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Kultur: Den Kopf hinhalten

Warum der Künstler Hans Scheib seine Skulpturen aus der Nikolaikirche zurückfordert

Der Fall gleicht einer Mischung aus kultureller Posse und museumspolitischem Schildbürgerstreich. Wenn er nicht zum Jahresende noch eine glückliche Wendung nimmt, dann passiert demnächst das: Spätestens Anfang Januar werden in der Berliner Nikolaikirche – mitten in der Hauptstadt, drei Steinwürfe vom Roten Rathaus entfernt – im Wortsinne „tragende“, mit dem Bau seit Frühjahr 2003 verbundene Kunstwerke demontiert und auf Kosten der Stadt in das Atelier des Berliner Bildhauers Hans Scheib zurück expediert werden. Weil sich Berlin in Gestalt seiner Stiftung Stadtmuseum auf Zahlungsunfähigkeit beruft. Für die deutsche Kunsthauptstadt wahrlich ein Armutszeugnis.

Es geht um den Zyklus „Gesichte“. Der 57-jährige Scheib, vor allem dank seiner farbigen, virtuos expressiven Holzplastiken einer der international renommiertesten deutschen Skulpturisten, hatte im Winter 2002/03 für die Nikolaikirche acht Köpfe (und Kopfgruppen) erst in Holz geschnitzt und sie dann in Beton gegossen und bemalt. Die rötlich-terrakottafarbenen Plastiken erinnern dabei bewusst an die grotesken Figuren und Gesichter von Wasserspeiern oder Innendekorationen gotischer Kathedralen. Bezahlt aber wurden die Arbeiten bis heute nicht. Und die Parteien verkehren nur noch per Anwälte miteinander. Dabei geht es um 25 000 Euro, für Berlin notfalls sogar gestreckt und kaum verzinst auf 12 Jahre. Bis 2018. Das macht Kopfschütteln.

In der im 12. Jahrhundert begonnenen Nikolaikirche, dem ältesten, heute säkularisierten Sakralbau Berlins, schmücken Scheibs „Gesichte“ gleich, wenn der Besucher durch den Haupteingang tritt, die Wand und Decke der Orgelempore. Auf die ästhetische und baugeschichtliche Funktion der steinernen Köpfe weist die Stiftung Stadtmuseum, zu der die Kirche als Berliner Denkmal und Ausstellungsstätte gehört, auf einer Tafel neben der Kasse eigens hin.

Dazu muss man wissen: Wie sich die Nikolaikirche jetzt präsentiert, ist durch zahlreiche Rekonstruktionen und Umbauten seit dem 19. Jahrhundert bestimmt. Bei der Restaurierung zum Ende der DDR-Zeit, als man im gesamten Nikolaiviertel ein Stück neuer Berliner „Altstadt“ erstehen lassen wollte, blieben die unter der Orgelempore aus der Wand ragenden Konsolsteine zunächst unbestückte Sockel. Ein nackter, künstlerisch und architektonisch ziemlich unsinniger Anblick.

Im Juni 2002 regte der damalige Generaldirektor der Stiftung, Reiner Güntzer, den vom Stadtmuseum auch anderweitig mit Figurengruppen ausgestellten Bildhauer an, ein Konzept für die leeren Konsolen der Nikolaikirche zu entwerfen. Anfang 2003 kam es dann zu einer mündlichen Übereinkunft „per Handschlag“ (so alle Beteiligten), dass Hans Scheib ans Werk gehen sollte. Im Frühjahr 2003 werden die mittlerweile wie Karyatiden das Deckengebälk stützenden Köpfe von Scheib auf den Steinsockeln plus Beleuchtung montiert. Auf seine Kosten, die sich allein für den Guss, so der Künstler zum Tagesspiegel, „auf 3424 Euro“ belaufen. Warum macht einer das?

„Gewiss nicht nur aus Lust und Laune und für alle Zeit auf eigene Kosten. Herr Güntzer hatte mir damals gesagt, dass das Stadtmuseum für Neuankäufe zur Zeit kein Geld habe. Aber er war mit dem Honorar von 25 000 Euro einverstanden und sprach davon, dass er sich um eine spätere Bezahlung bemühen werde und er ganz zuversichtlich auf Sponsorengelder hoffe.“ Nun ging der langjährige Stiftungschef bereits im Sommer 2006 in Pension und übergab den Vorgang an seine Nachfolger. Güntzer sagt dazu heute: „Unser Sponsor war leider nur willens, für die Restaurierung der Kirche, nicht für die Beteiligung eines zeitgenössischen Künstlers zu spenden. Leider hatte die Stiftung auch keinen großen Rückhalt bei der Berliner Politik. Eine Hoffnung waren noch Lottogelder, aber auch da wurde uns von Seiten des Regierenden Bürgermeisters von einem entsprechenden Antrag abgeraten. Ich bedaure das sehr. Hans Scheib ist ein großartiger Künstler. Doch alles geschah auf sein Risiko. Der Auftrag war freibleibend, die schönen Köpfe sind nur geliehen.“

Der Betroffene kann die „Aussage von Herrn Güntzer gut verstehen“. Denn: „Das ist natürlich seine Sicht. Ich habe halt gutwillig auf die Bemühenszusage der Stiftung Stadtmuseum vertraut und sollte für den Sponsor sogar schon eine Portätplakette entwerfen.“

Jedenfalls wurde Hans Scheib auch nach Güntzers Ausscheiden wegen des angesichts Aufwands, Leistung und öffentlicher Präsentation redlicherweise kaum zu versagenden Honorars mit einer Mischung aus Bedauern und Bemühensbekundung hingehalten. Als der Künstler 2004 einen Anwalt einschaltet, bemängelt die interimistische Leitung des Stadtmuseums plötzlich, dass es sich um Steinabgüsse von Holzplastiken, also womöglich um keine Originale handle. Scheib erklärt darauf, dass das Holz der Haltbarkeit am Kirchenbau nicht genügt habe und die von ihm erstellten und handbemalten Steinabgüsse nach Holzmodellen in jedem Fall Originale seien.

Nach solchen Winkelzügen wird vom Stadtmuseum im Oktober 2005 ein seit längerem vorliegender und bis Ende 2006 befristeter Leihvertrag unterzeichnet. Der amtierende Generaldirektor Kurt Winkler betont in einem Schreiben vom 14. Oktober 2005 gegenüber Scheibs Anwälten, dass die „Bemühungen zur Drittmittelfinanzierung eines Ankaufs weiter verfolgt wurden“, leider ergebnislos. Doch hoffe er auf eine Lockerung einschnürender Vorgaben „im Laufe des nächsten Jahres“, so „dass die inzwischen insgesamt dringenden Erwerbungsnotwendigkeiten des Stadtmuseum eine realistische Chance erhalten“.

Anfang des mit solchen Hoffnungen begleiteten Jahres 2006 hat nun die Dresdnerin Franziska Nentwig die Generaldirektion der Stiftung Stadtmuseum übernommen. Frau Nentwig bekundet gegenüber der Scheib-Partei im Juni 2006 „nach wie vor ein(en) Wunsch“ zum „Erwerb der Objekte aus Drittmitteln“, dem sie aber „realistischerweise auf absehbare Zeit kaum Chancen zubillige“. Sie könne sich nur eine „Dauerleihgabe“ vorstellen. Darum legt die Generaldirektorin dem freien Künstler nahe, „über ein derartiges mäzenatisches Engagement nachzudenken“.

Der verblüffte Scheib macht nun einen vorerst letzten Versuch, seine „Gesichte“ zu wahren, und schlägt erfolglos die Streckung der Zahlung bis 2018 mit zwölf Jahresraten à 2500 Euro vor, was seit 2003 einem Darlehenszins von weniger als ein Prozent entspräche. Dies wird im September abgelehnt, worauf Hans Scheib seine Köpfe vertragsgemäß am 1. Januar 2007 zurückerwartet. „Ich möchte mich vom ursprünglich Gebetenen nicht weiter zum Bittsteller machen lassen.“

Also droht im kunsthistorisch bedeutendsten Berliner Kirchenbau eine blamable Beschädigung. Und die neue Generaldirektorin verschanzt sich im Gespräch hinter bürokratischen Floskeln: „Wir sind eine klamme Stiftung. Der Vorgang muss dahingehend beendet werden, dass der Künstler seine Werke unversehrt zurückerhält. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.“ Obwohl Museumsdirektorin, ist sie für keine ästhetische oder kulturpolitische Wertung zu haben. Auch zum Ansinnen, einen freien Künstler zum Mäzenaten der Hauptstadt zu machen, heißt es: „Kein Kommentar.“

Die Nikolaikirche am Nikolaikirchplatz ist Di bis So von 10 bis 18, Mi 12 bis 20 Uhr geöffnet.

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