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Kultur: Der heilige Ernst der Liebe

Wettbewerb (1): Ken Loachs „Ae Fond Kiss“ setzt ein spätes Glanzlicht

Hat der Mann, Stammgast auf den drei großen Filmfestivals Cannes, Venedig und Berlin, schon jemals was Goldenes gewonnen? Hat er nicht. Hat es aber schon länger verdient, endlich ganz oben zu stehen – einer, der ebenso bescheiden wie entschieden auf die großen Menschheitsthemen losgeht, sie auflöst in Konflikte auf unserer Augenhöhe, in immer kleinen, immer klaren Filmen.

Ken Loachs „Ae Fond Kiss“ (etwa: Ein inniger Kuss) ist ein Film, der das Zeug zum großen Lorbeer hat. Er erzählt von dem – besonders vom britischen Kino – kinematografisch zwar schon ausgeschrittenen Areal des Culture Clash in den großen Städten, aber der 67-Jährige tut dies mit umwerfender Frische und unaufdringlicher dramaturgischer und auch handwerklicher Perfektion. „Ae Fond Kiss“ ist ein Film über die Liebe, die Familie, über Gesellschaft, Religion und Ideologie – und erzählt uns doch alles Schwere, das er damit auch zu schultern hat, wie aus einem Guss, mit tiefem Ernst und wunderbar heiter zugleich.

Schon der Anfang: Energie pur. Und flammendes Bekenntnis für die Freiheit des Denkens und Lebens. Tahara, junge Pakistanerin an einer katholischen Schule in Glasgow und alles andere als ein Kopftuchmädchen, fordert ihre Klassenkameraden temperamentvoll auf, dem Islam nicht mit Denkschablonen zu begegnen – und wird dafür prompt beschimpft und bespuckt. Ihr Bruder Casim (Atta Yaqub) holt sie von der Schule ab und verfolgt mit der wütenden Tahara die Mitschüler bis in den Musikraum, wo die Lehrerin Roisin (Eva Birthistle) gerade mit einer Schülerin für einen Wettbewerb probt. Beleidigung, Wut und Konfrontation – in solchem Klima beginnt, zwischen Casim und Roisin, die Liebe. Und gegen solches Klima muss sie sich behaupten.

Casim und Roisin, der pakistanische DJ und die weiße Musiklehrerin: Sie sind Romeo und Julia unserer Tage, getrennt nicht allein durch Familien, sondern durch die community, durch Religion und Konvention. Hinzu kommt: Casim soll, so wünscht es seine Familie, in ein paar Wochen eine aus Pakistan herbeireisende Kusine heiraten. Und Roisin ist eine geschiedene Frau, die, so fürchtet es Casims Familie, vielleicht nur ein kurzfristiges Vergnügen sucht. Was die Sache weiter verschlimmert: Roisin arbeitet an einer katholischen Schule, und der Beförderung auf eine feste Stelle steht ihr nicht eben katholischer Lebenswandel entgegen.

Das alles liest sich, so verknappt, furchtbar schematisch – doch Ken Loach und seine allesamt formidablen Schauspieler verwandeln das Drehbuch von Paul Laverty mühelos in pralles Leben. Kein Wunder, die Konflikte, von denen „Ae Fond Kiss“ erzählt, spiegeln die Risse in den modernen multikulturellen Gesellschaften wider, die wir alle sehen. Und teils selbst erleben. Und wenn dann deren gesellschaftlich vielleicht stärksten Ströme – das Traditionsbeharren von Völkern in der Fremde und der Freiheitsdurst der Frauen – aufeinandertreffen, gibt’s Zunder.

Ken Loach spielt diesen Kontrast voll aus. Sein Casim ist ein Sanfter, der mit der eigenen Familie tief verbunden ist und dem plötzlich diese Liebe, die der Zuschauer vom ersten Augenblick an glaubt, wie ein glücklicher Unfall dazwischenkommt. Roisin wiederum ist eine junge, erfolgreiche, beliebte Lehrerin, freilich mit zeitweise erloschenem Privatleben – und das Glück mit Casim macht ihr plötzlich wieder Lust zu kämpfen. Der brennende Blick, mit dem sie Casim vor dem großen Anfangen betrachtet: Er spricht von dem heiligen Ernst der Liebe.

„Ae Fond Kiss“ geht, bei allem zwischenzeitlichen Witz, nicht den leichten Farcen-Weg, den manche anderweitig wunderbaren Pakistani-Komödien einschlagen – von Udayan Prasads „My Son the Fanatic“ bis zu Damien O’Donnells „East is East“. Eher knüpft Loach an den Geist der Drehbücher an, die Hanif Kureishi für Stephen Frears geschrieben hat. Keinerlei Schurken (mit Ausnahme vielleicht eines arg fundamentalistisch gezeichneten Priesters) bevölkern diesen Film, sondern die Figuren sind allesamt Menschen, die nur von gesellschaftlichen Seismen in ihre inneren Beben getrieben werden. Ken Loach tut nichts weiter, als die Risse leuchten zu lassen.

Am Ende des insgesamt lauen Wettbewerbs sind es die Liebesgeschichten, die nachhallen – von Richard Linklaters verspieltem „Before Sunset“ über Fatih Akins im Wortsinn gefühlsseligem „Gegen die Wand“ bis zur monströsen Liebe in „Monster“ (auch da sehen wir, in den Augen Charlize Therons, einmal jenen heiligen Ernst der Liebe). „Ae Fond Kiss“ aber ist, weil die alltäglichste, die stärkste Geschichte von allen.

Heute 15 Uhr und 23.30 Uhr (Royal Palast), 20 Uhr (International), morgen 15 Uhr (Royal Palast)

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