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Kultur: Der Gartenpoet

Zum 80. Geburtstag des Dichters Michael Hamburger

Er wisse selbst nicht, ob er Engländer sei oder nicht, hat Michael Hamburger einmal gesagt. Die einen sehen in ihm tatsächlich einen englischen Dichter, andere sehen in ihm jemanden, der deutsche Gedichte in englischer Sprache schreibt – und das seit seinem siebzehnten Lebensjahr. Die nie ganz zu beantwortende Frage, welcher Sprache Michael Hamburger, der heute achtzig Jahre alt wird, eigentlich zugehört, hat ihm immer eher zum Glück gereicht – auch wenn sein äußeres Leben nicht immer glücklich verlaufen ist. 1933 musste die bis dahin in Berlin ansässige Familie vor den Nationalsozialisten fliehen. Der Weg führte den Neunjährigen über Edinburgh nach London, wo er, der Sohn eines Professors der Medizin, auf die vornehme Westminster School geschickt wurde. Ein Studium der Romanistik und Germanistik beendete er nach vier Semestern, denn der Krieg brach aus. Er wollte als Freiwilliger der britischen Armee an die Front; ein Plan, der sich zerschlug, weil man ihm wegen seines deutschen Namens misstraute.

Irgendwo auf diesem Weg muss ihm dann Hölderlin zum ersten Mal begegnet sein. Ein frühes Gedicht Hamburgers – zugleich das erste, das er als Siebzehnjähriger auf Englisch schrieb – war der poetische Ertrag. Aber damals wusste der junge Dichter wahrscheinlich noch nicht, dass dieses Gedicht mit dem Titel „Hölderlin“ für ihn nur den Anfang einer lebenslangen Beschäftigung mit deutscher Poesie bedeuten sollte. Sie reicht von den frühen Hölderlin-Übersetzungen Mitte der vierziger Jahre über die 1966 erstmals erschienene, immer wieder ergänzte Ausgabe der „Poems and Fragments“ bis zu den Übertragungen anderer deutschsprachiger Lyriker (wie Hofmannsthal, Trakl, Rilke, Celan, Huchel, Eich oder Enzensberger).

Im Vorwort zu seinem 1973 in London erschienenen Band „Ownerless Earth“ mit ausgewählten Gedichten der Jahre 1941-1972 spricht Hamburger mit Blick auf sein Werk von zwei „durchaus verschiedenen“ Schriftstellern, die beide nur wie zufällig denselben Namen tragen: der eine ist der Autor von „Ownerless Earth“. Wer aber ist der andere? Der Jüngere, sagt Hamburger, ist der beginnende Dichter, jener, dem der Ältere, also er selbst, „nicht objektiv gegenübertreten“ könne, eben weil er ein Teil von ihm sei.

Hamburgers frühe Gedichte folgten strengen Formen, die sich stark an Vorbildern orientierten. Aber diese Vorbilder verblassten bald. Hamburgers Gedichte wurden sachlicher, die Innerlichkeit versank im Gegenstand. Hamburger konnte über einen Fisch so eindringlich schreiben wie über eine Teeschale, über Steine, Katzen, Menschen oder Bäume. Von der experimentellen Poesie grenzte er sich ab. Die Konzentration auf den äußeren Gegenstand wurde zu einer Art Markenzeichen.

1969 erschien unter dem Titel „Travelling“ ein Zyklus von Reise-, Liebes- und Naturgedichten. Natur- und Tiergedichte ziehen sich wie ein roter Faden durch das Werk Hamburgers, der spätestens seit seinem Umzug nach Suffolk 1976 auch Gärtner ist. Viele Bäume stehen in seinem Garten in Middleton, und Hamburger ist stolz darauf, dort mehr als dreißig Apfelsorten zu züchten. Besonders in seinen Baumgedichten (Deutsch im Wiener Folio Verlag) erweist sich Hamburger als der „gegenstandsbezogene Dichter“, als der er sich selbst sieht. Ihm genüge, sagt er, ein „Spielraum innerhalb der Grenzen einer mehr oder weniger mimetischen Sprache“.

Volker Sielaff

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