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Kultur: Das verflixte zehnte Jahr

Dürfen Hollywood-Schauspieler altern? Neuerdings ein bisschen – sogar die Frauen

Ein Mittfünfziger. Von Falten, AkneNarben und Tränensäcken zerfurchtes Gesicht. Mundwinkel: abwärts. Haaransatz: stark zurückweichend. Bewegungen und Bereitschaft zur Kommunikation: reichlich apathisch. Ein alternder Casanova soll das sein – der Held in Jim Jarmuschs neuem Film „Broken Flowers“, der Anfang September ins Kino kommt – einer mit früher extremem beruflichen Erfolg und immer noch jungen Freundinnen. Und doch depressiv: Der 55-jährige Bill Murray spielt diesen Mann, der eines Tages durch einen anonymen Brief erfährt, dass er einen 19-jährigen Sohn haben soll – und nun einige Frauen aufsucht, mit denen er vor 20 Jahren mal zusammen war.

Es treten auf: Sharon Stone (47), Jessica Lange (57), Tilda Swinton (44) und Frances Conroy (53), allesamt als ehemalige Gefährtinnen des traurigen Helden. Der Film zeigt, was aus coolen Typen und jungen Lieben wird: mittelalte Männer und Frauen, die mehr oder weniger gelassen mit dem Leben umgehen. Seine eigentliche Entdeckung aber: Er zeigt, was aus jungen Schauspielerinnen wird – das sieht man im Kino viel zu selten.

Während in der Realität allenthalben geschiedene und verwitwete, getrennte und verlassene Singles den Beziehungsmarkt überschwemmen, tut Hollywood weiterhin so, als spiele sich das (Liebes-)Leben ausschließlich diesseits der 35 ab, insbesondere das von Frauen. Männer wie Jack Nicholson, Robert de Niro, Clint Eastwood und Richard Gere werden gerne auch mit 30 Jahre jüngeren Partnerinnen zusammengespannt, ohne dass der Altersunterschied nur ansatzweise problematisiert wird. Darstellerinnen wie Julia Roberts oder Sandra Bullock dagegen, beide um die 40, dürfen noch hier und da Lehrerinnen und Ehegattinnen, vorzugsweise betrogene, spielen – oder, wie die 44-jährige Meg Ryan in Jane Campions „In the Cut“ – eine einsame Stadtneurotikerin auf der verzweifelten Suche nach Liebe. Ein mutiger Schritt weg vom Niedlich-Komischen in ein neues Rollenfach, bezeichnenderweise unter weiblicher Regie. Nur – gibt es dieses Fach überhaupt?

Die hippen Hollywood-Medienfrauen und Galeristinnen, die Medizinerinnen und Polizistinnen sind Thirtysomethings – oder wenn sie sich gerade anschicken, auf einem dieser Gebiete zu reüssieren, eben Ende zwanzig. Wenn man einmal absieht vom Extra-Genre der Teenager-, College- und Highschool-Filme, lässt der Hollywood-Mainstream nur Frauen zwischen 28 und 38 zu. Frauen ohne Zukunft und fast ohne Vergangenheit. Frauen mit exakt zehn Jahren Zeit zum Leben – in denen Sex, Karriere, Liebe und Kinderkriegen untergebracht werden müssen.

Den Darstellerinnen, die sie verkörpern, ist etwa die gleiche Zeitspanne für ihre Karriere zugedacht. Ein bisschen länger vielleicht, wenn sie sich nicht daran stören, mit Ende 40 noch Mitte 30 sein zu müssen, was Cher, Jessica Lange (demnächst nicht nur in „Broken Flowers“, sondern auch in Wim Wenders’ „Don’t Come Knocking“ zu sehen) und Faye Dunaway mittels aufwendiger Umbauten an der eigenen Physis versucht haben. 78 Prozent der weiblichen Hauptrollen werden, so berichtete Variety 2002, mit Frauen unter 40 besetzt, und darüber war man offenbar in Hollywood selbst verwundert. Schnell wurde eine „Koalition für Alters-Fairness in den Medien“ aus Vertretern verschiedener Berufsverbände und einer „staatlichen Alterskommission“ gebildet: Sie sollte die Produzenten zu mehr interessanten Rollen für ältere Darsteller/innen animieren.

Schließlich steigt das Durchschnittsalter der Kinobesucher ebenso wie das der Gesamtbevölkerung – und höchst erfolgreiche Filme wie „Italienisch für Anfänger“ oder „Brot und Tulpen“, die Liebesgeschichten zwischen leicht ramponierten Durchschnittsmenschen erzählen, bedienen genau dieses Zuschauersegment. Freilich sind dies europäische Autorenfilme – immerhin ein Anreiz mehr für Hollywood, auf den großen Exportmärkten, vor allem Deutschland, nicht länger bloß zuzusehen.

Wer weiß, ob Filme wie „Broken Flowers“ oder unlängst „An deiner Schulter“ mit Joan Allen und Kevin Costner, schon zu den Ergebnissen der Anti-Alters-Kampagne zu zählen sind. Immerhin haben sich neuerdings vor allem männliche Darsteller mutig einem neuen Rollenbild zugewandt: dem des gelassenen, erfahrenen Fiftysomethings, der nicht mehr mit dem Jungsein kokettiert, sondern amüsiert eigene und fremde Umtriebe zur Kenntnis nimmt – etwa Michael Douglas (61), in „Wonder Boys“, Bill Murray in „Lost in Translation“ oder soeben der 51-jährige John Travolta in „Love Song für Bobby Long“.

Authentizität macht eben attraktiv. Weitaus attraktiver jedenfalls als ein Robert Redford (68), der mittels gefärbtem Haar und dicker Schminke immer noch wie ein Fünfundvierziger auszusehen versucht oder ein bis zur Unkenntlichkeit gelifteter Mickey Rourke (52), der soeben mit frischem Glauben nebst Alkoholentzug in „Sin City“ zurück auf die Leinwand fand; ganz zu schweigen von dem botox-paralysierten Sylvester Stallone (59). Immerhin: Derlei Beispiele zeigen, dass auch männliche Darsteller gegen das Alter zu kämpfen haben – wenn auch nicht so wie ihre Kolleginnen.

Und wo sind sie geblieben? Sie spielen eher nicht – wie die wunderbare Susan Sarandon (59), die elegante Sigourney Weaver (56), die herbe Ellen Barkin (46), die schlagfertige Holly Hunter (47), die lakonische Helen Hunt (42), die geheimnisvolle Linda Fiorentino (44) und die stets ein wenig hysterische Theresa Russell (48). Melanie Griffith hat sich ebenso zurückgezogen wie Debra Winger (50), Barbara Hershey (52) und Rosanna Arquette (45).

Und wenn sie dann doch einmal auftreten, dann sind sie Mütter, Krankenschwestern, Lehrerinnen, allenfalls Megären – wie Glenn Close (58) in „The Stepford Wives“. Selbst ein Superstar der frühen Neunziger, Michelle Pfeiffer (48), ist weg vom Fenster, und Sharon Stone, bei Jarmusch in einer kleinen Rolle strahlender denn je, machte jahrelang nur noch in „Gala“ Schlagzeilen. Nur Annette Bening (47) schaffte – ungeliftet, aber souverän – das Unglaubliche: Sie steht nicht nur zu ihrem Alter, sondern spielt es aus. Im Western „Open Range“ war sie so viel mehr als nur der love interest des seinerseits angejahrten Kevin Costner; und in „Being Julia“ gab sie, noch viel direkter, die Theaterschauspielerin, die um 1930 mit eben jener Problematik kämpft.

Was werden sie tun, die jetzt Vierzigjährigen, deren Hollywood-Verfallsdatum naht? Werden sie aufgeben wie ihre Vorgängerinnen oder werden sie als Produzentinnen ihrer eigenen Filme Drehbücher realisieren, die ihnen und ihren Kolleginnen altersgemäße Rollen zugestehen? Meg Ryan, Julia Roberts und Sandra Bullock haben bereits Schritte in diese Richtung unternommen. Firmengründung statt Face-Lifting: womöglich eine Frage der Nachhaltigkeit.

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