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Kultur: Der Kulturbürger als Berlinpatriot  Zum 70. Geburtstag des Kunsthändlers und Villa-Grisebach-Gründers Bernd Schultz

Das Thema gehört seit langem zum Graubrot der öffentlichen Diskussionen: Ältere Kulturkritiker debattieren über den langen Abschied vom Bürgertum. In Sammelbänden erörtern Soziologen und Historiker seinen Verfall oder finden – im neueren Wissenschaftsjargon – „bürgerliche Teilsegmente“ in unserer Gesellschaft.

Das Thema gehört seit langem zum Graubrot der öffentlichen Diskussionen: Ältere Kulturkritiker debattieren über den langen Abschied vom Bürgertum. In Sammelbänden erörtern Soziologen und Historiker seinen Verfall oder finden – im neueren Wissenschaftsjargon – „bürgerliche Teilsegmente“ in unserer Gesellschaft. Und auch der Small Talk abendlicher Unterhaltungen kreist gerne um die Frage: Gibt es den Bürger noch? Gibt es ihn wieder? Lassen wir uns nicht irritieren. Es gibt ihn, mit Namen und Adresse, hier in Berlin. Er heißt Bernd Schultz.

Dabei ist er – unauffällig elegant, gewitzter Blick, mittlerweile grau meliert – eigentlich Kunsthändler. Als solcher steht er für den erstaunlichen Aufstieg des Auktionshauses Villa Grisebach, vom Punkt Null einer waghalsigen Gründung im Mauer- und Insel-Berlin aus in die europäische Liga der großen deutschen und europäischen Häuser. Es ist eine der raren Erfolgsgeschichten der Stadt, vor ihrer Wiedervereinigung und erst recht danach. Hier ist die Stadt, was sie sonst oft nur sein möchte: Weltstadt.

Aber die Villa-Grisebach-Story ist mehr als ein gelungenes Kunsthandelsbravourstück. Und auch das charakterisiert Bernd Schultz. Diese Geschichte ist ein Stück der jüngsten Stadtgeschichte. Ihr Anfang, die Gründung der Kunsthandelsmesse „Orangerie“ 1982, nahm den neuen Geist auf, der mit der Ära Weizsäcker in das gebeutelte Berlin einzog. Das Haus selbst, das der Firma den Namen gibt, eben die historistische Villa in der Fasanenstraße, steht sinnbildlich dafür. Denn wo sie heute aufragt, giebel- und türmchenbewehrt, drohte in den siebziger Jahren die Zerstörung eines ganzen Architekturensembles durch eine zukunftsbesessene Stadtplanung. Das Auktionshaus ist auch ein Zeugnis der Wende zum Städtischen, die nach 1989 zu einem herausragenden Thema der Diskussion über Berlin geworden ist.

Es ist kein Zufall, dass Schultz dieses Signal des Zeitgeistes aufnahm. Er ist, gewiss, ein überzeugter Kunsthändler, stets auf Tuchfühlung mit Kunden und Bildern, präsent auch in New York, Zürich und London, hochengagiert und enthusiastisch, ausgestattet mit dem branchentypischen Jagdeifer.Doch zugleich ist er ein nicht weniger leidenschaftlicher Stadtbürger. Zumal der Stadt Berlin: Seitdem er Anfang der sechziger Jahre in die geteilte Metropole kam, treibt ihn das Schicksal der Stadt um. Und treibt er die Stadt an, deren Stärken er fast rhapsodisch rühmen kann und deren Schwächen er ebenso entschieden geißelt.

Mit einer Beharrlichkeit, die angesichts der realen Lage wundernehmen kann, stellt Schultz die Stadt unter den Anspruch ihrer großen Jahrzehnte vor 1933. Sie bilden Maßstab seines Lebens mit der Stadt. Der Gedanke, dass sie an ihre verlorenen Vergangenheiten wieder anknüpfen könne, dass sie – so gut es geht – vor der Erinnerung an ihre großen Epochen bestehen müsse, bildet den roten Faden der Affaire, die er seit fast einem halben Jahrhundert mit ihr unterhält. Und da Schultz ein Mann von großer, manchmal fast beängstigender Energie ist, ist dieser Berlin-Patriotismus zum Antrieb eines beeindruckenden Willens zum Wirken und Gestalten geworden. Motto ein Cervantes-Wort, das er gern zitiert: „Ein Mensch ist nicht mehr als ein anderer, wenn er nicht mehr tut als ein anderer“.

So wird eine unbefriedigende Gedächtnisveranstaltung für James Simon dank seiner Fantasie und Hartnäckigkeit zum Ausgangspunkt der Wiederentdeckung des fast vergessenen großen Mäzens, Schenker der Nofretete, Förderer der Berliner Museen, Begründer der ersten Volksbadeanstalt. Inzwischen gibt es einen hoch dotierten James-Simon-Preis für soziales, kulturelles und mäzenatisches Engagement, eine Gedenktafel an der baden-württembergischen Landesvertretung – wo Simons Villa stand –, einen nach ihm benannten Park, und die geplante Eingangshalle zur Museumsinsel wird „James-Simon-Galerie“ heißen.

In gewissem Sinne ist Simon, Prototyp des bürgerschaftlichen Engagements, ohne das Berlin nicht gewesen wäre, was es einmal war, für Schultz zum Leitbild seines eigenen Tätigwerdens geworden. Wie bei Simon erstreckt es sich nicht nur auf Kultur, sondern auch auf das Soziale. Und auf die Politik: Als 1991 die Hauptstadtfrage auf der Kippe stand, ging von der Villa Grisebach die „Initiative Regierungssitz Berlin“ aus, die zwei Millionen für eine Anzeigenkampagne sammelte, die bundesweit für Berlin warb – eine von dreien, während acht für das Verbleiben der Regierung in Bonn eintraten.

Aber Schultz’ Bürgersinn drückt sich auch in der Unterstützung kleiner Initiativen und Impulse aus. Droht das Übersehenwerden des 250. Geburtstags von Carl Friedrich Zelter, dem Begründer der Sing-Akademie und des bürgerlichen Chorwesens überhaupt: Villa Grisebach sorgt für Gedenkkonzert und fundierte Buchveröffentlichung. Kommt eine Debatte über die Wiederbelebung der Berliner Altstadt in Gang: Schon bringt Schultz ein Buch auf den Weg, das sie dokumentiert und vorantreibt. Wie überhaupt in vielen Aktivitäten in Berlin, vom Schloss über die Bürgerstiftung bis hin zum Neuköllner „Heimathafen“, Schultz drin ist. Auch wenn es nicht draufsteht.

Denn diskret ist Schultz in seinem Wirkungswillen eben auch. Weshalb nicht leicht auszumachen ist, dass er mit seinen Aktivitäten hoch zielt – nämlich auf das Gedächtnis der Stadt, auf ihre (Wieder-)Einbettung in Kultur und Geschichte. Wie er auch ein sehr eigener Charakter ist. Mit vielen Facetten: ein hoher, fordernder Anspruch und eine große Begabung, Menschen für sich einzunehmen. Eine faszinierende Begeisterungsfähigkeit und eine Disziplin, die man preußisch nennen könnte. Die Lust an der öffentlichen Rolle, freilich lieber hinter als vor den Kulissen. Eine Persönlichkeit, die für sich steht, selbstbewusst, doch mit einem ausgeprägten Sinn für den Rang beispielhafter Existenzen.

Seine Welt ist eine Welt der weit ausgeworfenen Bezüge. Sähe man es nicht an den Netzwerken, in denen er sich bewegt, so zeigte es schon die ungewöhnliche Fähigkeit, als junger Mann die Nähe zu bedeutenden Persönlichkeiten zu finden. Der Kunsthändler Pels-Leusden gehörte dazu, eine legendäre Gestalt, in dessen Schule Schultz ging, Edwin Redslob, der Reichskunstwart der Weimarer Republik, Tagesspiegel- und FU-Mitgründer, Leopold Reidemeister, der Direktor des Brücke-Museums, Otto von Simson, der große Kunsthistoriker aus der berühmten preußisch-jüdischen Familie, nicht zuletzt auch Ulrich Biel, als zurückgekehrter Emigrant in den frühen Nachkriegsjahren eine graue Eminenz. Sie alle waren Leitfiguren West-Berlins und wurden zu Mentoren des Bremer Kaufmannssohns, der aus Banklehre und Studium blutjung in den Kunsthandel wechselte.

Muss man sich nach alledem wundern, dass ihm irgendwann der ironische Ehrentitel des „Regierenden Bürgers“ zugeflogen ist? Wenn er Kritik für notwendig hält, ist in der Tat vor seiner Suada nichts sicher, die Politik in dieser Stadt so wenig wie Stadtbild und Architektur. Aber in Wahrheit ist er ein Mann, der – so hat ihn sein Freund Peter Raue auf den Begriff gebracht – unermüdlich „die res publica zu seiner Sache macht“. Und der sich ein Wort von Joseph Conrad zur Devise gewählt hat: „Man muss sich entscheiden: Brennen oder Faulen“. Bernd Schultz, versteht sich, hat sich entschieden. Am heutigen Montag wird er 70 Jahre alt.

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