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Höchst eingebildet. Robert de Montesquiou auf einem Ölgemälde von Giovanni Boldini.

© imago images/Artepics

Robert de Montesquiou: Der gnadenlos elegante Dandy, der Marcel Proust inspirierte

Vor 100 Jahren starb der Schriftsteller Robert de Montesquiou. Als Ästhet und Autor fand er einen reichen Nachhall in seiner Epoche.

Robert de Montesquiou? Heißt der nicht Montesquieu? Nein! Diesmal geht es nicht um den bekannten französischen Philosophen und Staatstheoretiker der Aufklärung. Aus Anlass seines hundertsten Todestages am 11. Dezember 1921 handelt dieser Text von einer der schillerndsten, der außergewöhnlichsten Persönlichkeiten im Paris des Fin de siècle, dem französischen Aristokraten, Literaten, Ästheten – dem Dandy Robert de Montesquiou.

Diese Figur wirkt heute wie ein Antidot zu der erzwungenen, jogginghosendominierten Isolation der Pandemiezeit. Seine Eleganz, seine Opulenz, seine Dekadenz – das alles ist uns abhanden gekommen und zündet wie eine Provokation. Montesquious Attitude, sein Lifestyle wecken Bedürfnisse und Sehnsüchte und machen die Konfrontation mit ihm zu einem kunstvollen, inspirierenden Erlebnis.

Am 19. März 1855 in Paris geboren, ist er von hochadliger Geburt, auffälliger Eleganz, hochgewachsen, von bemerkenswerter Schönheit und sprühender Intelligenz. Robert de Montesquiou ist sowohl hochgebildet als auch höchst eingebildet. Er verkehrt ausschließlich in den exklusiven Pariser Zirkeln, zählt Paul Verlaine, Stéphane Mallarmé, zu seinen Freunden und den 16 Jahre jüngeren Marcel Proust zu seinen Bewunderern – zunächst zumindest, es kam später immer wieder zu Zerwürfnissen zwischen beiden.

Zweifellos hat Montesquiou Proust beeinflusst, in ihren Manierismen waren sie sich nicht unähnlich. Das Privathaus des unermüdlich Kunst sammelnden Grafen in der Rue Charles-Lafitte 95 in Neuilly am Rande des Bois de Boulogne wird als Pavillon des Muses, als Musentempel bezeichnet und auch sein Wohnsitz in Paris steht dem kaum nach.

Während Montesquiou in Deutschland weitgehend unbekannt ist (meistens sind es Proust-Kenner, die sich seiner erinnern), nahm und nimmt man ihn im eigenen Land durchaus wahr. Dank seiner narzisstischen Persönlichkeit gelingt Montesquiou ein vielfältiger dichterischer Nachhall in der französischen Literatur seiner Epoche. Nur wenige Prominente erhalten eine solche literarische Resonanz: Zunächst stattet Joris-Karl Huysmans in „A rebours“ („Gegen den Strich“) aus dem Jahr 1884 seinen exzentrischen Helden Jean Des Esseintes mit, für die damaligen Zeitgenossen, leicht wiedererkennbaren äußerlichen und psychischen Charakteristika der Persönlichkeit von Montesquiou aus. Auch Jean Lorrain schafft in der Figur des Grafen de Muzarett in seinem 1901 erschienenen Roman „Monsieur de Phocas“ ein für die Pariser Literaturszene erkennbares Abbild von Montesquiou. Für die Nachwelt verewigt, ist er in dem Baron de Charlus, der Hauptfigur von Marcel Prousts „A la recherche du temps perdu“.

Der Prototyp eines Narziss im ausgehenden 19. Jahrhundert

Und nicht zuletzt spielt Montesquiou eine zentrale Rolle in dem 2019 erschienen Roman „The Man in the Red Coat“ des englischen Schriftstellers Julian Barnes, 2021 in der deutschen Übersetzung „Der Mann im roten Rock“. Seine Darstellung des Grafen gleicht weitgehend einem biographischen Porträt. Barnes hält sich an die (gut recherchierten) Fakten.

Montesquiou wäre nicht Montesquiou, wenn er sich nicht am Ende seines Lebens mit seiner Autobiographie auch ein eigenes Denkmal gesetzt hätte. Natürlich handelt es sich in den drei, erst zwei Jahre nach seinem Tod erschienenen, Bänden „Les Pas effacés“ (1923) um ein unnachahmliches Bild seiner selbst. Der Graf hat gar nicht erst versucht, die eigene Eitelkeit in Schach zu halten. Ein letztes Mal will er sich ganz und gar zur Entfaltung bringen. Als Memoirenschreiber will er nun aber endlich auch sein wahres Selbst aufscheinen lassen. Allzu oft hat der mondäne Poet karikiert und verspottet. Er hat es nie darauf angelegt, gemocht zu werden. Geliebt – soweit er lieben konnte – hat der Graf Männer, vor allem den aus Argentinien nach Paris gekommenen Gabriel Yturri, mit dem er bis zu dessen frühem Tod 1905 liiert war.

In Paris waren vorrangig seine Empfänge hochgeschätzt, die er zwanzig Jahre lang als glanzvollste Attraktionen gestaltet und damit den Zeitgeschmack geprägt hat. Im Zentrum der Aufmerksamkeit der bewundernden, der lästernden, der neidischen Beobachter stand natürlich der Graf selbst. Robert Comte de Montesquiou-Fezensac war der Prototyp des aristokratischen Dandys, er ist der Narziss des ausgehenden 19. Jahrhunderts, eine exklusiv männliche Rolle. In Europa stehen ihm damals zahlreiche bedeutende Zeitgenossen zur Seite, keinem gelang es allerdings, ihm den Rang abzulaufen.

Das berühmteste englische Vorbild ist der Lyriker und Dramatiker Oscar Wilde. Auch der amerikanische Maler James McNeill Whistler lebte in seiner Pariser Zeit das Leben eines Bohémiens. Aufgrund seiner perfekten Beherrschung der französischen Sprache findet er rasch Eingang in die Szene. Das gilt auch für den italienischen Schriftsteller des Fin de Siècle Gabriele D'Annunzio, der wegen hoher Schulden nach Frankreich floh. Mit ihnen kann der Graf sogar globale Bedeutung für sich in Anspruch nehmen.

Robert de Montesquiou starb im Alter von 66 Jahren in Menton an Nierenversagen.

Marie Nevermann

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