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Kultur: Der beknackte Wahnsinn

Je später die Lust: Michael Frayns „Verdammt lange her“ am Renaissance Theater

Der Bildungsminister steht im Pyjama an der Rampe und versucht seit drei Minuten, das linke Bein in seine Anzughose vom Vorabend einzufädeln. Irgendwann wird er resigniert vom Kleidungsstück ablassen und stattdessen Zahnbürste und Rasierschaum zweckentfremden. Der Bildungsminister (Thomas Limpinsel) hat am Vorabend nämlich zu viel getrunken. Aus ursächlich bildungsbürgerlichem Anlass: Englands Elite ist quasi auf Klassenfahrt. Eine Hand voll Männer und eine Frau – so ließe sich der Gehalt von Michael Frayns Komödie „Verdammt lange her“ zusammenfassen – versammeln sich 25 Jahre nach Studienabschluss in ihrem ehemaligen College zu pubertären Scherzen, für die sie eindeutig zu alt sind.

Der ernste Hintergrund dieser fidelen Regression: Alle Männer bis auf den quotenschwulen Pfarrer Sainsbury (Thomas Schendel) wollen endlich jenes Tête-à-Tête mit dem Pennälertraum Rosemary zustandebringen, an dem sie vor 25 Jahren sämtlich hoffnungslos gescheitert waren. Rosemary heißt inzwischen Lady Driver, hat den Rektor der altehrwürdigen Bildungseinrichtung geehelicht und ist noch kurzsichtiger als ehedem geworden, woraus die Komödie viel humoristisches Kapital schlägt: Suzanne von Borsody stattet Lady Driver mit so komödiantischem Charme aus, dass man die vergeblichen Pennälerträume durchaus nachvollziehen kann – doch wenn sie andauernd konzentriert die Augen zusammenkneift, nützt ihr und uns das am Ende nichts: Sie adressiert ihr verspätetes Liebesbekenntnis trotzdem an den falschen Mann und setzt damit die eherne Tür-auf-Tür-zu-Dramaturgie in Gang.

Man muss sich die deutschsprachige Erstaufführung der jüngsten Frayn-Komödie im Renaissance Theater unter Torsten Fischers Regie atmosphärisch vorstellen wie die „Feuerzangenbowle“ ohne Lehrer: An der Erscheinung der Bildungseinrichtung – vom Bühnenbildner Herbert Schäfer schön naturalistisch aus Pappmaché nachempfunden – hat sich seit Rühmann und Co. genauso wenig geändert wie an der Sexualmoral, auf dem der schlüpfrige Spätpennäler-Witz basiert. Damit auch wirklich jeder weiß, woran er ist, gibt von Borsody diesen kleinen zwischengeschlechtlichen Knigge mit gebotenem Ironiefaktor als eine Art running gag zum Besten: „Es ziemt sich nicht für die Frau des Direktors, nachts durch wildfremde Zimmer zu huschen.“

„Verdammt lange her“ ist eine gut gebaute und im zweiten Teil gar perfekt getimte Komödie der alten Schule: Wie in Frayns populärem Boulevardmeisterwerk „Der nackte Wahnsinn“ werden so lange Requisiten vertauscht, Kleidungsstücke entwendet, Darsteller hinter Gardinen versteckt, Köpfe an Glastüren eingeschlagen und Utensilien auf zusammenbrechendem Mobiliar abgestellt, bis sich der Großteil der Zuschauer wehrlos in komplett sinnfreien, aber sehr authentischen Lachanfällen windet. Zumal der Regisseur und seine Darstellerriege mit Lust und Gespür fürs Genre bei der Sache sind.

Die Ahnung, dass wir es mit einem im Comedy-Zeitalter womöglich vom Aussterben bedrohten Genre zu tun haben, hatte Altmeister Friedrich Schoenfelder, der alternierend mit Horst Schultheis das College-Faktotum Birkett gibt, indes gleich offensiv-selbstironisch vorweggenommen: Zum Auftakt schält er sich aus dem halb geschlossenen Vorhang, dreht sich zum Publikum und spricht staatstragend: „Verdammt lange her“.

Wieder vom 5. bis 11., 17. sowie 19. bis 22. Dezember.

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