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Gefühlspanzer. Eric Packer (Robert Pattinson, hier mit Sarah Gadon) erledigt alles in der Limousine, auch den Sex. „Cosmopolis“ startet am Donnerstag in neun Berliner Kinos, OmU im Central und Odeon, OV im CineStar im Sony Center.  Foto: Caitlin Cronenberg/Falcom

© dpa

David Cronenberg: Im Auto kann es kalt sein

Das Ende der Brüderlichkeit: David Cronenbergs neuer Film „Cosmopolis“ kommt am Donnerstag in die Kinos.

Ein Kollege hat einmal über „The Texas Chainsaw Massacre“ gesagt, dieser Film sei „das Gegenteil von sich wohlfühlen“. Das könnte man auch von David Cronenbergs „Cosmopolis“ behaupten. Der kanadische Regisseur, der seine Karriere selbst mit Splatterfilmen eingeleitet hat, braucht in seiner neuen Produktion freilich keine Horroreffekte, um Unbehagen zu erzeugen. Es genügt, zuzuschauen, wie sein bleicher Star Robert Pattinson im Fond einer weiß glänzenden Stretchlimousine durch Manhattan treibt.

Pattinson, der Upperclass-Vampir aus der „Twilight“-Saga, spielt einen Finanzberater, einen big player, der auf dem Weg zum Friseur sein Vermögen und das seiner Klienten verspielt. Eric Packer, smart und gebildet, hat eine seiner Währungswetten verloren – der Yuan bewegt sich in die falsche Richtung. Eine Finanzkrise zeichnet sich am Horizont ab und ein Aufstand dazu; in den Avenues herrscht Anarchie, Geschäfte und Autos werden demoliert, irgendwann zündet sich auf dem Gehsteig ein Mann an.

Packer nimmt das alles nur gefiltert, durch getönte Scheiben zur Kenntnis; auch Geräusche dringen kaum zu ihm durch. Die Limousine – es gibt eine ganze Flotte davon in Manhattan – ist für Leute wie ihn nicht bloß Transportmittel; sie ist Salon und Schlafzimmer, Logistikzentrale und Panic Room. Vollgestopft mit Konsolen, gepanzert und von Wachpersonal umgeben, erinnert sie an ein Raumschiff. Und Packer selbst erinnert an einen Androiden, der nicht weiß, dass er keine Seele hat. In der Limo erledigt er seine Geschäfte, von der Finanztransaktion bis zum Wasserlassen. Er hat Sex im Wagen, führt philosophische Gespräche. Alle rücken ihm auf den weißen, wächsernen Leib, die Frau, die Geliebte und der Arzt bei der täglichen Rektaluntersuchung, die der Hypochonder sich selbst verschrieben hat... Aber Packer lebt nicht auf diesem Stern. Später wird er ausrasten, irgendwann kapitulieren, alles mit derselben Leidenschaftslosigkeit.

Dass Cronenberg seinem Film – nach einem Abstecher ins Kostümfach mit dem Psychoanalysedrama „Eine dunkle Begierde“ – einen Science-Fiction-Appeal gibt, mutet merkwürdig an. Der Roman von Don DeLillo, der die Vorlage bildet, ist 2003 erschienen, und seine visionären Elemente sind längst Wirklichkeit geworden: Die „Cosmopolis“-Produktion wurde beim Drehstart von der „Occupy“Bewegung eingeholt, die Bankenkrise war bereits in vollem Gange. Und natürlich hat es seit den 80er Jahren Filme über den neokapitalistischen Wahn, das Broker-Business gegeben: Oliver Stones „Wall Street“, die Literaturadaptionen „Fegefeuer der Eitelkeiten“ und „American Psycho“.

Auf dem Papier wirkt „Cosmopolis“ also nicht besonders originell, und der außerordentliche Respekt, den Cronenberg DeLillos surrealen, gestanzten Dialogen entgegenbringt, lässt besonders das Finish lähmend und geschwätzig wirken.

Aber in der gelackten Oberfläche und irritierend eleganten Kameraarbeit steckt etwas Enervierendes, fast Obszönes, das die systemkritische Tendenz des Buchs verschärft. So wie Cronenberg sie herzeigt, wirken die Accessoires des Luxuslebens sehr fremd und unheimlich. Drinks schimmern ölig, Schmucksteine wie Eiswürfel, und wenn sich in Packers Limo mit einem blausilbrigen Schillern das vollautomatische Bordklo öffnet, tut sich ein Blick in die Hölle auf. Kein Film hat bisher auf vergleichbar deprimierende Art spürbar gemacht, wie weit sich die zeitgenössischen Plutokraten vom Rest der Gesellschaft entfernt haben, und wie unbegreiflich reich diese Leute sind.

So reich, dass keine noch so teure Ware ihr Bedürfnis nach Distinktion mehr befriedigen kann. Packer will denn auch etwas kaufen, das man nicht kaufen kann, er will, und das wäre die ultimative „feindliche Übernahme“, die Menschheitsutopie der Brüderlichkeit privatisieren: in Gestalt der berühmten, vom Maler Mark Rothko konzipierten und ausgestalteten Kapelle, die vor vierzig Jahren von einem Philanthropenpaar (die gab es damals noch) in Houston gestiftet wurde. Als Ort der Kontemplation und Versöhnung, der jedem offensteht. Das Motiv der Rothko-Farbfelder nimmt Cronenberg in den Abspann auf: Ihr warmes, erdiges Leuchten entlässt den Zuschauer aus dem kältesten Film der Saison.

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