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Literaturkritiker Denis Scheck

© Oliver Schmauch

Michael Wolff, James Comey und Richard David Precht: Denis Scheck kommentiert die Bestsellerliste

Einmal monatlich bespricht Literaturkritiker Denis Scheck die „Spiegel“-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch - parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“. Diesmal: Sachbuch.

10) Peter Wohlleben: Das geheime Leben der Bäume (Ludwig, 224 S., 19,99 €)

Dieses Buch des studierten Forstwirts und abtrünnigen Beamten der Landesforstverwaltung ist inzwischen einer der raren Weltbestseller made in Germany. Und das absolut zu Recht. Denn diese Fundgrube dendrologischen Wissens ist mindestens so sehr ein Buch über „Das geheime Leben der Bäume“ wie über das geheime Seelenleben der Deutschen.

9) Manfred Lütz/ Arnold Angenendt: Der Skandal der Skandale (Herder, 286 S., 22 €)

Der Psychiater und Theologe Manfred Lütz versucht die katholische Kirche von ihren Verbrechen etwa während der Kreuzzüge, Inquisition oder Kolonisierung weißzuwaschen. Schützenhilfe holt er sich dabei von dem Theologen und Kirchenhistoriker Arnold Angenendt. So präzis und überzeugend Manfred Lütz und Arnold Angenendt im Einzelnen argumentieren – mich erinnert dieser Versuch an die verzweifelten Bemühungen kommunistischer Parteien weltweit, sich von den in ihrem Namen begangenen millionenfachen Morden seit der russischen Oktoberrevolution zu distanzieren. Die Morde sind ein Symptom, die Ursache aber heißt die früher oder später unausweichliche Pervertierung jeder machtgestützten Religion oder Ideologie.

8) Hamed Abdel-Samad: Integration (Droemer, 272 S., 19,99 €)

In seinem lesenswerten neuen Buch stellt der in Ägypten geborene deutsche Einwanderer Hamed Abdel Samad die Frage: „Was ist bei uns so schiefgelaufen, dass unsere Gesellschaft und unser Bildungssystem Menschen hervorbringt, die die Instrumente der Aufklärung benutzen, um die Aufklärung rückgängig zu machen?“ Seine Antworten fallen spannend, mitunter kontrovers aus. Vor allem stellt er im letzten Teil seines Buches einen plausiblen Plan für eine gelingende Integration auf, der als Handreichung für Politik Behörden und uns Bürger dienen kann.

7) Michael Wolff: Feuer und Zorn (Deutsch von Isabel Bogdan, Thomas Gunkel, Dirk van Gunsteren, Gregor Hens, Werner Schmitz, Jan Schönherr und Nikolaus Stingl, Rowohlt, 480 S., 19,95 €)

Der mächtigste Mann der Welt: ein von Augenblickslaunen beherrschtes Triebwesen, ein Caliban der Macht, ein Mensch mit fehlender Impulskontrolle, gefangen im goldenen Käfig seiner inkohärenten Sätze. Die niederdrückendste Erkenntnis dieses Buches: In Donald Trumps Gehirn geht es offenbar genau so zu, wie Kleinfritzchen sich das vorstellt.

6) Wolfram Eilenberger: Zeit der Zauberer (Klett-Cotta, 431 S., 25 €)

Der frühere Chefredakteur des „Philosophie-Magazins“ und bekennende Fußballfan Wolfgang Eilenberger dribbelt in seinem blendend erzählten Sachbuch elegant und mit langem Atem über den Platz der deutschen Philosophie im frühen 20. Jahrhundert. Die „Zeit der Zauberer“ sind die Jahre zwischen 1919 und 1929, die Meisterdenker der Weimarer Republik und Österreichs heißen Ludwig Wittgenstein, Martin Heidegger, Walter Benjamin und Ernst Cassirer. Alle vier Philosophen suchten in der Sprache den Schlüssel zur Erkenntnis. Eilenbergers packend geschriebene Studie zeigt, wie eng Leben, Liebeshändel und Erkenntnisprozesse miteinander verquickt sind.

5) Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt: Mit den Händen sehen (Insel, 320 S., 22,95 €)

Nichts gegen ein gesundes Selbstvertrauen. Aber diese als Autobiografie getarnte Festschrift mit Jubelstatements von Franz Beckenbauer, Herbert Grönemeyer, Jogi Löw und Co ist eine so dreiste Eigenloborgie, dass der Titel „Mit den Füßen treten“ für dieses Buch des exzellenten Arztes und lausigen Autors Müller-Wohlfahrt angemessener wäre.

4) Peter Hahne: Schluss mit euren ewigen Mogelpackungen! (Bastei Lübbe, 128 S., 10 €)

Dieses Buch ist ein Musterbeispiel für jenen vulgären Populismus, der als Fluch die westlichen Demokratien zu Beginn des 21. Jahrhunderts heimsucht. „Wir lassen uns nicht für dumm verkaufen“ nennt der dumpfe Stammtischmichel Peter Hahne sein Pamphlet, um seine Leser auf 128 inkonsistenten, wirren, abstrusen Seiten – genau: für dumm zu verkaufen.

3) James Comey: Größer als das Amt (Deutsch von Pieke Biermann, Werner Schmitz, Karl Heinz Silber, Henriette Zeltner, Droemer Verlag, 380 S., 19,99 €)

Der geschasste FBI-Direktor James Comey zieht eine autobiografische Bilanz seines Werdegangs, die ihn als Jurist an die Spitze des Inlandsgeheimdienstes führte. Comey denkt darin über die Werte nach, auf der Führung beruht. Am Ende wird es brisant genug: Wie teilt man einem designierten Präsidenten mit, dass das FBI Informationen besitzt, wonach er während einer Moskaureise Prostituierte auf ein Bett pinkeln ließ, in dem Präsident Obama geschlafen hat? Comeys anschauliche Schilderung seiner Begegnungen mit Trump und dessen Team, deren Umgangston Comey an Mafia-Clans erinnert, sind packende Innenansichten aus einem desolat wirkenden Weißen Haus.

2) Bas Kast: Der Ernährungskompass (C. Bertelsmann, 320 S., 20 €)

Dieses Sachbuch zum Thema Essen und Trinken ist besonders informativ, denn Kast stützt sich auf eine Meta-Analyse aller Ernährungsstudien zwischen 1950 und 2013. Zudem besitzt Kast das Talent, komplexe Zusammenhänge mit flotter Feder verständlich zu erklären, und popularisiert den aktuellen Forschungsstand, was die Ernährungsweise für Körpergewicht und die Chance auf ein hohes Alter bedeutet. Sein Fazit, zwölf Regeln für das, was wir zu uns nehmen, deckt sich mit der Erkenntnis des amerikanischen Wissenschaftsjournalisten Michael Pollan: „Essen Sie nichts, was Ihre Großmutter nicht als Essen erkannt hätte“.

1) Richard David Precht: Jäger, Hirten, Kritiker (Goldmann 288 S., 20 €)

Der erstaunlich wendige Fernsehphilosoph stößt mit diesem Buch eine Debatte darüber an, wie wir unsere Zukunft im Zeichen der Digitalisierung gestalten wollen, und entwirft eine Utopie für Deutschland im Jahr 2040. Mit vielen von Prechts Vorschlägen bin ich keineswegs einverstanden. So glaube ich etwa, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1500 Euro im Monat in Deutschland eine Bevölkerung entstehen ließe, die dem römischen Plebs der Kaiserzeit an Amüsiersucht und Grausamkeit in nichts nachstünde. Aber die Diskussion, zu der Precht aufruft, ist in der Tat überfällig.

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