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Kultur: Der einsame Populist

Der Eintritt der FPÖ in die österreichische Regierung hat ganz Europa in Aufregung versetzt. Das ist fünf Jahre her. Was macht eigentlich Jörg Haider?

Es ist Ende Januar des Jahres 2005, und in der Brasserie Rubens im neunten Wiener Gemeindebezirk ist es ziemlich düster. Schwere Regentropfen prasseln an die großen Fensterscheiben des Lokals. Nur wenige Menschen sind im Lokal, und die, die da sind, trinken schweren Weißwein, den die Kellner regelmäßig nachschenken. Jörg Haider sitzt auf einer Bank gleich beim Fenster, er trägt einen gut sitzenden, aber unauffälligen Nadelstreifenanzug mit offenem Hemdkragen. Das Funkeln ist aus seinen Augen verschwunden. Beinahe melancholisch wirken sie nun, und seine Finger spielen die ganze Zeit über mit einem Brillenetui, in dem sich seine Augengläser befinden, die er gegen Altersweitsichtigkeit braucht.

Jörg Haider spricht. Er spricht langsam und ziemlich leise, als versuche er, seinen Worten mehr Gewicht beizugeben. Dabei sagt er ohnehin schwere, düstere Sätze: „In den vergangenen 25 Jahren hat sich die österreichische Politik stark verändert, das Niveau der handelnden Personen ist gesunken. Vor allem in der Regierung sitzen keine Visionäre mehr, keine Menschen, die eine Meinung vertreten, sondern plumpe, ideenlose Verwalter. Warum das möglich ist? Weil sich in Österreich ein Neobiedermeier breit gemacht hat, weil sich die Menschen vollkommen ins Private zurückgezogen haben und an den politischen Prozessen nicht mehr interessiert sind. Deswegen kann die Regierung Dinge tun, die noch vor ein paar Jahren nicht möglich gewesen wären.“

Und das sagt ausgerechnet Jörg Haider? Jener Jörg Haider, der der österreichischen Politik in den vergangenen 25 Jahren seinen Stempel aufgedrückt hat, mit Attacken auf Ausländer und Andersdenkende, mit Hasstiraden auf Künstler und Intellektuelle und seinem, vorsichtig formuliert, nicht ganz aufgeklärten Geschichtsbild. Die österreichische Nation hat er etwa vor einigen Jahren als „ideologische Missgeburt“ bezeichnet, vor dem Kärntner Landtag lobte er einmal die „ordentliche Beschäftigungspolitik des Dritten Reiches“, und Konzentrationslager wurden in seinen Reden schon mal als „Straflager“ bezeichnet. Die Beteiligung seiner FPÖ an der Wiener Regierung löste vor genau fünf Jahren einen europaweiten Skandal aus: Die EU boykottierte erstmals die Regierung eines Mitgliedslands, Israel brach alle diplomatischen Beziehungen zu Österreich ab. Ja, Haider war böse. Sehr böse. Seine markige Visage mit der charakteristischen Nase und den zusammengekniffenen Augen prangte als Versinnbildlichung des gefährlichen Ewiggestrigen auf den Titelseiten sämtlicher Zeitungen und Magazine in Europa und den USA.

Und nun gibt er plötzlich den altersweisen Kulturpessimisten? Es ist etwas passiert mit dem Mann, etwas, das niemand für möglich gehalten hat.

Ende Januar des Jahres 2000 war Jörg Haider als Chef der Freiheitlichen Partei Österreichs auf dem Höhepunkt seiner Macht. Bei den Nationalratswahlen im Oktober 1999 hatte die FPÖ 28,3 Prozent der Stimmen erreicht und war zur zweitstärksten Kraft im Lande geworden. Plötzlich hatte Haider die Möglichkeit, seine Partei in die Regierung zu führen. Sein 50ster Geburtstag, den Haider am 29. Januar 2000 auf der Gerlitzen, einem Skiberg in Kärnten, feierte, geriet zur größten Inszenierung in der Geschichte der FPÖ.

Die Partei hatte zu Ehren ihres Chefs das ganze Skigebiet gemietet und an Freunde, Bekannte, Weggefährten und vor allem Fans von Jörg Haider Eintrittskarten verschickt, die gleichzeitig Skipässe waren. Mehr als 3000 Leute waren gekommen, und alle trugen sie ihre „Happy Birthday Jörg“-Tickets um den Hals. Überall waren Fahnen aufgezogen worden, es hingen Luftballons mit seinem Namenszug und Plakate mit seinem Konterfei herum. Eine Villacher Brauerei hatte ein „Jörg“-Bier abgefüllt, dem die Parteigäste reichlich zusprachen, und Schnaps gab es natürlich auch in Unmengen. Ab neun Uhr morgens fuhr Jörg Haider von einer Skihütte zur nächsten und lauschte den Blasmusik-Kapellen.

Die ganze FPÖ-Führung war angetreten und überbrachte ihre Gaben, die meisten davon waren vordergründig bedeutungsschwanger – einen Hometrainer („damit du weiter fit bleibst“), mehrere Rucksäcke („für den weiteren Aufstieg“), und gleich zwei sündhaft teure Uhren. Unterwürfigkeitsgesten, wie man sie sonst nur bei afrikanischen Potentaten kennt. Und spätestens um 16 Uhr, als Jörg Haider auf einem Motorscooter und sekundiert von Fackel tragenden Skilehrern ins Tal gebracht wurde, muss er sich gefühlt haben wie ein unumschränkter Herrscher inmitten seines Hofstaats.

Eine Woche später, am 4. Februar, unterschrieb er mit ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel jenen Koalitionsvertrag zwischen Freiheitlichen und Volkspartei, der Schüssel zum Kanzler machte und die FPÖ zum Juniorpartner; eine Koalition, die zu massenhaften internationalen Protesten führte und das Schicksal der FPÖ entscheidend beeinflusste.

Es gibt viele Menschen in Österreich, mit denen man über Jörg Haider reden kann, weil er über die Jahre polarisiert hatte. Und alle, alte Kritiker und alte Weggefährten, sagen, dass der Eintritt der FPÖ in die Regierung und der damit verbundene Rückzug Haiders von der FPÖ-Spitze, der danach folgte, den Abstieg Haiders ausgelöst haben.

Es heißt, er sei nicht damit klargekommen, dass andere, allen voran seine ehemaligen Pressesprecher Susanne Riess-Passer, Karl-Heinz Grasser und Peter Westenthaler, nun öffentliche Ämter bekleiden durften, an die er nicht herangekommen war. Diese emotionalen Ohrfeigen hätte ein Mann wie Jörg Haider, der selbst über ein ziemlich starkes Ego verfügt, nicht ausgehalten. Und wahrscheinlich stimmt das auch. Wenn Jörg Haider heute über diese Personen redet, dann ist viel von „Ehre“, „Verrat“ und „Enttäuschung“ die Rede.

Er sitzt an seinem Tisch im Café, lässt für einen Moment das Brillenetui los, streicht das Tischtuch gerade und sagt: „Es gibt eben nur wenige mutige Menschen, nur wenige mit Courage. Was es gibt, sind Mitläufer, davon gibt’s genug. Wenn sich Menschen von mir abwenden, dann waren sie es offenbar nicht wert. Dafür bin ich auf die, die durchhalten, umso stolzer.“ Riess-Passer, Westenthaler und Grasser hatten sich im September 2002, 30 Monate nach Bildung der FPÖ/ÖVP-Regierung von Haider verabschiedet, nachdem er immer wieder die FPÖ-Regierungsmannschaft attackiert hatte. Sie waren zurückgetreten und hatten damit die Neuwahlen des Jahres 2002 ausgelöst, bei denen die FPÖ von 28,3 Prozent auf 10,1 Prozent der Stimmen gesunken war. Ein Schock, von dem sich die FPÖ bis heute nicht erholt hat.

Bis zum Regierungseintritt vor fünf Jahren war die FPÖ ein ziemlich verschworener Haufen, der im Grunde nur der Unterstützung ihres Frontmanns Jörg Haider diente. Es gab keine Strukturen, sondern einen Kreis von Haider-Mitarbeitern, die umsetzten, was ihm eingefallen war. Haider kann bis heute nur so arbeiten, Strukturen, Gremien hält er nicht aus. „Er braucht die ganze Aufmerksamkeit auf sich“, sagt einer, der damals dabei war und später von Haiders Gnaden ins Regierungsteam aufrückte. „Er brauchte diese Gruppe, in Wahrheit brauchte er uns rund um die Uhr um sich.“

Fünf, sechs Tage die Woche saßen Haiders Mitarbeiter während des Aufstiegs in den 90er Jahren in ihrem Büro in der Wiener Kärntner Straße. Sie saßen meistens bis spät in die Nacht und zogen danach noch gemeinsam auf mehrere Drinks in die Wiener Lokal-Szene. „Wer nicht mitging, weil er einmal früher schlafen gehen wollte, wurde von Haider mit Liebesentzug bestraft“, sagt ein anderer. Manche von ihnen verbrachten sogar ihren Urlaub mit dem Chef. Wer in dieser Kerntruppe dabei war, der musste rund um die Uhr für Haider erreichbar sein, sagt der Dritte. „Und immer, wenn ich auf Urlaub ging, war der Jörg sauer. Besonders schlimm war es, als ich ihm sagte, dass ich heiraten werde. Er hat nur gesagt: ,Heiraten ist nichts für dich.’ Er konnte nicht verstehen, dass es in meinem Leben noch jemand anderen geben konnte als ihn.“

Mit dem Regierungseintritt änderte sich das schlagartig. Seine engsten Mitarbeiter waren plötzlich Minister, sie konnten erstens tatsächlich Politik machen und hatten zweitens einen Apparat unter sich, der größer war als alles, was Haider selbst jemals kontrollierte. Die Leute, die eben noch an Haiders Handy hingen, entwickelten ein Eigenleben und bekamen dank der fetten PR-Etats ihrer Ministerien plötzlich eine gute Presse und ein fabelhaftes Image. Karl-Heinz Grasser etwa, der Finanzminister, war über Jahre der beliebteste Politiker des Landes. Wahrscheinlich war es genau das, was Haider eigentlich für sich erreichen wollte: Aufmerksamkeit. Anerkennung. Liebe?

Haider sitzt in der Brasserie und nimmt einen großen Schluck Weißwein. Dann lehnt er sich nach vorne und antwortet ungewöhnlich schnell. Er wolle das so nicht gelten lassen, Anerkennung und Liebe wären keine politischen Kategorien, sagt er, und setzt noch ein paar andere Politikerfloskeln hinten dran, die doch nur beweisen, dass er eigentlich nichts sagen will. Weil es nicht ins Bild passt, das er von sich in der Öffentlichkeit haben will?

Eines ist sonderbar an diesem Menschen, der sich so lange als Demagogen inszeniert hat, der das Übelste und Schlechteste in den Österreichern herausgekitzelt hat, um es dann in Wählerstimmen umzumünzen: Im persönlichen Umgang ist er ein netter Mensch, höflich und mit perfekten Umgangsformen. Haider, der Haudrauf, ist im Grunde seines Herzens schüchtern und extrem harmoniesüchtig. Das sagen sogar seine ehemals engsten Mitarbeiter. Die Ex-Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer erinnert sich daran, dass sie wenige Tage nach ihrem Rücktritt von Haider in dessen Wohnhaus ins Kärntner Bärental eingeladen wurde. Dort hatte Haider einen Kaffeetisch gedeckt und wollte reden. Als Riess-Passer zu ihrem Wagen ging, um nach Wien zurückzukehren, flehte Haider sie an, doch über Nacht zu bleiben, weil man dann noch viel länger über die alten Zeiten reden könnte. Angeblich soll Haider damals viel geweint haben. Auch alle anderen Zurückgetretenen erinnern sich an ähnliche Szenen, an Telefonate weit nach Mitternacht, die mit den Satz begannen: „Hallo ich bin’s, der Jörg.“

Haider selbst will davon heute nichts mehr wissen. Nur für einen kurzen Moment öffnet er den Rollladen, nach einem Schluck Wein: „Es hat wehgetan.“

Der Mann, der da jetzt in Nadelstreifen an seinem Tisch sitzt, ist nicht mehr der Jörg Haider von früher, er ist kein Rabauke mehr und definitiv niemand, vor dem man sich fürchten muss. Dafür ist sein Einfluss zu gering. Zur Präsentation seines neuesten Buches „Ein Streitgespräch mit Jörg Haider“ waren gerade einmal 50 Leute erschienen, Haider, sein Pressesprecher und seine Frau inklusive. In Österreich heißt es, Wolfgang Schüssel hätte Haider durch die Einbindung der FPÖ in die Regierung „entzaubert“. Die Chance, dass Haider jemals Bundeskanzler wird, ist ähnlich groß wie jene von Guido Westerwelle in Deutschland.

Selbst wenn Haider die FPÖ übernehmen würde, mehr als 15, 16 Prozent der Wählerstimmen billigen der Partei selbst wohlgesonnene Demoskopen nicht zu. Und etwas Neues aufbauen? Haider wurde vor zwei Wochen 55 Jahre alt. Auch in den Medien spielt Haider nicht mehr so eine große Rolle wie früher. Mit seinen Interviews erreicht er längst nicht mehr die Aufmerksamkeit der vergangenen Tage. Der Mann, der es einst mit seinen bösen Statements als „Far Right Haider“ bis in die „New York Times“ geschafft hatte, ist zu einem kleinen Provinzpolitiker geworden. Wann hat er es zuletzt in die deutschen Medien geschafft? Wann in die amerikanischen?

Wer weiß in Deutschland, dass in Österreich Jörg Haider der prononcierteste Befürworter des EU-Beitritts der Türkei ist und dass er diese Forderung, mit der er in Wien ziemlich allein dasteht, klug begründet? Selbst in seiner Partei dürfen den Landeshauptmann von Kärnten nicht nur im Karneval als „Quartalsirren“, als „Verrückten aus Kärnten“ bezeichnen. Was war das für eine Gaudi, als ihn der Ex-FPÖ-Abgeordnete Harald Ofner sogar aus der Partei ausschließen wollte, weil „mit dem Spuk ein Ende sein muss“. Oder als ihm der Psychotherapeut Alfred Pritz in den „Salzburger Nachrichten“ eine „begleitende Psychotherapie“ empfahl.

Der Jörg Haider des Jahres 2005 hat mittlerweile ein politisches Gewicht wie Rudolf Scharping nach seinen mallorquinischen Plantsche-Fotos, und sein Image ist ungefähr das gleiche. Haider selbst weiß um dieses neue, ungewöhnlich leichte Gewicht. Er weiß auch, dass er die Entwicklung mit seinem Rückzug von der FPÖ-Spitze vor fünf Jahren selbst eingeleitet hat. Im Januar 2000 war er der einzige FPÖ-Politiker, der die Regierungsbeteiligung wollte. In vielen Sitzungen sprachen sich alle, die danach zu Ministerehren kamen, gegen eine Koalition aus. Sie wollten noch vier Jahre in der Opposition bleiben, um dann, als möglicherweise stärkste Partei, den Kanzleranspruch zu stellen. Haider war dagegen. Heute sagt er, dass er das damals gar nicht anders machen hätte können: „Wir hatten 14 Jahre Oppositionspolitik gemacht, wenn wir nicht in die Regierung gegangen wären, dann wären wir unglaubwürdig geworden.“

Generationen von Journalisten haben sich an ihm abgearbeitet. Sie haben versucht, herauszufinden, ob er wirklich ein dummer kleiner Nazi-Bub ist, und haben kein endgültiges Urteil gefällt – die plausibelste Erklärung ist die, dass es Haider einfach nie geschafft hat, sich von seinem Nazi-Elternhaus zu lösen und daher alle Kritik am Nazi-Regime als Kritik an seinen Eltern verstand. Es gab Versuche, ihn als Steuerhinterzieher und Kokser darzustellen, es wurde probiert, Haiders sexuelle Neigung herauszukitzeln. Doch auch hier kam bisher kein Journalist zu einem abschließenden Ergebnis. Dass Haider aber ausgerechnet über seinen größten Erfolg, die Regierungsbeteiligung der FPÖ, stolpern würde, ist bizarr.

Wie es mit Haider weitergeht?

Seine Pläne sind so sprunghaft wie seine Karriere. Mal will er die FPÖ noch mal übernehmen, dann will er eine komplett neue Partei gründen, manchmal will er aus der Politik aussteigen und entweder an einer Uni unterrichten oder in seinem Bärentaler Wohnhaus eine Buchhandlung samt Weinladen eröffnen. Im Gespräch in der Brasserie Rubens entscheidet sich Haider für die Professoren-Variante: „Ich habe in meinem politischen Leben so viel erlebt und so viele Erfahrungen gesammelt, dass ich mir gut vorstellen könnte, das an Studenten weiterzugeben.“ Jörg Haider sitzt noch immer auf seiner Bank. Er sagt, dass bei ihm keine negativen Gefühle zurückbleiben, wenn er wertfrei betrachtet, wie seine Partei heute aussieht: „Das ist wie bei einem Firmenchef, der etwas aufbaut und dann sieht, dass es der Nachfolger nicht kann. Ich habe da keine Emotionen.“

Freunde sagen, dass Haider die meisten negativen Geschichten über ihn weggesteckt hat, und sie nicht an sich herankommen ließ – und davon hat es viele gegeben. Nur eines dürfte ihm wehgetan haben: Vor zwei Jahren veröffentlichte der Wiener Publizist Hubertus Czernin ein Buch mit dem Titel „Was von Jörg Haider bleibt“. Der Gag des schlanken Breviers war: Es hatte nur leere Seiten.

Jörg Haider sagt, dass er in seiner politischen Karriere viele Rollen gespielt hat. „Das muss man als Politiker, wer etwas anderes sagt, der lügt. Es gibt eine gewisse öffentliche Erwartungshaltung an einen, und diese habe ich bedient.“ Und wie sieht das jetzt aus, Herr Haider? „Heute muss ich das nicht mehr machen, ich muss nicht mehr zum Gaudium aller das Krokodil geben. Ich kann von mir eines sagen: So authentisch wie ich heute bin, war ich noch nie.“

Markus Huber

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