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Ein Herz für Götter. Marianne Lehmann in ihrem Voodoo-Haus in der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince.

© Jens Grossmann

Voodoo-Kunst: Das tägliche Beben

Die Schweizerin Marianne Lehmann hütet in Haiti eine einzigartige Voodoo-Sammlung. Nun sind ihre Schätze in Berlin zu sehen. Ein Besuch bei der Sammlerin in Port-au-Prince.

Sie kann sich nur mühsam bewegen mit ihrem vierbeinigen Krückstock, eigentlich müsste die Hüfte operiert werden. Aber davon will Marianne Lehmann erst mal nichts wissen. „Für die 26.000 Dollar, die das kosten soll, kaufe ich doch lieber noch ein paar Bizango-Krieger, oder?“, lacht die streitbare Bewahrerin der Voodoo-Kultur Haitis daheim in Port-au-Prince.

Bizango-Krieger sind die Leidenschaft der 73-jährigen Schweizerin mit den schlohweißen Haaren, die ihr den Hauch eines Geistes verleihen. Die Kultgegenstände des Bizango-Voodoo waren lange Zeit auch in Haiti den meisten Menschen unbekannt, ihre heiligen Figuren wurden vor der Öffentlichkeit geheim gehalten. Zahlreiche der mehr als menschengroßen Figuren mit Menschenschädeln werden ab Dienstag im Ethnologischen Museum in Berlin-Dahlem gezeigt.

„Die Figuren sind wirklich außergewöhnlich“, schwärmt auch die zierliche Tochter des obersten Voodoo-Priesters des Landes, Rachel Beauvoir-Dominique. „Ich bin mit Voodoo aufgewachsen, aber diese Figuren kannte selbst ich nicht“, erzählt die Anthropologin mit US-Studium. Die Voodoo-Spezialistin kommt zur Eröffnung der Ausstellung nach Berlin. Anschließend wird sie zu einem Treffen der Internationalen Museumsvereinigung reisen, auf der es um eine rote Liste schützenswerter Kulturgüter geht. Sie ist froh, dass nun auch die Kultur des Voodoo dazugehören soll. „Meist wird nur über die Kultur der reichen Eliten geredet, Voodoo ist die Kultur des Volkes.“

Diese Kultur, da sind sich die beiden Frauen einig, ist völlig verkannt und klischeebeladen. „Diese blöden Voodoo-Puppen“, schimpft Marianne Lehmann. „Ich habe in all der Zeit nur eine einzige gesehen.“ Zombies, blutige Opferrituale, von all den finsteren Hollywoodfilmen wollen sie nichts hören. Auch wenn sie wissen, dass einiges am Voodoo durchaus furchtbar ist. Aber was wolle man erwarten nach den Grausamkeiten, die die Kolonialherren den aus afrikanischen Ländern herangeschafften Sklaven angetan haben. „Arme wurden da abgeschlagen, Beine wurden abgeschlagen, Nasen wurden abgeschlagen“, erregt sich die alte Dame. „Da muss man sich nicht wundern, dass diese Bizango so furchtbar sind.“

Von der katholischen Kirche und radikalen Protestanten wurden Voodoo-Anhänger verfolgt, Tempel wurden geschändet, heilige Gegenstände verbrannt. Da musste vieles im Verborgenen bleiben. Die Machthaber hatten Angst vor den Versammlungen ihrer Sklaven und deren Voodoo-Riten, gespeist aus 21 Nationen mit insgesamt 401 Loas, ihren Gottheiten. Rachel Beauvoir-Dominique nennt den Voodoo Haitis einen Mikrokosmos Afrikas.

Doch diese Kultur ist nun in Gefahr. Einen Teil davon versucht die Schweizerin zu bewahren, die 1957 einem haitianischen Jurastudenten in seine Heimat folgte. 1971 ging die Ehe in die Brüche, aber die Mutter von vier Kindern blieb in Port-au-Prince. Sie wurde zur Hüterin des Voodoo-Schatzes berufen, als eines Tages ein Mann mit einem Sack im Schweizer Konsulat auftauchte, wo sie arbeitete. Darin eine 50 Zentimeter große Figur, „ein kleines Männlein mit drei Hörnern und Pfeife, fast wie ein Gartenzwerg. Ich dachte erst an etwas Österreichisches“, erinnert sich Marianne Lehmann in ihrer vollgestopften Wohnung im Stadtteil Petionville, zwischen zahlreichen Katzen und dem Mobiliar von Bekannten, die beim Beben ihre Bleibe verloren haben.

Es war kein Gartenzwerg, sondern Papa Bossou, ein Symbol der männlichen Fruchtbarkeit aus einem Voodoo-Tempel. Der Mann wollte damit die Brustkrebsoperation seiner Mutter finanzieren. „Eigentlich trennt sich kein Voodoo-Priester von seinen Gegenständen.“ Marianne Lehmann war entsetzt, dass diese heiligen Dinge verkauft werden sollten. „Das muss man doch retten, sonst kommen die Amerikaner mit ihren großen Füßen.“ Diese sakralen Dinge sollten nicht über Galerien in private Hände verstreut werden, wo sie niemand anders mehr sehen könne. Es sprach sich herum, dass sie Voodoo-Gegenstände ankaufe. „Alle kamen, ich musste mich fast mit einem Schießgewehr verteidigen“, lächelt sie etwas schief durch ihren roten Lippenstift, eine Brücke ist gebrochen, aber beim Zahnarzt waren alle Geräte ausgefallen. Sie muss sich gedulden.

Irgendwann war ihr kleines Haus in der Rue Gregoire überfüllt, jeden Morgen stieß sie sich an einem hölzernen Drachenkopf die Füße. Mit Hilfe von „Muttile“ und ihrer Schwester kaufte sie schließlich noch ein Haus gegenüber. Bei dem verheerenden Erdbeben am 12. Januar hatten sie hier Glück. Ein paar Risse und verdammt viel Staub – aber die Sammlung mit fast 3000 Stücken hat diesen Schock unbeschadet überstanden. 369 Stücke davon sind in Berlin zu sehen.

Riesige Figuren sitzen in Port-au-Prince schon hinter dem vergitterten Eingang. Ein gefesselter Krieger im Kettenhemd, eine aufgedunsene Riesenpuppe mit Strohhut, Zigarre, Sonnenbrille und imposanter Metallkette um den Hals, Figuren mit bizarr verspiegelten Augen, daneben mehrere Meter hohe Zeremonienspiegel und dazu gehörende hochbeinige Stühle, von denen aus die Voodoo-Priester ins Jenseits blicken, Totenschädel, bemalte Flaschen für Heilkräuter und früher auch für Gift gegen den einen oder anderen Peiniger.

In jedem Winkel, in jedem Zwischenstockwerk, auf jedem Podest, selbst im Garten stehen und liegen Figuren, magische Trommeln wie die menschenhohe Asoto, die nur einmal im Jahr geschlagen wird, im zweiten Stock, der kleine Kindersarg in einem Regal, den sie „Die Mutter“ nennen – „der härteste Tod von allen“, sagt Rachel Beauvoir-Dominique, während sie schon zu den Räumen mit den zahllosen Bizango-Kriegern mit ihren mächtigen Körpern und teils unwirklich klein erscheinenden Köpfen weitereilt.

Eine bizarre Sammlung ist da zusammen gekommen. Und diese Schätze brauchen ein neues Zuhause. Sie müssten aufgearbeitet und vor Insekten geschützt und den Menschen zugänglich gemacht werden. „Wenn ich jemand Seriöses fände, vielleicht ein Museum, würde ich die Sammlung sogar in andere Hände geben“, sagt Marianne Lehmann ein klein wenig müde. Damit die Sammlung nicht in Erbstreitigkeiten doch noch zerfällt, ist sie bereits in eine Stiftung überführt, in der auch Rachel Beauvoir-Dominique dabei ist. Sie hat längst eine konkrete Vorstellung, wie das Voodoo-Museum aussehen soll. In Petionville soll es sein, dort, wo die Leute zu Hause sind. Nur sie können diese Schätze schützen, glaubt sie.

Und Platz sollte das Vodou-Center haben, denn es soll die Kultur lebendig halten. „Mindestens einen Hektar brauchen wir“. Das Ausstellungsgebäude, ein botanischer Garten für die vielen Kräuter und Pflanzen, („Voodoo ist stark mit der Natur verbunden“) und eine Art Pufferzone. Workshops soll es geben, dort sollte Toleranz gelehrt und Vorurteile abgebaut werden – um den Haitianern ihre Komplexe zu nehmen. Über die Pufferzone könnten die Besucher sich dem Kult langsam nähern. Und so wollen die Voodoo-Damen auch dem Bevölkerungsdruck entgegenwirken und die Sammlung schützen.

Ihr bürgerliches Viertel rückt immer mehr in die Mitte der Hauptstadt, nur hundert Meter weiter liegen zwei riesige Flüchtlingscamps. „Sie werfen uns den Müll und die Kacke über den Zaun“, sagt die Priestertochter. Und der stetig steigende Verkehr setzt der Sammlung zu. „Das Haus vibriert ständig.“ Es ist gleichsam das tägliche Beben.

Nicht in allem sind sich Rachel Beauvoir-Dominique und Marianne Lehmann einig, aber beide sind entsetzt, wie die Menschen noch vier Monate nach dem Erdbeben in Haiti leben müssen. Wo doch das Land Bodenschätze hat. Sie könnten es keine zwei Tage in den Camps aushalten. „Ich bin sicher, dass es einen Volksaufstand geben wird“, sagt Marianne Lehmann mit Blick auf das Bebenopfer-Lager unter Planen an der Place St. Pierre . Die Menschen könnten nicht weiter leiden.

Und irgendwie könnte ihnen da vielleicht auch der Voodoo ein wenig helfen. Mit dem Beben seien viele demütig geworden, machten sich kleiner als sonst, beschreibt Rachel Beauvoir-Dominique ihre Sicht der Dinge und macht eine Handbewegung gen Boden. Es habe auch eine Annäherung zwischen den Religionen gegeben. Ökumenische Gottesdienste mit evangelischen, katholischen und Voodoo-Priestern.

Marianne Lehmann mag sich insgeheim noch etwas anderes denken. Der Ausdruck ihres noch immer schönen Gesichts wird sehr weich, als sie am Hüter ihres Hauses vorbeischreitet. Der steinerne Boukman, Initiator des Sklavenaufstands, der zur Befreiung Haitis führte, sitzt majestätisch im Vorgarten unter dem riesigen Mimi-Baum. „Wenn ich ihn sehe, bin ich voller Freude“, sagt die Hausherrin und lächelt in die Nachmittagssonne.

Die Ausstellung „Vodou – Kunst und Kult aus Haiti“ ist vom 18. Mai bis 24. Oktober im Ethnologischen Museum in Berlin-Dahlem, Lansstr. 8, zu sehen: Di–Fr 11–18 Uhr, Sa/So 11–18 Uhr.

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