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Kultur: Der Historiker Peter Haber mit einem neuen Band der "Städtebilder"-Reihe

Seit 1992 gibt es den vom Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld gegründeten Jüdischen Verlag, und seitdem erscheint mindestens ein Mal im Jahr ein Band der Reihe "Jüdisches Städtebild". Diese Orte waren bislang meist Städte in Deutschland und Osteuropa (Ausnahme: Amsterdam) mit einstmals größeren jüdischen Gemeinden.

Seit 1992 gibt es den vom Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld gegründeten Jüdischen Verlag, und seitdem erscheint mindestens ein Mal im Jahr ein Band der Reihe "Jüdisches Städtebild". Diese Orte waren bislang meist Städte in Deutschland und Osteuropa (Ausnahme: Amsterdam) mit einstmals größeren jüdischen Gemeinden. Prag, Krakau, Wien und Hamburg dürfen da nicht fehlen, aber auch Czernowitz, Wien und Berlin werden mit historischen und literarischen Texten porträtiert. Der zuletzt erschienene Band über Budapest, herausgegeben von dem Historiker Peter Haber, dessen Großeltern Opfer der Shoah in Ungarn waren, ist ein gelungenes Beispiel für die Reihe. In einer ausführlichen, aber auch nicht zu akribischen Einleitung skizziert Peter Haber die jüdische Geschichte der Stadt Budapest. Nun ist die jüdische Geschichte, besonders im zwanzigsten, aber auch in den vorhergehenden Jahrhunderten, hauptsächlich eine Leidensgeschichte im Schatten von Antisemitismus, Judenverfolgung und Vernichtung gewesen. Dieses Leiden spiegelt sich in vielen der ausgewählten Texte wider, deren Schwerpunkt auf der Katastrophen- und Todeserfahrung jüdischer Menschen unter den Verfolgungen der Nationalsozialisten und anderer antisemitischer Bewegungen liegt. Doch zeigen die Prosastücke und autobiografischen Skizzen, die sinnvollerweise chronologisch geordnet sind, auch Innenansichten der jüdischen Kultur in ihrer ganzen Vielfalt und ihrem ganzen Reichtum.

Viele Autoren berichten schlichtweg vom gewöhnlichen Alltag in der Familie, in der Gemeinschaft, im Ghetto und unter der jeweiligen Bevölkerung der Gojim, ein Alltag, der rasch zum gefährlichen Ausnahmezustand in Permanenz werden konnte und wurde. Zudem kann man in diesen jüdischen Städteporträts - besonders in den Bänden über Budapest, Krakau oder Czernowitz - Autoren entdecken, die sonst wenig oder noch gar nicht ins Deutsche übersetzt worden sind. Wer kennt zum Beispiel Aharon Appelfeld aus Czernowitz, der heute allerdings in Israel ein bekannter Autor ist? Oder István Gábor Benedek, der die verzweifelte Lage der Juden in Ungarn nach der niedergeschlagenen Revolution von 1956 in einer Erzählung beschreibt.

Warum allerdings kein Text von Imré Kertesz, den jetzt so erfolgreichen, lange Zeit aber in Ungarn schmählich missachteten Schriftsteller aufgenommen wurde, ist nicht ganz verständlich (Abdruckrechte?). Doch dies fügt der Mischung nur einen Wermutstropfen bei. Alle Autoren werden knapp vorgestellt. Die Bände über Wien, Prag oder Berlin können natürlich mit vielen namhaften Schriftstellernamen glänzen, Prag selbstverständlich mit Franz Werfel, Franz Kafka, Leo Perutz, Gustav Meyrink oder Egon Erwin Kisch. Und doch ist die Textauswahl so gemischt, dass man nicht nur Altbekanntes liest.

Martha Keil, die Herausgeberin des Bandes über Wien, hat einige Texte von Friedrich Torberg, Peter Altenberg oder George Tabori untergemischt, die zuweilen satirische bis groteske Züge an sich haben und eine vergnügliche Lektüre garantieren. Mit Andrei Corbea-Hoisie begibt man sich nach Czernowitz und damit wieder in eine fast vollständig unbekannte Stadt. Mit Texten von namhaften Autoren wie Gregor von Rezzori, Martin Buber oder Edgar Hilsenrath und Gedichten von Rose Ausländer und Paul Celan findet man auch hier auf unbekanntem Terrain zu ganz neuen, nie wahrgenommenen oder vergessenen Schriften jüdischer Autoren. Die jeweils von verschiedenen Fotografen eingestreuten Bilder von der übriggebliebenen oder langsam wieder mühsam restaurierten Kultur der Juden in Europa tun ein Übriges, die Fragmente des Judentums in Europa zu dokumentieren und zu bewahren. Eine gelungene Buchreihe.Peter Haber (Herausgeber): Jüdisches Städtebild Budapest, mit Fotografien von Alexander Bittmann; Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 282 Seiten, 48 Mark (in der Reihe sind von unterschiedlichen Herausgebern die Jüdischen Städtebilder Wien, Prag, Amsterdam, Berlin, Czernowitz, Frankfurt am Main und Hamburg erschienen, je nach Umfang 48 bis 56 Mark)

S. Eggert

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