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Kultur: De Randfichten

Diese Woche auf Platz 10 mit: „Lebt denn der alte Holzmichl noch?“

Eine ukrainische Ausdruckstänzerin gewinnt den Grand Prix. Ein rumänisches Lied steht gleich zweimal in den deutschen Top Ten, einmal davon in der Version einer moldawischen Boy Group. Schon werden erste Trendgeschichten geschrieben: Ruslana oder O–Zone mit ihrem potenziellen Sommerhit „Dragostea Din Tei“ seien nur erste Vorboten, heißt es. Die Industrie fantasiert bereits. Aus dem Osten kommt die Hoffnung! Naturbelassene Talente! Biegsame Arbeitskräfte! Offene Märkte! Ex oriente lux! Werden wir nun auch musikalisch ver-ostet?

Wir sind es längst. Da genügt ein Blick in den nahen Osten. Ins Erzgebirge. „Unnerm Haamitland“, wie De Randfichten sagen würden. Thomas „Rups“ Unger (Leadgesang, Akkordeon), Michael „Michl“ Rostig (Akkordeon, Keyboards, Gesang) und Thomas „Lauti“ Lauterbach (Gitarre, Keyboards, Gesang) lassen keinen Zweifel daran, aus welchem Holz sie geschnitzt sind: Sie singen Sächsisch.

Seit Monaten steht das Trio aus Johanngeorgenstadt mit seinem Lied über einen siechen Holzfäller und seine spontane Genesung in den Single-Charts. Der Übergang zwischen Volksmusik, volkstümelnder Musik ist dabei fließend. „Steig ei, mir fahrn in de Tschechei“, schmettern sie frohgemut. „Wu alles e su billig is, do kaafn mir heit ei“. Vielleicht ein Grund mehr dafür, dass das Erzgebirge manchen Menschen als Schmerzgebirge gilt.

Bäume am Rand des Waldes wachsen anders, als jene, die mittendrin stehen. Sie werden nicht so hoch, ihre Stämme sind breiter. Im neueren Sprachgebrauch ist der Ausdruck „Du Randfichte“ mittlerweile sogar als milde Form der Beleidigung zu finden: alternativ zum traditionellen „Landei“. Und Landeier sprechen Dialekt. Mundarten werden allgemein belächelt. Hochsprache ist die Sprache der Bildung und der Macht. In der DDR aber sächselte die Macht. Selbst Menschen, die nicht aus Sachsen stammten, taten das. So werden die preisbewussten Holzhackerbuam heute auch im Westen verstanden, wenn sie singen: „Drham is drham“.

Ralph Geisenhanslüke

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