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Wegzeichen. In der katarischen Wüste stehen seit einigen Jahren die vier senkrechten, rund 15 Meter hohen Stahlplatten von Richard Serra.

© Bernhard Schulz

Dem Bildhauer Richard Serra zum 80. Geburtstag: Die Poesie des Walzstahls

Rund um die Welt ist der große Amerikaner gefragt, in Berlin steht eine gebogene Doppelwand von ihm vor der Philharmonie.

In den staubiggrauen Wüstenboden von Katar hat Richard Serra über eine Strecke von einem Kilometer vier Stahlplatten gerammt, hochkant, um die 15 Meter lang. In der Höhe bilden sie eine schnurgerade, gedachte Linie aus der Unendlichkeit und weiter in sie hinein. „East-West/West-East" heißt diese Installation, und ihr Titel sagt bereits, wie sie zu verorten ist. Gut 70 Kilometer sind es hierher von der Landeshauptstadt Doha, und die letzte Wegstrecke muss man mit dem Allradler nehmen. Das Licht ist so grell, so blendend grauweiß wie der Wüstenboden selbst, dass sich die rostbraunen Stahlplatten nur mehr als Striche in der unwirtlichen Landschaft ausnehmen.

Richard Serra macht, seit er sich in den siebziger Jahren ganz dem Stahl und dessen Dimensionen verschrieb, keinen Unterschied mehr zwischen Drinnen und Draußen. Wie er seine riesigen, gebogenen und in sich verdrehten Ungetüme in geschlossene Räume hineinbringt, irritiert jedes Mal; wie bei den beiden Ausstellungen, die er derzeit in zwei New Yorker Dependancen seines Galeristen Larry Gagosian zeigt.

Dem Eindruck der Enge und Bedrückung, den die Stahlgebilde dort hervorrufen, steht der von Leere und Verlassenheit gegenüber, der sich in der katarischen Wüste einstellt, wo die doch nicht minder großen Stahlplatten optisch zu Stecknadeln schrumpfen.

Serra ist der Virtuose des Stahls, rostbrauner Corten-Stahl, um genau zu sein, den er seit vielen Jahren in einem Siegener Stahlwerk walzen lässt, wo man mit den sphärischen Rundungen seiner „Verdrehten Ellipsen“ und ähnlicher Skulpturen am besten zurande kommt. Frühe Arbeiten bestanden noch aus schlichten, planen Walzstahlplatten, die Serra ohne feste Verbindung gegeneinander lehnte, sodass sie sich kraft ihres Gewichts hielten. Und weiterhin halten, wie die Skulptur „Terminal“ vor dem Bochumer Hauptbahnhof, die zuvor ein Wahrzeichen der documenta 6 in Kassel bildete. Da war sie temporär, das wurde hingenommen. Als das Stahlgebilde aber von der Stadt Bochum angekauft und an sichtbarer Stelle montiert wurde, hagelte es Bürgerproteste. Die Skulptur blieb. Serras Arbeiten sind niemals gefällig, aber nicht auf Provokation aus. Sie sind still und erhaben.

Zehn Jahre später traf es Serra noch ärger, als die Außenskulptur auf einem New Yorker Stadtplatz, „Tilted Arc“, nach einem langwierigen Gerichtsverfahren und ungeachtet der Proteste der liberalen Öffentlichkeit abgeräumt wurde.

Dreißig Jahre später kann man sich solche Reaktionen kaum noch vorstellen. Serra gilt, nach unzähligen Preisen und Würdigungen, als einer der bedeutendsten Bildhauer unserer Zeit, und rund um den Globus hagelt es Aufträge, gerade von öffentlicher Seite. Auch in Berlin steht ein Serra, das doppelwandige, gebogene Werk vor der Philharmonie.

Geboren wurde er 1939 als Sohn einer Werftarbeiterfamilie in San Francisco. Sein Studium der Englischen Literatur Ende der fünfziger Jahre finanzierte er mit Arbeit in einem kalifornischen Stahlwerk. Bereits 1981 erhielt Serra den Kaiserring der Stadt Goslar, 2000 den Goldenen Löwen der Biennale von Venedig, und zwei Jahre darauf wurde er in den Orden Pour le mérite aufgenommen. 2007 schließlich gewährte ihm das New Yorker MoMA eine breite Werkübersicht – der Ritterschlag zum Klassiker.

Serra ist ein Macher, ein Malocher wie sein Vater

Serra ist nicht allzu gesprächig, er ist – jedenfalls nach außen – ein Macher, ein Malocher wie sein Vater. Es gibt auch nicht viel zu sagen. Mit dickem Kohlestift wirft er Skizzen auf große Papierbögen, sogleich versehen mit präzisen Maßangaben. Es sind kraftvolle und zugleich schwebend leichte Zeichnungen, denen das Gelingen der auszuführenden Stahlgebilde bereits eingeschrieben ist.

In die Zwischenräume seiner in den vergangenen zwanzig Jahren häufigen, doppelschaligen oder gar schneckenartig ineinander gedrehten Skulpturen begibt man sich ohne Furcht, diese Ungetüme könnten jemals ins Wanken geraten. Aber gerade ihre scheinbare Unverrückbarkeit verursacht das Gefühl von Bedrängnis, von Ausweglosigkeit, das den eben noch mutigen Besucher befällt. Es sind existenzielle Erfahrungen, die an Serras Werken zu machen sind, ohne dass sie gleich in Worten zu fassen wären.

Richard Serra.
Richard Serra.

© imago/ZUMA Press

„Der Umstand, dass es sich um Stahl handelt, gibt einem ein ganz eigenes Gefühl“, hat Serra einmal im Gespräch erläutert, als wir ihn beim Aufbau seiner Installation im Guggenheim Museum Bilbao besuchten: „Nicht wie Pappe oder Plastik – Stahl ist dicht und fest, das ruft eine andersartige psychische Reaktion hervor.“ Und während er unablässig weiterzeichnete, fügte er, eher mit sich selbst sprechend, hinzu: „Erfahrung muss nicht vermittelt werden. Stell’ dich auf deine eigenen zwei Beine, und das Erlebnis ist unvermittelt.“ Tatsächlich aber ist eine längst eindrucksvolle Zahl von Büchern und Aufsätzen über Serras Werk erschienen, ist jeder Aspekt seiner Arbeit ausgeleuchtet worden – und doch ist die Erfahrung des Betrachters immer neu und immer eigen. Es ist die Erfahrung von Raum und paradoxerweise auch Zeit, obwohl ja die Skulpturen stumm und still dastehen. Doch es braucht Zeit, sie zu erkunden, sich ihnen auszusetzen, sie überhaupt nur zu erfassen, was von keinem Punkt aus jemals ganz gelingt.

Als Kind sah er mit seinem Vater staunend dem Stapellauf eines großen Schiffes zu. „All das Rohmaterial, das ich je benötigte, ist in dieser Erinnerung gespeichert“, erzählt er. Es ist die Erinnerung an die Verwandlung von bloßem Material in Erfahrung, ja: in reine Poesie.

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