zum Hauptinhalt

Kultur: Das Tier in mir

Fantasie für alle: Das Disney-Musical „Die Schöne und das Biest“ im Theater am Potsdamer Platz

Im Theater am Potsdamer Platz herrscht seit einigen Wochen heftiger Durchgangsverkehr: Die „Blue Man Group“ war schon Ende Januar ausgezogen, nach schräg gegenüber ins ehemalige Imax- Kino, damit sich das Musical-Haus für die zwei glamourösesten Wochen des Jahres in den Berlinale-Palast verwandeln konnte. Noch während die Filmfestspiele liefen, begannen bereits die Aufbauarbeiten für die neue Show, die am Freitag ihre Galapremiere erlebte: Disneys „Die Schöne und das Biest“. Aus Oberhausen kommt die Produktion, ein getreues Abbild jener New Yorker Inszenierung, die seit 1994 ununterbrochen am Broadway läuft. Inspiriert wurde die Bühnenversion wiederum vom 1991 entstandenen Disney-Zeichentrickfilm.

25 Millionen Menschen in 13 Ländern haben „Die Schöne und das Biest“ mit der Musik von Alan Menken („Aladin“, „Die kleine Meerjungfrau“, „Little Shop of Horrors“) bereits gesehen. Da kann ja nichts mehr schiefgehen. Tut es auch nicht: Am Potsdamer Platz schnurrt perfektes Entertainment ab. Mit viel Kunstnebel und aufwendiger Pyrotechnik, 200 Perücken, 180 Paar Schuhen (Ausstattung: Miguel Angel Huidor), mit von Zauberhand einschwebenden Dekorationen (Bühne: David Gallo) und einem Ensemble, das mindestens so lauffreudig ist wie der Chor der Komischen Oper in den Inszenierungen von Andreas Homoki.

„Die Schöne und das Biest“ ist eine Show mit Hybridantrieb: Melodram und Klamauk, grand opéra und Volkstheater, Kitsch und Ironie, alles wird hier furchtlos zusammengemischt. An evening of tears and laughter für die ganze Familie (falls sie sich die unsubventionierten Ticketpreise zwischen 30 und 90 Euro leisten kann). Identifikationsfigur Nr. 1 ist natürlich der verzauberte Prinz, dazu verdammt, als Mischung aus Widder, Keiler und Hippie herumzulaufen. Obwohl der Norweger Yngve Gasoy-Romdal die Rolle schon lange singt, gelingt es ihm, der Bombastballade des Biests spontan wirkende Emotion zu verleihen. Seinen Gegenspieler in der Premierenbesetzung gibt Kevin Kraus, der zurechtgemacht ist wie der junge Elvis und seine Hüften vorteilhaft beim Pogo in der Dorfschenke einzusetzen weiß.

Objekt beider Begierde ist Leah Delos Santos. So naiv diese Belle auch daherkommen mag, ihre Rolle ist die interessanteste. Die unabhängige, selbstständig denkende junge Frau wird dank ihrer geradezu berlinischen Kessheit nicht nur zur Biestbezwingerin, sie ist auch ein wandelndes Plädoyer dafür, zu seinen Leidenschaften zu stehen. In ihrem Fall ist es die Literatur: Als Bücherwurm wird sie von der tumben Dorfgemeinschaft verlacht. Alphabeten als Außenseiter – da bekommt das Musikmärchen aus dem plüschigen Pseudo-Mittelalter plötzlich einen Bezug zur Alltagsrealität der Zuschauer. Prädikat: wertvoll.

Der zweite Clou des Stücks ist, dass es neben den hochherzigen Herrschaften kein obligatorisches Buffo-Paar gibt, sondern gleich eine ganze Komödiantentruppe: Die sprechenden Möbel, die tanzenden Teller, Tassen und Bestecke sind einfach umwerfend, wenn sie – das gehört bei diesem Service zum Service – „Sei unser Gast“ schmettern, das Dinner zur mitreißend-glamourösen Varieté- Nummer machen. Und Uli Scherbel zeigt dazu als leicht entflammbarer Kerzenständer Lumière das bezaubernste Lächeln östlich der 42. Straße.

Deutschland ist der drittgrößte Musicalmarkt der Welt – und natürlich ein föderaler: Nicht in einer Stadt oder an einem hot spot konzentriert sich das Business wie am Broadway und dem Londoner Westend, sondern flächendeckend dezentral. „Stage Entertainment“, der bundesrepublikanische Marktführer, generiert mit seinen zehn Häuser in Hamburg, Stuttgart, Essen, Oberhausen und Berlin 330 Millionen Euro, die Hälfte des Jahresumsatzes. 2500 Mitarbeiter beschäftigt der weltweit agierende Unterhaltungskonzern hierzulande – und ist weiterhin expansionsbegierig: Sechs neue Shows sind derzeit in Arbeit. Nach dem erfolgreichen Strickmuster des Abba-Musicals „Mamma Mia“ wird im Dezember in Hamburg eine Musikkomödie mit Udo-Jürgens-Songs herauskommen, außerdem sollen „Der Schuh des Manitu“ und „Die unendliche Geschichte“ vermusicalt werden. Wer weiß, vielleicht kommt irgendwann ja sogar noch das seit Jahren für Berlin angekündigte Scorpions-Musical „Wind of Change“ zur Bühnenreife.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false