zum Hauptinhalt

Kultur: Der kauzige Tausendsassa stellt sein drittes Werk, "Blindband", vor

Niemand könnte behaupten, daß Gilbert Adair auf der Suche nach dem mot juste auf der Stelle tritt. Der 1944 geborene englische Schriftsteller wirbelt seit zwanzig Jahren derwischgleich durch das kulturelle Milieu, und sein Curriculum vitae ist ein Vermächtnis seiner kapriziösen Energien.

Niemand könnte behaupten, daß Gilbert Adair auf der Suche nach dem mot juste auf der Stelle tritt. Der 1944 geborene englische Schriftsteller wirbelt seit zwanzig Jahren derwischgleich durch das kulturelle Milieu, und sein Curriculum vitae ist ein Vermächtnis seiner kapriziösen Energien. Der Romancier, Essayist, Filmpublizist, Kolumnist, Übersetzer, regelmäßige TV- und Radiogast und bekennende cherubinische Dandy (Trademarks: silbernes Zigarettenetui, Nadelstreifenanzug, martinitrockener Witz, David-Hockney-Brille) pflegt sein kauziges Image, das ihn für viele suspekt macht.

Adair ist bis dato bei uns nur einer kleinen Gemeinde literarischer Gourmets bekannt, für die seine genialen kleinen Romane wahrhaft spirituelle Ereignisse sind, Erdbeeren im Januar sozusagen. All dies wird sich sicher ändern, wenn sein neuestes Buch "Blindband" (nach "Der Tod des Autors" und "Liebestod auf Long Island" in Deutschland das dritte übersetzte Werk, alle erschienen bei edition epoca) im Dezember im Literarischen Quartett besprochen wird. Dieser Dialogroman behandelt das fragile Machtgewicht zwischen zwei Männern: Sir Paul, ein berühmter, ziemlich monströser Autor, der bei einem Unfall sein Augenlicht verlor, will einen neuen Roman diktieren. Auf seine Anzeige in der Londoner "Times" meldet sich der Finanzjongleur John Ryder, der eine neue berufliche Herausforderung sucht und sie in diesem abgeschiedenen Landhaus auch mehr als reichlich findet.

Merkürdige, scheinbar banale Ereignisse führen schleichend zu Klaustrophobie, Paranoia, Seelenstriptease und subtilem Sadismus. Unbedeutendes nimmt bedrohliche Ausuferungen an, und das Ungesagte ist so wichtig wie das Ungesehene. Adair arbeitet hier auf einer unglaublich kleinen Leinwand, als hätte er sich selbst eine perverse literische Herausforderung gesetzt.

Das Kammerspiel "Blindband", diese lesbare Finsternis, dreht sich naturgemäß spiralenartig um die Natur des Blindseins. Dass Adair es so beeindruckend und beklemmend nachvollziehbar beschreibt wie Nabokov in "Gelächter im Dunkel", hat teilweise einen sehr persönlichen Hintergrund. Sein Vater erblindete vollkommen, als Gilbert Adair acht Jahre alt war. Dieses für ihn und die Familie katastrophale und traumatische Ereignis steht sicherlich in einer Beziehung zu "Blindband", aber der Roman ist kein Akt der Rache, wie Adair betont. Er findet einfach, dass das Thema der Rache einen unwiderstehlichen Plot garantiert. Die umfassende, bodenlose Hilflosigkeit, die Adair als Kind empfand, hat er längst überwunden: "Ich bin kein rachsüchtiger oder nachtragender Mensch." Und außerdem, meint er: "Ich habe diese Theorie, daß es bestimmte Leute gibt, die ziemlich traurige Leben führen, aber mit der Zeit werden ihre Leben immer weniger traurig, weil sie immer mehr so wie die Leben von allen anderen Menschen werden."Gilbert Adair liest heute Abend um 19 Uhr 30 im Literaturhaus Fasanenstraße.

Egbert Hörmann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false