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Kultur: Der Künstler und das Knotenmännchen

Ob man New York wirklich lieben kann? Die Künstlerin Cheryl Donegan hat da offenbar ihre Zweifel.

Ob man New York wirklich lieben kann? Die Künstlerin Cheryl Donegan hat da offenbar ihre Zweifel.In einem Videofilm sieht man sie, in einen Müllsack gehüllt, die Arme gefesselt, wie sie mit einem Pinsel zwischen den Zähnen eine zweite Person verfolgt, nach ihr schnappt, sie mit schwarzer Farbe zu bemalen versucht.Diese zweite Person, auch sie wird im Film von Donegan gespielt, hat Unterwäsche an und nichts weiter, außerdem über den Kopf eine Tüte gestülpt, auf der steht: "I love New York".Und so heißt denn auch die Ausstellung, in der Donegans Elaborat, Titel: Artists and Models, derzeit zu sehen ist, "I love New York".

28 Künstlerinnen und Künstler aus New York werden im Kölner Museum Ludwig mit ihren Werken präsentiert.Angekündigt ist das Ganze als "Crossover der aktuellen Kunst", was hier zunächst nur bedeutet, daß es ziemlich kreuz und quer durch die gängigen künstlerischen Medien geht.Malerei, Videoinstallationen, Performance, Fotografie, Kunst als Soziologie: Für jeden Geschmack sei etwas dabei, meint Jochen Poetter, seit einem Jahr Direktor des Museum Ludwig, der sich mit seiner Ausstellungsidee in einem vom Sponsor der Schau, dem Zigarettenhersteller Philip Morris, initiierten Wettstreit der Kuratoren gegen zehn Konkurrenten hat durchsetzen können.New York, das zieht, immer noch und gerade in Köln, wo man sich traditionell einiges auf seine transatlantischen Beziehungen zugute hält.Zumal Poetter die aus Künstlern bestehende Jury mit dem Argument überzeugte, bis dato weitgehend unbekannte Namen in die große Waagschale zu werfen.

Das Ergebnis ist ernüchternd, nicht nur, weil ein Blick auf die Teilnehmerliste zeigt, daß die meisten "Unbekannten" so unbekannt doch nicht sind.Zu Beginn des Rundgangs stößt der Besucher auf eine Bastelecke, die der 40jährige Charles Long eingerichtet hat.Rollentausch ist angesagt: Der Künstler fungiert hier nur als Stichwortgeber, das Gestalterische steuern die Ausstellungsgänger selbst bei.Große Klöße rosafarbener Knetmasse warten darauf, nach Willen, Vorstellung und nicht zuletzt Fähigkeit des einzelnen geformt zu werden.Das Angebot wird erstaunlicherweise dankend angenommen.Heraus kommen die immergleichen armseligen Knotenmännchen, und man fragt sich, wie es eigentlich zu diesem Mißverständnis kommen konnte.Daß jeder Mensch aus dem Stand und ohne Vorbereitung sofort ein Künstler sei, nein, das hat Beuys nie gesagt.

Niedriger gehängt und damit wesentlich adäquater erscheint dagegen die Art "Mitmachkunst", die auf eine Idee des 1996 an den Folgen von Aids gestorbenen Felix Gonzales-Torres zurückgeht.In der Mitte des ersten Raumes türmen sich Unmengen Karamelbonbons zu einem ansehnlichen Haufen.Eines wegzunehmen kostet Überwindung und stellt die Regeln des Museums viel spielerischer in Frage als Longs verkrampfte Einladung zur Gruppentherapie.

Noch ärger ist die Lage dort, wo die Künstler das Leitmotiv der Ausstellung allzu wörtlich verstanden haben.Der Mythos New York als selbstreferentielles System ist Thema einer ganzen Reihe von Arbeiten, die auch dadurch nicht besser werden, daß sie massiert auftreten.Die Grenze zur Peinlichkeit leichtfüßig überschreitet beispielsweise Tony Oursler, immerhin ein Künstler mit documenta-Ehren: Oursler fotografierte am Straßenrand herumliegenden Wohlstandsmüll und ließ nicht locker, ehe er nicht eine Serie beisammen hatte.Eine Plattheit ersten Ranges, zu der man sich noch den erhobenen Zeigefinger denken muß.So gedankenlos ist sie, die Welt - tja, wird schon irgendwie stimmen.

Da sich natürlich auch in Köln längst herumgesprochen hat, daß zeitgenössische Kunst eine Menge mit Pop-Kultur zu tun hat, hört man im Museum Ludwig darüber hinaus Musik, Musik, Musik, entweder über Kopfhörer oder laut, so laut, daß der Klangteppich kakophonische Dimensionen erreicht.Die Leidtragenden sind jene Künstler, die Videoinstallationen ausstellen.Soundtracks überlagern sich, Töne und Bilder wollen nicht mehr recht zusammenpassen.Doch vielleicht ist das gar nicht mal so schlimm.Doug Aitken und Mariko Mori, deren Arbeiten den meisten Raum beanspruchen, erweisen sich jedenfalls eindeutig als Epigonen.Wenigstens haben die beiden ihre Vorbilder mit Geschmack gewählt.Aitken kupferte beim Großmeister der Videokunst ab, bei Bill Viola, Mariko Moris Film "Kumano" erinnert an eine fernöstliche Variante von Matthew Barneys Kitsch-Splattern.

Andererseits findet man in Poetters leicht angestaubtem Bauchladen schon auch die ein oder andere Perle.So etwa Jessica Stockholder, die zwar mit 39 Jahren auch keine Unbekannte mehr ist, aber doch immer wieder in verblüffender Weise den Beweis antritt, daß die Problemstellungen der konventionellen Plastik - die Ausdehnung von Material im Raum und das wechselseitige Verhältnis dieser zwei Komponenten - noch lang nicht ausgereizt ist.Stockholders ausgreifende Arrangements aus Einkaufswagen, Wollknäueln, Ventilatoren, aus farbig bemalten Pappkartons und Plastikkästen gehören zweifellos zu den gelungensten Werken im Museum Ludwig.Insgesamt jedoch hinterläßt die Ausstellung einen zwiespältigen Eindruck.Sollte dies tatsächlich ein Querschnitt durch die aktuelle New Yorker Szene sein, dann schaut die Zukunft nicht gut aus für die einstige Welthauptstadt der Kunst.Das allerdings ist schwer zu glauben.

Illustration: Mariko Mori, Pratibimba I, 1998.- Museum Ludwig Köln, Di-So 10-18 Uhr, bis 31.Januar 1999.Katalog (264 Seiten, zahlreiche Abbildungen) 38 Mark, im Buchhandel 99,90 Mark.

ULRICH CLEWING

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