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Kultur: Der Doyen

Zum 65. des Historikers Heinrich August Winkler

Hat die Berliner Republik in ihm ihren historischen Eideshelfer gefunden? Es ist wahr, dass Heinrich August Winkler im Berliner Politik- und Medienbetrieb eine gefragte Person ist. Geht es um ein Urteil, das über den Tellerrand der Aktualität hinausgeht – über Europa, die Türkei oder gar zu heiklen Themen wie der deutschen Identität –, richtet sich der Ruf erstaunlich oft an diesen Historiker, der seit 1991 an der Humboldt-Universität lehrt. Seit seinem letzten Werk, einer zweibändigen deutschen Geschichte mit dem programmatischen Titel „Der lange Weg nach Westen“, gilt er als eine Instanz für jene intellektuell-politische Orientierung, nach der alle lechzen. Selbst der Kanzler, so heißt es, tauscht sich mit ihm aus, und der Spiegel hat ihn sogar „zu einer Art Doyen der neueren deutschen Geschichte“ ernannt.

Aber Winkler gehört keineswegs zur Gattung der Medienprofessoren, die unruhig zwischen Fernsehstudio und Vortragspodium hin und her jagen. Gewiss, es drängt ihn in die Öffentlichkeit und zum Ohr der Mächtigen. Aber sein Renommee hat er als Arbeitstier im Weinberg der Forschung gewonnen. Sein Werk über die Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik umfasst drei Bände und bald dreitausend Seiten, seine Geschichte der Weimarer Republik ist ein Standardwerk und auch sein voluminöses Erklärstück zum Weg der Deutschen ist alles andere als ein flottes Thesenbuch. Es ist ein hartes Stück Wissenschaft – so dass man sich fragt, wie viele von denen, die ihm applaudieren, es auch gelesen haben.

Die Aufmerksamkeit, die Winkler zuteil geworden ist, honoriert wohl vor allem seine Fähigkeit, die Arbeit des Historikers mit dem Interesse am öffentlichen Wesen so zu verbinden, dass die Geschichte plausible Deutungen erfährt. Sie gilt mithin der Figur des politischen Professors, einer in Deutschland eher problembeladenen Tradition. In Winklers Fall ist sie im guten, ja, besten Sinne wieder auferstanden. Das Nationalpädagogische, Geschichte als Bildungsmacht, als Medium gesellschaftlicher Selbstklärung, ist demokratisch geläutert und kritisch aufgeklärt, ohne doch seinen didaktischen Impetus verloren zu haben.

Mit alledem ist Winkler, im ostpreußischen Königsberg geboren, in Württemberg aufgewachsen, Schüler von Hans Rothfels, des Begründers der deutschen Zeitgeschichte, eine profilierte Stimme sozusagen der zweiten Phase der Nachkriegszeit geworden. Was auch heißt: bürgerlicher Hintergrund, SPD-Zugehörigkeit, aber als Godesberger, Distanz zur Generation der Achtundsechziger, erhärtet durch zwei Jahre an der FU Berlin. Was bedeutet, dass erarbeitete Geschichtsdeutung und reflektierte neuere Zeiterfahrung zueinander kommen, endlich. – An diesem Freitag wird Heinrich August Winkler 65 Jahre alt.

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