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Louis Kaplan: Vom jüdischen Witz zum Judenwitz. Eine Kunst wird entwendet. Die Andere Bibliothek, Berlin 2021. 415 S., 44 €.

© Die Andere Bibliothek

Studie zum jüdischen Witz: Das zweischneidige Schwert

Heine und die Folgen: der kanadische Autor Louis Kaplan beleuchtet die Ambivalenzen des jüdischen Witzes.

Als die Juden in die deutsche Kultur eintraten, brachten sie einen spezifischen Humor mit. So lassen es die Witzsammlungen vermuten, die seit Beginn des 19. Jahrhunderts fast ununterbrochen bis in unsere Gegenwart erscheinen. Im Zeichen der Aufklärung hatte die deutsch-jüdische Begegnung einen scheinbar guten Anfang genommen, aber das änderte sich nach der Französischen Revolution.

Die napoleonischen Kriege schufen ein Nationalbewusstsein, das die Juden als Fremde ausgrenzte. In den reaktionären Jahren des Vormärz musste der berühmteste jüdische Humorist der deutschen Literatur, Heinrich Heine, ins Pariser Exil gehen und kehrte nie zurück.

Mit Heine ist der sogenannte „Judenwitz“ verknüpft, die Kehrseite eines Humors, der nicht mehr goutiert wurde, weil er die politischen Verhältnisse kritisch in den Blick nahm. Er störte das Einvernehmen, das der deutsche Bildungsbürger nach dem Scheitern der Revolution von 1848 mit den Machthabern suchte, und wurde als „zersetzend“ empfunden. Mit „Judenwitz“ waren bald nicht mehr Witze gemeint, die Juden über Deutsche machten, sondern Deutsche verspotteten Juden in Witzen, die deutlich antisemitisch waren.

Vom jüdischen Witz zum Judenwitz

Dieser Übergang ist das Thema der Studie, die der kanadische Kulturhistoriker Louis Kaplan vorlegt. Doch nimmt er nicht das 19., sondern das 20. Jahrhundert in den Blick, genauer: die Zeit zwischen 1918 und den 1960er Jahren.

Aus der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg erwächst das „Dritte Reich“, und zu Beginn des Buches wird Adolf Hitler zitiert, der dem „jüdischen Gelächter“ 1939 den Krieg ansagt. „In der Zeit meines Kampfes um die Macht war es in erster Linie das jüdische Volk, das nur mit Gelächter meine Prophezeiungen hinnahm, ich würde einmal in Deutschland die Führung übernehmen. Ich glaube, daß dieses damalige schallende Gelächter dem Judentum in Deutschland unterdessen wohl schon in der Kehle erstickt ist.“

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Das ist das Grundmotiv der Studie. Chronologisch geht Kaplan den Spuren des Hasses nach, den der Judenwitz in Deutschland erzeugt hat. Im ersten Kapitel beschreibt Arthur Trebitsch alle Mängel, die er an den Juden entdeckt hat. Er selbst ist ein Wiener Jude, der das eigene Volk abgrundtief hasst. Mit Otto Weininger, einem anderen Juden, der sich selber hasste, war er zur Schule gegangen, und 20 Jahre nach dessen Selbstmord schreibt er seine Tiraden fort. Im zweiten Kapitel liest Edward Fuchs antisemitische Karikaturen nach den Regeln der marxistischen Kulturkritik.

Es folgt eine innerjüdische Kontroverse zur Lage des Judentums in der Weimarer Republik. Jüdischen Kabarettisten, die sich kein Blatt vor den Mund nehmen, rät der Central-Verein – eine Schutzorganisation, die den Antisemitismus bekämpft – zur Mäßigung. Im folgenden Kapitel kommt Erich Kahler zu Wort, ein jüdischer Bildungsbürger und Freund von Thomas Mann, der dem jüdischen Witz seine „Frivolität“ nehmen will, aber schon im US-Exil lebt und resigniert auf Europa zurückblickt.

Auf den Spuren des Hasses

Im letzten Kapitel vor der Zäsur des Holocaust wird am Beispiel des NS-Propagandisten Siegfried Kadner gezeigt, „wie die Aneignung jüdischer selbstkritischer Witze den Nazis entscheidend in die Hände gespielt hat, um zu beweisen, dass die Verurteilung der Juden lediglich wiederholte, was die Juden ohnehin über sich selbst sagten“.

Der Antisemitismus lebt auch von der Selbstkritik des jüdischen Witzes: Diese These zieht sich durch das Buch. Schon für Sigmund Freud war die Selbstkritik ein Kennzeichen dieses Witzes gewesen. Im jiddischen Schtetl, wo er entstanden war, spielte sie eine positive Rolle, denn sie rüttelte eine stagnierende Gesellschaft auf. Kaplan aber führt uns diesen Witz in seiner deutschen Metamorphose vor. Erst hier, in der Verfremdung, wird die jüdische Selbstkritik zu der Gefahr, die Kaplan herausarbeitet.

Im letzten Kapitel des Buches erweist sich seine These als fruchtbar. Es ist der Anthologie von Salcia Landmann gewidmet, die unter dem Titel „Der jüdische Witz“ erschien. 15 Jahre nach Auschwitz ist hier unter dem Deckmantel des Humors ein kaum zu entwirrendes Knäuel von philosemitischen und antisemitischen Tendenzen zu beobachten.

Zeitgenössischer jüdischer Humor

Das Buch machte den deutschen Lesern ein mehrdeutiges Angebot und wurde zu einem phänomenalen Bestseller. Kaplans kritische Lektüre der Sammlung ist informativ und erhellend. Landmann ging davon aus, dass der jüdische Witz im Holocaust gestorben sei, und Kaplan merkt an, dass ein Blick nach Israel oder Amerika sie eines Besseren belehrt hätte.

Ihre Sammlung nannte sie ein „Requiem“ für diesen Witz, und mit diesem christlichen Begriff bediente sie ein fremdes Publikum, das keineswegs immer das richtige war. Kaplan weist auch darauf hin, dass sie den „jüdischen Witz“ nirgends vom Judenwitz trennt, der Unterschied war ihr gar nicht bewusst. Kaplans gut recherchierte Studie kommt zur richtigen Zeit. Die deutsche Rezeptionsgeschichte des jüdischen Witzes bietet Einblicke in Mechanismen, vor denen wir uns hüten sollten.

Jakob Hessing

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