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Kultur: Das Spiegelkabinett

Helmut Kohl taucht ab.Halb verdeckt von der Rahmenkonstruktion des Plenarsaals, ist sein Profil hinter der Scheibe noch schemenhaft auszumachen.

Helmut Kohl taucht ab.Halb verdeckt von der Rahmenkonstruktion des Plenarsaals, ist sein Profil hinter der Scheibe noch schemenhaft auszumachen.Um ihn herum finden sich Abgeordnete in kleinen Gruppen oder schieben sich in langen Reihen Stufen des Saales hinab.Im Bundestag wird abgestimmt.Andreas Gursky hat dieses Foto erst vor wenigen Wochen für die Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg fertiggestellt.Dank der technischen Brillanz, die er mit seiner Plattenkamera und einer ausgewogenen Lichtführung erzielt, läßt sich noch das letzte Detail der knapp drei Meter großen Aufnahme dechiffrieren, selbst die zarten Spiegeleffekte in den Oberlichtern des Plenarsaals, welche die Szene verdoppeln.Der Bundestag - eher Spiegelkabinett als Elfenbeinturm.Der Betrachter wird mit einer Alltagsszene konfrontiert, monumental und mikroskopisch präzise, scheinbar objektiv dokumentiert, doch malerisch strukturiert.Vor allem den formalen Aufbau seiner Arbeiten hat Gursky in letzter Zeit stärker betont.Die Wolfsburger Schau stellt diese Entwicklung mit 24 großformatigen Werken unter Beweis.Seit 1992 bearbeitet Gursky Fotomaterial am Computer nach.Nicht um Verfremdungseffekte geht es ihm, vielmehr um eine Komposition, in der alles Störende getilgt ist und das Wesen klarer hervortritt.Die Welt erscheint, wie sie sein könnte.Analyse des Sichtbaren: Er fotografiert Aktienbörsen in Hong Kong und New York, Technopartys in der Philipshalle oder nimmt den Labelfetischismus ins Visier, indem er Markenschuhe in einem Regal wie in einer Museumsvitrine arrangiert.Im Unterschied zu seinen Kollegen Thomas Ruff und Thomas Struth arbeitet er nicht ausdrücklich in Serien.Doch ähneln seine Schauplätze einander, so attraktiv sie sein mögen.Indem er Szenarien strengeln Regeln seiner Bildordnung unterwirft, wirken sie wie austauschbare Phänomene einer Massengesellschaft.Sein Interesse gelte der Gattung, nicht dem Individuum, hat der 43jährige betont.Seine bevorzugte Perspektive ist die Totale.In einem Brief an Veit Görner, den Kurator der Wolfsburger Präsentation, schreibt Gursky von seinem Wunsch, "Übersicht zu behalten und die Welt in den Griff zu bekommen".

Im Kunstmuseum Wolfsburg: bis 23.August.

KRISTINA TIEKE

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