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Kultur: Denn sie wussten, was sie tun

Einwände gibt es genug gegen diesen Film, und viele von ihnen sind anlässlich seiner Erstaufführung im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale geäußert worden. Da hieß der Film "Amen", sozusagen in der französischen Originalfassung, in der allerdings die aus Deutschland, Frankreich, Rumänien, Italien und den USA stammenden Schauspieler Englisch sprachen.

Einwände gibt es genug gegen diesen Film, und viele von ihnen sind anlässlich seiner Erstaufführung im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale geäußert worden. Da hieß der Film "Amen", sozusagen in der französischen Originalfassung, in der allerdings die aus Deutschland, Frankreich, Rumänien, Italien und den USA stammenden Schauspieler Englisch sprachen. Da der Film ausschließlich in Deutschland und Italien spielt, hinterließ allein dies einen merkwürdigen Eindruck. Jetzt aber kommt der Film ins Kino, in einer deutschen Fassung, in denen zwei der Hauptdarsteller, Ulrich Tukur und Ulrich Mühe, sich selbst sprechen dürfen und jede Menge deutsche Nebendarsteller eben auch. Das hilft dem Film, dem vor allem vorgeworfen wurde, trotz aller ausstatterischen Opulenz und guten Absichten des Regisseurs kein Interesse an seinen Protagonisten wecken zu können. Außerdem sei die passiv-lavierende Haltung, die Papst Pius XII. gegenüber dem Nazi-Regime eingenommen habe, längst bekannt, entbehre die Darstellung der komplizierten diplomatischen Beziehungen zwischen Vatikan und Deutschem Reich jeglichen Neuigkeitswertes.

Dieses Verdikt hat der Film nicht verdient; und es besteht kein Zweifel daran, dass Costa-Gavras, der das Genre des Polit-Thrillers - und dazu gehört "Der Stellvertreter" - mit Filmen wie "Z" (1969) oder "Vermisst" (1981) entscheidend geprägt hat, weiß, was er tut. Wenn er Rolf Hochhuths Drama, das aus dem Jahr 1959 stammt und 1963 uraufgeführt wurde, adaptiert und dessen Protagonisten, den SS-Offizier Kurt Gerstein und den päpstlichen Nuntius Riccardo Fontana, in der Distanz lassen will, hat das, so muss man annehmen, seine Gründe.

Zum Beispiel den, dass der Vatikan einer anderen Zeitrechnung unterliegt als der Rest der Welt - er hat schließlich erst vor kurzem zugegeben, dass die Inquisition so nicht ganz in Ordnung war. Dementsprechend sind Holocaust und Zweiter Weltkrieg nach der Vatikan-Rechnung vermutlich gerade erst beendet worden; und es kann noch lange dauern, bis man dort die Akten aufarbeiten und ein mögliches Versagen zugeben wird - und auch nur, wenn ab und zu jemand wie Costa-Gavras daran erinnert.

Und dann: Die beiden eher positiven Hauptfiguren von "Der Stellvertreter" sind keine Guten im traditionellen Sinn. Beide arbeiten für das System, das sie zu bekämpfen versuchen: Gerstein (Ulrich Tukurs Rolle basiert auf einer realen Biografie) ist beteiligt an der Massenvernichtung der Juden, und Riccardo Fontana (Mathieu Kassovitz), eine fiktive Figur, ist ein junger Karriere-Diplomat im Dienst der Kurie, bis er schließlich gegen deren Autorität aufbegehrt. Beide, der Protestant und der Katholik, handeln aus christlicher Überzeugung - auch dies ein Motiv, das nicht gerade in Mode ist.

Kreislauf des Schweigens

Kein Zweifel daran, dass der Film ein glamouröses High-Budget-Produkt ist, das jeglichen Realismus verweigert, aber dafür beispielsweise die Attraktivität des Vatikan augenfällig macht. Da rascheln die prächtigen Gewänder der Kardinäle, die, ausgestattet mit den Insignien ihrer Macht und gefolgt von ihrer Entourage, schweigend, aber mit hallenden Schritten die langen Gänge in den Prachtbauten entlang hasten: Immer gilt es, eine Mission zu erfüllen, eine Botschaft zu überbringen, einer Audienz beizuwohnen. Man spricht mit gesenkter Stimme, wie es der gepflegten Geheimhaltungspolitik angemessen ist; und es gibt stets eine Gruppe von scheinbar unbeteiligten Zuschauern, denen es als großes Privileg erscheint, zum Kreis der Eingeweihten zu gehören. Indem Costa-Gavras Pomp und Hierarchie des Vatikan mit demonstrativen Gestus ins Bild setzt, hat er bereits erklärt, warum man sich von dort keine klare Stellungnahme gegen die Ermordung der europäischen Juden erhoffen konnte: Aus Selbstgefälligkeit und Saturiertheit entsteht kein Protest.

Der SS-Mann Gerstein dagegen agiert in einem Umfeld, in dem ihm permanent der Blick verstellt ist. Costa-Gavras zeigt ihn häufig im Auto sitzend, wie er versucht, eine beschlagene Scheibe frei zu wischen. Mitunter bemüht er sich, durch zugezogene Fenster oder halb geschlossene Türen zu schauen; und dann gibt es noch jene Szene mit dem Blick durchs Guckloch der Gaskammer in Auschwitz, bei dem Ulrich Tukur seine Figur mit einer hastigen Bewegung und einem Zucken des Auges zurückweichen lässt. Gerstein sieht zu wenig und gleichzeitig zu viel: Während sein Handlungsspielraum kleiner wird, weil sich nach und nach erweist, dass seine Optionen keine sind, erhält er immer tieferen Einblick in die Vernichtungsmaschinerie der Nazis.

Dazu passt das wiederkehrende Motiv der Güterzüge, die, verschlossen, in die eine Richtung fahren, um dann, mit offenen Türen, durch die man wieder nur Ausschnitte sieht, zurückzukommen. Wie hilflos wirken angesichts dieses perfekt organisierten Transportsystems die Versuche Gersteins und Riccardos, die Vernichtungsmaschinerie aufzuhalten.

Costa-Gavras ist, wie auch Bertrand Tavernier, Andrzej Wajda und Istvan Szabo und - gerade in Cannes ausgezeichnet - Roman Polanski mit seinem "Pianisten" ein politischer Regisseur, der sich in der Form des großen, aufwändigen Spielfilms mit historischen und aktuellen Themen auseinandersetzt. Das ist eine in Europa nicht sehr geschätzte Form der Vergangenheitsbewältigung; sie bleibt in den Händen der Altmeister, womöglich weil die reflektiert genug sind um zu wissen, dass sie etwas zu bewältigen haben.

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