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Kultur: Das Trauma bleibt

Cannes vor dem Finale: Filme von Max Färberböck, Claude Miller und Clint Eastwood

Der ultimative Film über den 11. September ist womöglich schon der erste gewesen, uraufgeführt ein Jahr danach, letzten September auf den Filmfestspielen in Venedig. Es war ein Omnibusfilm namens „11’9’’01 – September 11“ mit Elfminutenspots von elf Regisseuren, von Samira Makhmalbaf bis Ken Loach, von Danis Tanovic bis Claude Lelouch. Ein absichtsvoll unhomogener Patchworkfilm aus Augenblicksideen, ein belebend schmerzhafter Mix aus konträren Regisseurshandschriften: Ein passenderes Echo jenes Ereignisses ließe sich kaum denken. Die Zeit geht weiter, das Trauma bleibt. Und so hatte nun, ein paar Wochen nach dem zweiten Vergeltungskrieg der Amerikaner gegen einen Terrorismus, der sich bester Gesundheit erfreut, in Cannes Max Färberböcks „September“ Premiere, auch dieser Film geboren aus einem Spontanreflex und erstkonzipiert bereits im Oktober 2001.

Das aus vier Drehbüchern (von John von Düffel, Sarah Khan, Matthias Pacht und Moritz Rinke) zusammengeschnittene Werk erzählt vier sehr verschiedene Geschichten und zielt doch auf einen gemeinsamen Beweis: Dieser Tag, von dem es erst hieß, dass nachher nichts mehr wie vorher werde und nach dem bald wieder vieles wie vorher war, hat etwas verändert, in jedem von uns. Ein Thesenfilm also, aber einer, der sich entdecken lässt. Da ist der Banker mit seiner kaputten Ehe, die nachher irgendwie weitergeht, vielleicht auch weil der Mann der abstrakten Verstörung seiner Frau den konkreten Schmerz über den Verlust zweier im World Trade Center umgekommener Kollegen entgegenschreit; da ist der Pakistani, der kein Wort des Mitleids formuliert und damit seine schwangere deutsche Freundin fast vertreibt; da ist der Hamburger SEK-Polizist, der mit seinem kampfeslüsternen „We’ll get them“ einen schwarzamerikanischen Bekannten irgendwann abstößt; und da ist der eitle Kolumnist, der sich auch im weltpolitischen Koordinatensystem immer zuerst einen Reim auf sich selber macht – und es ist seine Freundin, die ihn das endlich, zumindest für einen Augenblick, begreifen lässt. Vier Paarungen, viermal Entfremdung und – vielleicht – Wiederannäherung. Als hätte der 11. September die Menschen auseinander gerissen, um sie erst im langsamen Begreifen zu vereinen: darüber, dass das Weitermachen, aber nur ein verändertes, lohnt.

Am anrührendsten funktioniert dies in der Banker-Episode mit Justus von Dohnányi und der großartigen Neuentdeckung Catharina Schuchmann; am vielleicht schmerzhaft wahrsten in der schwierigen Multikulti-Liebe (Nina Proll und Reé Ifrah), und am unterhaltsamsten, aber auch banalsten in der Mediensatire (Stephanie Stappenbeck und Moritz Rinke). Aber auch das Banale, gibt der Film zu verstehen, soll seinen Platz haben als Echo auf den 11. September. Es war wahrscheinlich ohnehin sein lautestes.

Flucht in die Sommerferien

Kann sein, dass Färberböck („Aimée und Jaguar“) ein bisschen viele Nebengeschichten unterbringen wollte, kann auch sein, dass das Pointillistische des Konzepts mitunter in den arg breiten Strich des Klischees mündete: Dennoch ist „September“ ein achtbarer Versuch, das nur sehr vage gemeinsame deutsche Lebensgefühl jener Monate nach dem Crash und vor dem Afghanistan-Krieg einzufangen. In Cannes wurde der Film in der Nebenreihe „Un certain regard“, immerhin mit Respekt empfangen, was angesichts zunehmend aggressiver Fluchtbewegungen der Kritiker aus den Pressevorführungen keineswegs selbstverständlich ist. Nur fürs Kino (Deutschlandstart: 26. Juni) dürfte er zu spät kommen: Heute, da der Masterplan zur Befriedung der Welt nach amerikanischen Maßstäben unseren Zukunftsbegriff eisern zu prägen beginnt, haben wir längst andere Sorgen. Das französische Kino flüchtet sich lieber in die Sommerferien, am liebsten mit Ludivine Sagnier. François Ozons Entdeckung aus „Tropfen auf heiße Steine“ spielte nicht nur, neben einer wieder einmal sublimen Charlotte Rampling, die Hauptrolle in Ozons „Swimmingpool“ – als lebenshungriges Schlampenwesen, das eine schreibkrisengeplagte britische Krimiautorin in Südfrankreich auf neue Gedanken bringt. Soeben kehrte sie, als Wiedergängerin der Nina aus Tschechows „Möwe“, in Claude Millers „La petite Lili“ in den Wettbewerb zurück: Und siehe, wieder gibt sie ein lebenslustiges Schlampenwesen. Doch Millers Blick auf Tschechow ist trübe, da mag die Sonne über der bretonischen Küste noch so scheinen. Vielleicht ist es auch nur ein fatal französischer Blick: Vor lauter Lebensart und Causerien will beim Speisen im Freien keinerlei slawische Melancholie aufkommen. Die allseits tragische Liebesmühe der Tschechow-Helden interessiert Miller nicht sonderlich, und so reitet die Besetzung – unter anderem Nicolie Garcia, Bernard Giraudeau und, ein nervtötend humorloses Johnny-Depp-Double, Robinson Stevenin – den wunderbar transzendenten Plot der Vorlage bald ganz zuschanden. Statt in den Selbstmord des jungen Kostja alias Julien, flüchtet sich der Film in das fadeste Happyend dieses Festivals.

Ob es überhaupt ein Happyend haben wird? Die Zweifel wachsen. Langzeitbeobachter handeln den Wettbewerb bereits als den schwächsten seit 40 Jahren, und auch Aleksander Sokurow, der mit „Vater und Sohn“ seinem stillen Universum eine diesmal braunstichige, zudem angestrengt homoerotisch getönte Facette hinzufügte, und selbst Qualitätsgarant Clint Eastwood dürften daran wenig ändern. „Mystic River“ – ein Eastwood ausnahmsweise ohne Eastwood, dafür mit einem vorzüglich aufgelegten Ensemble um Sean Penn, Tim Robbins, Kevin Bacon und Laurence Fishburne –, ist als feines amerikanisches Unterhaltungskino immerhin ein audience pleaser; aber allzu routiniert leuchtet die sauber konstruierte Freundesgeschichte nur mehr die Untiefen Bostoner Kapitalkriminalität aus. Und Routine sollte der letzte Grund sein, einen Wettbewerbsfilm in die Nähe der Goldenen Palme zu rücken. Selbst in einem Jahr wie diesem.

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