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Kultur: Der Fluch, das Endspiel zu verstehen

Kann Samuel Beckett heute Trost spenden?

Endgame. Endspiel. Finita la commedia! Oder doch lieber, aus deutscher Sicht und für den göttlichen, den wie aus dem Stein des Atlasgebirge gemeißelten Zizou, die französische Version: Fin de partie.

Endspiele sind schwer zu ertragen und noch schwerer zu verstehen. So viel Allegorie, so viel Symbolik, Mythos, Schicksal. Ein Endspiel zu verlieren ist schrecklich. Wie aber ist es erst, bei einem Endspiel Zuschauer zu sein?

Samuel Becketts gleichnamiges Stück – wir haben dieses Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert – erblickte 1957 erstmals das „trübe Licht“ (Szenenanweisung) der Weltbühne. Er spielte mit Viererkette. Nagg und Nell, die beiden Alten, hinten in ihren Tonnen, davor sichern Hamm (blind) und Clov ab. Ein frühes Beispiel von Catenaccio. Die Kritiker damals regten sich über Becketts „Nihilismus“ auf. Und über die schachspielartig angelegte Hermetik des Spiels. Er war ein großer, einsamer Spielmacher, weil er über seine Interpreten lachte.

Einmal, Anfang der sechziger Jahre bei einem Suhrkamp-Verlagsabend in Frankfurt, traf Beckett auf Adorno („Versuch, das Endspiel zu verstehen“). Und meinte nachher zu seinem deutschen Verleger Unseld, der Fortschritt bestehe darin, dass die Irrtümer überdauern.

Optimismus, Pessimismus, das gibt es bei ihm nicht als Kategorie. Das Schlimmste ist immer schon eingetreten, und hélas, das einzig Akzeptable. „Wostward Ho“ (Aufs Schlimmste zu), einer seiner letzten autorisierten Texte, spendet endspielwürdigen Trost. „Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.“ Besser scheitern. Und es noch einmal versuchen.

Geboren an einem Karfreitag (manche behaupten, dies sei eine Legende), den Nobelpreis, den Literaturweltmeistertitel 1969 abgelehnt und stets dem Credo „Mich interessieren keine Erfolgsgeschichten, sondern nur Misserfolge“ verpflichtet, so hat sich der Ire mit dem Greifvogelkopf konsequent hintenrein gestellt; totale Abwehr. Sämtliche Enttäuschungen längst antizipiert. Von Beckett lernen, hieße ertragen lernen. Und darüber lachen.

Der Ausdruck „in die Tonne treten“ kam bei ihm unnachahmlich ins Bild. Nell und Nagg sind Menschen, die man in die Tonne getreten hat, in der Verlängerung ihres Lebens, denn sie sind alt. In der populären Kultur ist dieses Bild später wieder aufgetaucht – zum Beispiel in der „Sesamstraße“. Oscar (Griesgram), das Tonnenmonster, liebt den Müll und gefällt sich als Spielverderber. Klinsmann, als er noch Spieler war bei Bayern München, hat einmal gegen eine Werbetonne getreten, aus Wut über seine Auswechslung. Die Italiener haben die Deutschen in die Tonne getreten, 119. Minute. Und da sitzen wir nun und retten uns in Philosophie.

Denn Philosoph ist, wer an den Meisterschaften der Welt nicht teilnimmt, sondern nur hinsieht. Wie die Italiener, gegebenenfalls, den französischen Fußballgott in die Tonne treten. Der Witz aber ist: Ein „Endspiel“ findet bei Beckett streng genommen ja gar nicht statt, es passiert nichts, da reden und zappeln sich bloß Leute warm. Clov bereitet seinen Abgang vor, Hamm (Hamlet?!) hält schnell noch einen Monolog – und dann fällt der Vorhang, während wir eigentlich den Anpfiff erwarten. Zuschauen ist doch zu arg.

Rüdiger Schaper

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