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Eröffnet wurde der Abend in der Philharmonie mit einer traumschönen Mozart-Symphonie.   

© Frederike van der Straeten

Das Schöne und das Biest: Die Philharmoniker und Petrenko suchen Brahms mit der Gegenwart heim

Das letzte große Philharmoniker-Konzert vor der dreiwöchigen Asien-Tournee zeigt einmal mehr, wie sehr sich die Klassik mit der Tagesaktualität verändern kann.

Was für ein grimmiger, wütender Brahms. Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker gehen bei der 4. Symphonie von Anfang an unerbittlich zu Werke. Schon der leicht verwehte, melancholische Beginn des Kopfsatzes in den Streichern und Flöten verdichtet sich rasch und schlägt ins Massive um, als schöbe sich ein Panzerkreuzer durch sanft gekräuselte Meereswellen. Nachdrücklich auch das Andante, mit extremem Legato: In den blickdichten Klangarchitekturen hat das Melodische kaum eine Chance.

Der Finalsatz, die Passacaglia mit ihren 30 Variationen und acht Kontrabässen, die so beharrlich wie hingebungsvoll das Thema der aufsteigenden Tonleiter wiederholen, bringt ebenfalls keine Erlösung. Sogar das traumschöne Flötensolo (Sébastian Jacot) klingt fast verzweifelt. Der Sehnsuchtsgesang wird zum Fanal.  

„Wie ein dunkler Brunnen ist dieses Finale; je länger man hineinschaut, desto mehr und hellere Sterne glänzen uns entgegen“, schrieb der mit Johannes Brahms befreundete Kritiker Eduard Hanslick über dessen 4. Symphonie.

An diesem Abend ist der Himmel verhangen. Da geht man ins Konzert, um wenigstens für zwei Stunden die düstere Weltlage zu vergessen, die Kriege, Krisen, Dilemmata. Aber Kirill Petrenko fördert Brahms‘  Durchlässigkeit für die Gegenwart zutage. Die Vierte wird behelligt von den Erschütterungen dieser Tage, erweist sich gleichermaßen als wehrhaft und versehrt.

Jeder Schönklang will erkämpft und verteidigt sein: Bei Alban Bergs „3 Orchesterstücken“ op. 6 liegt der Gedanke nahe, nicht nur im „Reigen“ mit seinen in alle Winde zerstreuten Walzertakten. Sondern auch dann, wenn das mit großbesetzte Werk im „Marsch“ zwar mit rüdem Hammerschlag endet, aber nach all den vergeblich sich aufbäumenden Tutti-Aktionen kurz vor Schluss wenigstens einzelne verirrte Soli aufscheinen.

Wie klug der Abend programmiert ist, erweist sich auch im Rückblick auf Mozarts Symphonie Nr. 29 KV 201, die das Konzert eröffnete. Schulterzuckend und tänzelnd animiert Petrenko die Philharmoniker zu einer derart grazilen A-Dur-Symphonie, dass man vor lauter Glück am liebsten gleich mit über die Tanzfläche schweben würde. Sehr behutsam, freundlich, flüchtig, mit ausgefeilter Dynamik bis zum Schlusssatz, trotz der energisch intonierten Mannheimer Rakete. Wobei die Fragilität solcher Schönheit schon zu erahnen ist, wenn man nur darauf achtet, wie Mozart eher Bruchstücke funkeln lässt, als dass er für einen eleganten Melodiefluss sorgt.   

In der nächsten Woche gehen die Philharmoniker auf eine dreiwöchige Asien-Tournee. Wie wohl die Koreaner und Japaner den grimmigen Brahms finden werden, weit weg von den Kriegen in Europa und Nahost?  

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