf die Tatsache, dass Günter Grass 1927 in Danzig unter dem Namen Günter Graß geboren wurde. Nachforschungen des Germanisten zufolge kam es dann 1944 an der Ostfront zu folgendem Wortwechsel zwischen Grass (zu diesem Zeitpunkt noch Graß) und Heinz Harmel, dem Kommandeur der SS-Panzer-Division Frundsberg:

Harmel: „Panzerschütze Graß, Sie haben die Wahl: Tätowierung – oder Namensänderung!“

Graß: „Keine Tätowierung, Herr Gruppenführer! Gegen Tinte bin ich allergisch!“

Unter massivem Druck, erklärte der Germanist, habe sich „SZ-Graß dann in SS-Grass umbenannt“. Die Enthüllung löste unter Intellektuellen im In- und Ausland kontroverse Reaktionen aus. Frank Schirrmacher schrieb in einem neuerlichen „FAZ“-Kommentar, er nehme „mit Verdruß zur Kenntniß“, dass Grass „nunmehr auch in linguistischer Hinsicht nicht mehr das Gewißen dieser Nation“ sei. „SZ“-Chefredakteur Hans Werner Kilz entgegnete, auch für ihn sei die Affäre „eine grosze Enttäuschung“. Der Rat für deutsche Rechtschreibung erklärte, die Enthüllung werde „mitnichten zu einer Rücknahme der Reform“ führen.

Dies hatte zuvor der polnische Staatspräsident Lech Kaczynski gefordert, der zudem die Umbennung von Günter Grass’ Geburtsstadt Danzig (polnisch: Gdansk) in „Aouiea“ (deutsch: Stadt ohne Konsonanten) ankündigte. Als „Zugeständnis an die internationale Gemütslage“ erklärte der Rat für deutsche Rechtschreibung: „Verhandelbar ist eine Umbenennung der Waffen-SS in Waffen-ß.“ Ein namhafter deutscher Osteuropaforscher kündigte unterdessen weitere Enthüllungen über Grass in einer „großangelegten Studie über kaschubische Zischlaute“ an. Des Weiteren stellte ein Berliner Journalist die Frage: „Darf man über so was eigentlich Gloßen schreiben?“

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