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Kultur: Dazugehören

Tausche Sex gegen Handy: „Shopping Girls“

„Papa, kaufst du mir ein Telefon?“, fragt Alicja, aber der Papa ist die falsche Adresse, so fertig und familiär ausgemustert, wie er da in der Vorstadtküche sitzt. „Sind Sie der neue Freund meiner Mutter, kaufen Sie mir ein Telefon?“, fragt Alicja den Mann, der ein bisschen später in derselben Küche am Fenster steht. Ja, der neue Freund der Mutter ist er schon, aber nein, er kauft Alicja kein Telefon.

Der Mann, der Alicja schließlich ein Telefon kauft, ist ein wildfremder, der sie für schnellen Sex mit in seine Wohnung nimmt. Seine Beute: sie. Ihre Beute: das Telefon. Nur das Telefon, so stellt es sich beim Vergleich mit den hippen Schulkameradinnen Milena, Kasia und Julia heraus, ist bloß ein ganz billiges. Und wie sagen Milena, Kasia und Julia immer, die in der Shopping Mall das Sagen haben: „Einen Menschen erkennt man schon an seinem Telefon.“

Was tun gegen den extremen Konsum- und Konkurrenzterror, wenn man ein 14-jähriges polnisches Mädchen ist? Man schminkt sich auf 18 hoch und sucht sich einen „Sponsor“ oder auch mehrere, die einem gegen Sex neue Klamotten oder das neueste Handy bezahlen. So verwandelt sich Alicja zur „galerianka“, zum Mädchen aus dem Einkaufszentrum: Erst kommt sie in Ringelhemd, No-Name- Jeans und Schlabberpulli „wie aus der Grundschule“ angelatscht bei den bunten Lackjäckchenmädchen. Dann wird sie von den Lackjäckchenmädchen in fiesem Wechsel gehänselt, gehätschelt, wieder gehänselt. Und bald ist sie reif für die Prostitutionsinitiation.

Eine kühl-nüchterne Geschichte vom Kapitalismus im heutigen Polen erzählt die Regisseurin Katarzyna Roslaniec nach eigenem Drehbuch und in den schrillen Farben der Warenwelt; eine hoch moralische Geschichte auch. Denn Alicja ist verliebt in den schüchternen Michal, der auch nicht so hypergestylt daherläuft, und gegen ihre Einübung in die Käuflichkeit will sie sich zumindest dieses eine, wahre Gefühl bewahren. Das führt erst in eine kleinere und dann in eine große Katastrophe.

Anna Karczmarczyk als Alicja und die anderen Akteurinnen bevölkern diese Moritat vom Marken- und Mädchenkonsum mit verblüffender – oder sollte man sagen: beunruhigender – Selbstverständlichkeit. Als spielten sie das eigene Leben, bewegen sie sich durch einen Alltag aufgelöster Familienstrukturen, in dem nebenbei das stille Stationendrama der Alicja fermentiert. Richtig erschütternd wird „Shopping Girls“ allerdings erst in der späten, minutenlangen Nahaufnahme der Anna Karczmarczyk: Ein Püppchen schminkt sich weinend ab zum Kind, das es ist. Und eine Schauspielerin ist geboren. Jan Schulz-Ojala

fsk und Krokodil (beide OmU)

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