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Kultur: Das Schloss

Thomas Lackmann liest Franz Kafkas Beitrag zur nationalen Tagesdebatte Keine Witze über patriotische Symbole! Deshalb soll zur Feier des Tages der unkomischste Dichter seit Schiller zitiert werden.

Thomas Lackmann liest Franz Kafkas Beitrag zur nationalen Tagesdebatte

Keine Witze über patriotische Symbole! Deshalb soll zur Feier des Tages der unkomischste Dichter seit Schiller zitiert werden. Franz Kafkas berühmte Schiedsrichterparabel („Dieses Tor war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe es") hat eben erst unseren WM-Event begleitet; sein dickstes Fragment möge uns helfen, die Berliner Gegenwart zu verstehen. „Das Schloss" handelt von dem Herrn K., welcher sich in einem Dorfgasthof als Landvermesser ausgibt, weshalb ihn Beamte des nahen Schlosses als Landvermesser engagieren, obwohl sie einen solchen gar nicht benötigen. 20 Kapitel lang treibt er sich mit Amtsgängen und Amouren im Dorf herum, ohne das Schloss je zu betreten. Die Rede vom Schloss ist schon das Schloss? Immerhin erblickt K. das Objekt seiner Projektion mit eigenen Augen:

„Es war weder eine alte Ritterburg, noch ein neuer Prunkbau, sondern eine ausgedehnte Anlage, die aus wenigen zweistöckigen, aber aus vielen eng aneinander stehenden niedrigen Bauten bestand; hätte man nicht gewusst, dass es ein Schloss sei, hätte man es für ein Städtchen halten können... Im Näherkommen enttäuschte ihn das Schloss, es war doch nur ein recht elendes Städtchen, aus Dorfhäusern zusammengetragen... Der Turm oben – der einzig sichtbare – ... war ein einförmiger Rundbau, zum Teil gnädig von Efeu verdeckt, mit kleinen Fenstern, die jetzt in der Sonne aufstrahlten - etwas Irrsinniges hatte das –, und einem söllerartigen Abschluss, dessen Mauerzinnen unsicher, unregelmäßig, brüchig, wie von ängstlicher oder nachlässiger Kinderhand gezeichnet, sich in den blauen Himmel zackten. Es war, wie wenn ein trübseliger Hausbewohner, der gerechterweise im entlegensten Zimmer des Hauses sich hätte eingesperrt halten sollen, das Dach durchbrochen und sich erhoben hätte, um sich der Welt zu zeigen."

Kafka interpretiert man nicht. Es ist müßig zu grübeln, ob da etwa mit dem armen Dorf das bankrotte Berlin gemeint sein soll, beglänzt von seinem Wolkenkuckuckspalast, oder ob die Chiffre K. nun für Kultursenator, Kanzler, Kommunale Selbstbeteiligung oder Kleihues steht. Kafka meditiert man! Selbst seine Striche geben uns zu denken, wie zum Beispiel: „Das Schloss ist schon an sich unendlich mächtiger als ihr, trotzdem könnte noch ein Zweifel daran sein, ob es gewinnen wird, das aber nützt ihr nicht aus, sondern es ist, als ginge euer ganzes Streben dahin, den Sieg des Schlosses unzweifelhaft sicherzustellen, deshalb fangt ihr plötzlich ganz grundlos mitten im Kampf euch zu fürchten an und vergrößert damit euere Ohnmacht.“

Mitten im Kampf? Sorry, der Roman, Anno 1922, stammt aus dem Jahrhundert der Klassenkämpfe. Wir selbst, logo, begrüßen das Schloss als Geschenk an künftige Generationen, die es dann abzahlen dürfen. Das Spiel um die symbolische Mitte – „Dieser Platz war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und mache einen Golfplatz daraus“ – hätte ja noch ganz anders ausgehen können (wenn erst die Generation Golf ans Ruder kommt).

Der selige Franz, er wird schon wissen, warum er das mit dem Kampf gestrichen hat.

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