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Kultur: Der gesteigerte Himmel

Heute beginnt die Vorbesichtigung zur Frühjahrsauktion in der Berliner Villa Grisebach

Das Sommeridyll dürfte selbst aufgeschlossene Zeitgenossen aus der Fassung gebracht haben: eine Straße, leuchtend gelborange wie Wüstensand; zwei blaue Holzhäuser, deren ziegelrote Dächer bedrohliche Schatten werfen; ein Mann und eine Frau, die grußlos, blicklos, mit hängenden Schultern aneinander vorübergegangen sind; Bäume und Sträucher leuchten giftgrün dazu. Und über allem dieser Himmel: blau, schwer und schwül. Farbe muss nicht immer froh stimmen.

Im Sommer 1911 malte Hermann Max Pechstein in Nidden, einem Fischerdorf an der Kurischen Nehrung in Ostpreußen, das Gemälde „Kurische Häuser“. Sein erster Besitzer war Hugo Perls, ein Berliner Kunstsammler, der sich vom jungen Mies van der Rohe in Zehlendorf ein Haus für seine Bilder bauen ließ. Nun kehrt Pechsteins sonderbares Sommerbild aus einer Schweizer Privatsammlung nach Berlin zurück. „Kurische Häuser“ gehört zu den Spitzenlosen der Auktion ausgewählter Werke in der Villa Grisebach am kommenden Freitag. Es ist mit 400 000 bis 600 000 Euro taxiert.

Entdeckt hatte Pechstein die kärgliche Sommerfrische an der Kurischen Nehrung 1909. Einsamkeit und die klaren Farben der Küste radikalisierten fortan seine Bildsprache. Zwei Jahre später, während seines zweiten Nidden-Aufenthaltes, wähnte sich der frisch verheiratete Expressionist in einem Zustand anhaltenden Glücks: „Dieser Sommer 1911 berauschte mich von Anfang bis Ende. Ich hatte viele beglückende Stunden der Arbeit, die mir einen Schauer über den Rücken herabrieseln ließen.“

Für Bilder wie „Kurische Häuser“ interessierten sich lange vor allem deutsche Sammler. Dass die deutschen Avantgardisten des frühen 20. Jahrhunderts, dass Expressionisten, Meister der Neuen Sachlichkeit und Einzelgänger wie Max Beckmann inzwischen auf dem internationalen Kunstmarkt reüssieren, verdankt sich auch dem Berliner Auktionshaus Villa Grisebach. 1986 wurde das heute von Bernd Schultz und Micaela Kapitzky geleitete Haus gegründet, ansässig ist es seither in der gleichnamigen historistischen Baumeister-Villa in der Fasanenstraße. Seit 20 Jahren verfolgt man beharrlich das Ziel, den großen angelsächsischen Auktionshäusern das heimische Feld nicht kampflos zu überlassen. Und das mit wachsendem Erfolg.

Das Jubiläum zum 20. Geburtstag wird mit einem Auktionswochenende zwischen dem 30. November und dem 2. Dezember gefeiert. Die Vorankündigung ziert eine Abbildung von Lyonel Feiningers Beinahe-Abstraktion „Hohe Häuser IV“ von 1919, geschätzt auf 1,2 bis 1,5 Millionen Euro.

Doch auch die diesjährigen Frühjahrsauktionen am 26. und 27. Mai bieten gewohnt hohe Qualität in allen Sparten: „Photographie“, „Ausgewählte Werke“ und „Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts“. Der „Third Floor“ hält Arbeiten auf Papier, Multiples wie Daniel Spoerris Materialcollage „Der fallengelassene Zufall des Abfalls“ (800 bis 1200 Euro) von 1971, aber auch das ein oder andere interessante Gemälde mit Schätzwerten bis 3000 Euro bereit. Bei den Fotografien fallen Ikonen wie René Burris Porträt „Che Guevaras mit Zigarre“ (Vintage, 8000 bis 10 000 Euro) oder zwei ungewöhnliche Straßenszenen der erst spät als eigenständige Künstlerin entdeckten Dora Maar auf: Ihr Vintage eines blinden Bettlers von 1934 wird mit 9000 bis 12 000 Euro bewertet. Das erwartete Gesamtergebnis liegt bei mindestens 10,5 Millionen Euro.

Das am höchsten geschätzte Los unter den „Ausgewählten Werken“ ist Gerhard Richters Gemälde „Landschaft mit Wolke“von 1969 (800 000 bis 1,2 Millionen Euro). Vor ihm lässt sich trefflich streiten, ob es sich um ein Landschaftsbild oder ein abstraktes Werk handelt. Von Richter selbst ist bekanntlich wenig über die Hintergründe seines Œuvres zu erfahren. Auch „Landschaft mit Wolke“ bewahrt ein Geheimnis. Als Gemälde, dem ein Foto zugrunde liegt, verweist es auf die Ebene hinter dem Sichtbaren. Was tatsächlich zu sehen ist, wirkt relativ banal: Über einer graubraunen, dunstig verschwommenen Ebene spannt sich ein farbloser Himmel. In dessen Zentrum erscheint die Wolke, weiß und gestaltlos, wie Watte.

„Landschaft mit Wolke“ ist kein zufälliger Einzelgänger in Richters Werk. Seit den späten sechziger Jahren hat sich der Künstler in konzeptioneller Absicht in einer lockeren Serie von Gemälden dem Landschaftssujet gewidmet. Mimetische Stimmungsmalerei war dabei allerdings nie Richters Anliegen. Seine Bilder wollen gar nicht das zur Anschauung bringen, was sie abbilden. Ein kalkuliertes Paradox: In Gemälden wie „Landschaft mit Wolke“ oder dem aus derselben Schweizer Privatsammlung eingelieferten „Mao, Studie zu 48 Köpfen“ (1971, Schätzpreis 250 000 bis 350 000 Euro) malt Richter mit handwerklicher Delikatesse, scheinbar realistisch und beharrt dennoch auf weitgehender inhaltlicher Indifferenz.

Richters Spiel mit der Semantik und Ikonografie von Bildern scheint umso vertrackter, als sich der kunsthistorisch gebildete Maler ein Lieblingsthema des 19. Jahrhunderts einverleibt hat: die Darstellung von Wolken im Medium der Malerei. Wollte man ihn dabei dennoch auf eine Traditionslinie festlegen, so adaptiert er selbst im Rückgriff die denkbar radikalste Position. Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“ lässt grüßen. Und ein Gerhard Richter grüßt natürlich selbstbewusst zurück.

Villa Grisebach, Fasanenstraße 25, Vorbesichtigung 20.–25. Mai, Sonnabend bis Mittwoch 10–18.30 Uhr, Donnerstag 10–17 Uhr. Auktionen am 26. und 27. Mai, Kataloge unter www.villa-grisebach.de

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