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Fritz Mierau

© Edition Nautilus

Zum Tod von Fritz Mierau: Der kompetente Sonderling

Er war ein Einzelgänger, der seinem Publikum in der DDR und später im vereinigten Deutschland die russische Literatur näherbrachte. Jetzt ist Fritz Mierau mit 83 Jahren gestorben.

Was Peter Urban für die Vermittlung russischer Literatur im Westen war, das war Fritz Mierau für den deutschen Osten. Am 15. Mai 1934 in Breslau geboren und im sächsischen Döbeln aufgewachsen, widerfuhr ihm 1945 eine Art Ur-Erlebnis, als er in seiner Kleinstadt bei den Besatzern der Roten Armee Kohlen klaute. Während des Slawistik-Studiums in Ost-Berlin entdeckte er die von den Sowjets gerne übersehene oder unterdrückte Moderne, zu der Autoren wie Wladimir Majakowski, Anna Achmatowa, Isaak Babel, Marina Zwetajewa, Aleksandr Blok oder Ossip Mandelstam gehörten.

Verdienter Exzentriker

Er machte Karriere als „parteiloser Bolschewik“, wie er sich in seiner Autobiografie „Mein russisches Jahrhundert“ (Edition Nautilus) nennt. Seine individualistische Lebensauffassung und sein Desinteresse am offiziellen Kanon der Sowjetliteratur machten dem „kompetenten Sonderling“ an der Akademie der Wissenschaften das Leben schließlich ebenso schwer wie seine Stellungnahme zur Ausweisung Wolf Biermanns. Er, der „verdiente Exzentriker der DDR“, wurde in seiner Arbeit so behindert, dass er sich von 1980 an als Freiberufler durchschlagen musste. Mieraus Autobiografie ist ein einzigartiges Panorama russisch-deutscher Beziehungen – und eine prägnante Schilderung der DDR-Literaturpolitik. Vielleicht lag Mieraus größte Stärke ganz allgemein im Biografischen. „Das Verschwinden von Franz Jung“, das Buch, in dem er den Spuren des expressionistischen Revolutionärs nachging, aber auch dasjenige über Sergej Jessenin, spürten in der Vergangenheit das Potential für die Gegenwart auf. Gemeinsam mit seiner Frau Sieglinde Mierau war er Mitherausgeber der Jung-Werkausgabe, die 1997, nach 16 Jahren und 14 Bänden, fertiggestellt wurde.

Aufschluss über Mieraus eigenes Wesen gibt vor allem der „Almanach für Einzelgänger“. Für seine speziellen Interessen steht aber auch die Edition der Briefe des Priesters und Religionsphilosphen Pawel Florenski „Eis und Algen – Briefe aus dem Lager“ (2001). Für seine Verdienste wurde Mierau 1988 mit dem Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste der DDR, 1991 mit dem Literaturpreis zur deutsch-sowjetischen Verständigung, 1992 mit der Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung Weimar, 1996 mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung und 1999 mit dem Karl-Otten-Preis des Deutschen Literaturarchivs Marbach ausgezeichnet. Am vergangenen Sonntag ist er im Alter von 83 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben. Tsp

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