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Kultur: Das Wandern ist der Bücher Lust

Wahrscheinlich ist es unangebracht, beim ersten Hahnenschrei des neuen Jahres – kurz nach den Feiertagen – schon wieder an Urlaub zu denken. Allerdings fördert der Lesebetrieb die Ferienstimmung, indem er äußerst betulich in die neue Saison startet.

Wahrscheinlich ist es unangebracht, beim ersten Hahnenschrei des neuen Jahres – kurz nach den Feiertagen – schon wieder an Urlaub zu denken. Allerdings fördert der Lesebetrieb die Ferienstimmung, indem er äußerst betulich in die neue Saison startet. Widmen wir uns also vorerst einem hübschen Freizeitprojekt. Ich dachte da an den spanischen Teil des Jakobsweges.

Dafür gibt es gute Gründe. Abgesehen von der Möglichkeit der inneren Einkehr ist Gehen an der frischen Luft gesund und unterstützt die freie Gedankenzirkulation. Man schlage nach in Johann Gottfried Seumes „Spaziergang nach Syrakus“ oder Robert Walsers „Der Spaziergang“. Zudem dient der Marsch durch hispanische Gefilde mit Sicherheit der Verbesserung der eigenen Spanischkenntnisse und vielleicht sogar der Völkerverständigung. Und das Streckenprofil sieht nicht einmal sonderlich anspruchsvoll aus – kein Vergleich zumindest mit Bergwanderungen in den Alpen oder Pyrenäen. So weit ist alles prima. Nur: Wie verblendet muss man sein, um wochenlang die Nummer 1 der „Spiegel“-Sachbuch-Bestsellerliste zu ignorieren? Dort steht natürlich Hape Kerkelings „Ich bin dann mal weg“. Wenn nur ein Zehntel seiner Leser selbst die Wanderschuhe geschnürt hat, dürfte die Route zwischen Pamplona und Santiago de Compostela heillos verstopft sein. Schaut man genauer hin, wird alles noch viel schlimmer. Wer da alles auf dem alten Pilgerweg unterwegs war und sein Büchlein verfasst hat! Aus den Frühjahrsprogrammen der Verlage strahlen einem jedenfalls etliche Pilger entgegen. Sogar Paulo Coelhos zwanzig Jahre altes Wandertagebuch wird wieder aufgelegt. Hm. Vielleicht war das mit dem Jakobsweg doch keine so gute Idee.

Und noch etwas fällt beim Stöbern in den Verlagsvorschauen auf. Dass Bücher über das Liebesleben von Frauen ab 45 oder die Erkenntnis, der wahre Feind der Frau sei weiblich, im Sachbuchsegment seriöser Verlage auftauchen, verwundert kaum mehr. Zunehmend aber ziehen die Männer nach, die wegen feministischer Zumutungen in ihrem Rollenbild völlig verunsichert sind. Wilde dialektische Seiltänze werden da aufgeführt. Eine „Männer-Bibel“ verkündet: „Die Männer von heute sind auch nicht mehr das, was sie noch nie waren.“ Ein anderer Titel lautet: „Die Männer von heute sind die Frauen von gestern“. Will sagen: Mann ist zum „Weichei“ mutiert – „liebesverwirrt und hilfebedürftig“. Ob man den „alten“ Mann vermissen wird, ist nicht sicher. Vermissen wird man ganz gewiss Wörter wie „Spitzbube“, „Beutelschneider“ oder „Halunke“. Zumindest wäre es schade, künftig ohne sie auskommen zu müssen. Deshalb hat Bodo Mrozek sie emsig und mit dem Spürsinn des philologischen Pfadfinders zusammengestellt. Nun veröffentlicht er eine zweite Lieferung seines „Lexikons der bedrohten Wörter“ (Rowohlt). Von „Allbuch“ über „Fidibus“ und „Hader“ bis „Zaster“ findet sich einiges, was die Variationsbreite des deutschen Vokabulars erahnen lässt. Mrozek stellt sein Buch am 6.1. (21 Uhr) im Roten Salon der Volksbühne vor (Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte) . Beruhigend ist, dass weder „Urlaub“ noch „Ferien“ zum bedrohten Bestand gehört. Wunderbar wandern kann man übrigens auch auf Korsika.

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