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Kultur: Das wilde Tier der Straße

Street-Artisten ziehen mit Sprühdosen und Filzstiften durch die Stadt und hinterlassen ihre Zeichen. Nun zeigt „Nomad“ seine Werke in einer Galerie

Er streift durch Berlin, Farbspritzer auf Kleidung, Händen und Schuhen. Ständig sucht er Orte, Straßen, Flächen, die Platzhalter sein sollen, für Situationen, die es nur in seinem Kopf gibt. Er klebt Plakate an Wände, Aufkleber auf Papierkörbe, zeichnet mit dem Filzstift Graffiti-Zeichnungen auf das Strandgut der Großstadt, auf Sperrmüll. Seine Welt besteht aus Figuren wie Mr. Friendly, der lustige Strichaugen-Lauser, aus Spiegeleiern, die an frisch sanierten Wänden zerlaufen, oder niedlichen Totenkopf-Häschen. Manchmal schreibt er einfach nur seinen Namen, oft schwer entzifferbar: NOMAD.

Einen anderen Namen hat er nicht. Nomads Street-Art ist freundlich, tragisch, cool und herzlich. Die Bedingungen, unter denen sie entsteht, kann er allerdings nur mit dem Wort „Kampf“ umschreiben. Ein Kampf gegen die eigene Faulheit, gegen die Witterung, um und gegen Loyalitäten der Sprüher-Szene, die ihre eigenen harten Gesetze entwickelt hat. So wird Street-Art oft wegen seiner Materialvarianz von puristischen Graffiti-Writern als uncool belächelt oder gar angefeindet. Nicht zuletzt ist Straßen-Kunst ein Kampf um öffentlichen Raum.

Die Zeiten, in denen Nomad die Illegalität von Graffiti faszinierend fand, sind allerdings vorbei. Schließlich ist er „älter als HipHop“, wie er meint, also 34. Auch dass Street-Art zuweilen von Vandalismus und Zerstörung begleitet wird, interessiert ihn nicht. Nomad will sich selbst beobachten, sich selbst reflektieren: „Street-Art schafft dafür die Möglichkeit. Sie gleicht darin dem Kampfsport: Es gibt Meister, Schüler und Regeln. Trotzdem hat ein Künstler genügend Platz, einen eigenen Style zu entwickeln.“ In den Strichen seiner Kollegen erkennt er deren Identität, in der Linienführung die Menschlichkeit. Aber: „Street-Art darf nicht Grafikdesign sein. Auf der Straße wären solche glatten Arbeiten einfach nur eine weitere Werbung. Street- Art setzt dem etwas anderes entgegen: Persönlichkeit.“

In Nomads Fall ist es eine Persönlichkeit ohne Gesicht. Denn seine Werke erfüllen manchmal den Tatbestand der Sachbeschädigung, weshalb er es vorzieht, als Person unerkannt zu bleiben. Gegen die Kommerzialisierung des öffentlichen Raums, in dem vieles, das gesehen werden will, auch bezahlt werden muss, setzt er die Irritation von Zeichen, die das Straßenbild umsonst bekommt.

Deshalb finden Werke von Street-Art- Künstlern selten ins Museum. „Galerien und Museen“, erklärt Nomad, während er die Wände einer Berliner Galerie für seine erste Einzelausstellung bemalt, „kommen mir manchmal vor wie der Zirkus und der Zoo. Alles ist eingehegt, kontrollierbar, präsentierbar. Das wilde Tier Straßenkunst ist doch deshalb so gefährlich, weil jeder sich zu einem persönlichem Urteil durchringen muss: Sehe ich hier Schmiererei, Vandalismus oder doch Kunst?“ Trotzdem hat er in Göteborg, Island und Berlin den Schritt gewagt. Die Ausstellungen sollen den Ausgangspunkt bilden, um Street-Art zu entdecken, sagt er. Aber schon ist im Underground von Ausverkauf die Rede. Noch nie hat Nomad ein Bild verkauft. Auch mit Musikmachen und Plattenauflegen verdient er kaum Geld: „Jedem, der meint, dass ich mich an das Establishment verkaufe, erkläre ich gerne, wie es ist, Klauen gehen zu müssen, weil einfach gar nichts mehr geht.“

Nomad hat seine Heimat Franken früh verlassen. Vier Jahre lebte er auf der Straße, ist viel rumgekommen. Mehrmals hat er sich für ein Kunststudium beworben, immer wurde er abgelehnt. Sein Fotografiestudium hat er aufgegeben. Heute weiß er allerdings Bindungen zu schätzen. Der Respekt, den er von anderen Künstlern der Straße für seine Arbeit erhält, bedeutet ihm alles. Darauf kommt er immer wieder zu sprechen. Erzählt von Freunden, Vorbildern und Inspirationen: „Akim“ und „Zast“ zum Beispiel, hier in Berlin, deren „Jazzstyle-Corner“-Verbund er sich zugehörig fühlt. Ihn faszinieren auch die Urväter des Genres, so der „Original Bad-Boy schlechthin“, Kyselak, ein österreichischer Schelm, der im 18. Jahrhundert seinen Namen auf die Mauern Wiens und in die Berge schrieb und ritzte. In seiner – von ihm „Informationszentrum“ genannten – Ausstellung wird er dem Ur-Writer eigens eine Wand widmen. Der ganze Reichtum der Straßenkunst solle sichtbar werden: Graffiti, Plakatkunst, Schablonenmalerei, Edding-Tags, Farbroller. Titel: „The Art Of Losing It“.

Street-Art-Künstler verlieren ständig. Kyselaks Name ist auch nur noch an wenigen Stellen in den Bergen zu finden. „Die Kunstwerke sind wie Kinder, die man in die Welt setzt. Du kannst ihnen alles mitgeben, die größte Liebe und Sorgfalt – am Ende werden sie doch verdorben“, sagt Nomad. So übt sich der Lebenskünstler in der Kunst dessen, was er nicht bewahren kann. Doch mögen seine Spuren auch fortgewaschen werden, „Writing“, sagt er, „kann nicht mehr gestoppt und unter Kontrolle gebracht werden. Es bleibt ein menschliches Bedürfnis, im öffentlichen Raum Zeichen zu hinterlassen.“ Und so lacht der Mann, der älter ist als HipHop, auf die Frage, wie lange er sich diesem räudigen Dasein eines Straßen-Nomaden hingeben will: „So lang ich einen Stift dabei habe, Mann. So lang ich einen Stift dabei habe.“

„The Art Of Losing It“, vom 14. bis 28. Juli im compact space (Friedrichstr. 112, Mitte).

Daniel Völzke

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