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Kultur: Der Mann, der Saddam erschoss

Antiamerikanismus als US-Kulturgut: Superpräsident George Bush und Superheld John Wayne – zwei moderne Mythen

Das Verhältnis der Deutschen zu Amerika ist geprägt und gestört durch Amerika selbst, durch die beinahe schizophren zu nennende Zweischneidigkeit jenes populärkulturellen Wertesystems, mit dem die USA den Rest der Welt seit dem Ende des II. Weltkrieges kontinuierlich grundversorgen.

Zum einen versucht uns Amerika mittels Hollywood zu suggerieren, dass Kriegführen nichts Verwerfliches sei, denn es gebe den guten und gerechten Krieg. Krieg gegen Nazis. Krieg gegen Aliens. Krieg entlang einer immer wieder neu definierbaren frontier, auf deren anderer Seite stets nichtchristliche Andershäutige stehen. Vor 17 Jahren wurde der vorgebliche Antikriegsfilm „Platoon“ Vorreiter einer neuen Ära von mitreißendem und actionlastigem Kriegs-Entertainment, das auch drei Rambo-Filme hervorbrachte, von denen der dritte mittlerweile totgeschwiegen wird, weil in ihm der amerikanische Soldat John Rambo die tapferen afghanischen Freiheitskämpfer des Osama bin Laden gegen die bösen Russen unterstützt.

Mittlerweile kulminiert das amerikanische Kriegskunstgewitter im Fernsehmehrteiler „Band of Brothers“ („Wir waren wie Brüder“), in dem der Fallschirmabsprung über einer D-Day-Gefechtszone zum visuellen Spectaculum verklärt wird und alle Farben jene metallische Ausgeblichenheit besitzen, die die Zuschauer mit WW2-Authentizität gleichzusetzen gelernt haben. Das von Steven Spielberg und Tom Hanks produzierte „Band of Brothers“ ist wie auch „Der Soldat James Ryan“ das amerikanische Pendant zum deutschen Landser-Roman, in dem zwar ebenfalls das Entsetzliche des Krieges nicht ausgepart wird, jeder kritische Ansatz aber vom Heroismus der Kanonenfuttersoldaten hinweggespült wird. „Band of Brothers“ soll wie „Top Gun“ in den Achtzigern bewirken, dass junge Amerikaner sich wieder freiwillig melden, und es wird funktionieren.

Präsident Bushs mantraartig wiederholte Versicherung „We will prevail“ garantiert allen Freiwilligen das versöhnliche Happy-End. Das Gute besiegt nämlich immer das Böse. Überall ist Armageddon. Die heiliggehaltene Schrift wird von der Filmindustrie spezialeffektgesättigt simultanübersetzt, und findet als Freizeitvergnügen ihren Weg ins unausgefüllte Unterbewusstsein.

Wirf dich dem Strom entgegen!

Auf der anderen Seite jedoch sind die Amerikaner Weltmeister der Selbstzerfleischung. Das, was in der aktuellen Irak-Kriegs-Diskussion fälschlich als Anti-Amerikanismus bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit auch Amerikanismus – weil amerikanischen Ursprungs. Die als naiv und weltfern verschrieenen Kriegsgegner haben in Wirklichkeit jene zweite große Botschaft der amerikanischen Kultursendung verinnerlicht, welche da lautete: Wirf dich dem großen Strom entgegen, dann bist du ein Held! Wie Erin Brokovich, Woodward und Bernstein, Martin Luther King oder wie Tom Cruise – obschon Scientologe – in jedem zweiten seiner Filme.

Die amerikanische Populärkultur lehrt uns, dass Amerika nicht zu trauen ist. Besonders in Deutschland, wo früher eher die Mentalität vorherrschte, kollektiv „Jawoll!“ zu schreien, wenn nur irgendjemand laut genug brüllte, fiel diese Lehre auf fruchtbaren Boden. Das kritische New Hollywood der Nixon-Ära prangerte Vietnam an und Watergate, den Rassismus, die organisierte Kriminalität. „Die Simpsons“ und „South Park“ machen sich, schon angefangen im Kinderzimmer, über den American way of life lustig. Hip Hop zeigt Schattenseiten auf und gleichzeitig den Fluch der Kommerzialisierung. Michael Moore betreibt die hohe, sehr pointierte Schule der freien Meinungsäußerung. Selbst das gegenwartsflüchtige „Star Trek“-Universum ist durchweht vom Geist einer gleichberechtigt multikulturellen UNO. Alteuropäische Schiffskapitäne verfechten dort eine Hauptdirektive, deren Tenor die Nichteinmischung ist, das genaue Gegenteil der realen US-Außenpolitik. Da „Star Trek“ gemeinhin als der einzige positive Zukunftsentwurf gilt, der den Menschen in den letzten Jahrzehnten überhaupt gelungen ist, gründet sich diese Utopie also auf der Überwindung des Supermachtgebarens.

Cowboyhut auf dem Januskopf

Mehr noch: Es gibt Ungeklärtheiten und Ungereimtheiten, die sich Amerika selbst andauernd vorhält. Das deformierende Krankheitssyndrom, das die Soldaten des ersten Golfkriegs importierten und weitervererbten. Die eigene Munition als gefährlichster Feind. Saddam wurde nicht entmachtet. Bin Laden nicht gefasst. Eine Raumfähre stürzt vom Himmel wie ein aufglühendes Fanal technologischer Unzulänglichkeit. Möglicherweise ist der saubere, satellitenübertragene Hi-Tech-Drohnenkrieg doch nur ein Produkt der Traumfabrik.

Beim Versuch, dieses sternengesprenkelte Hell und Dunkel, dieses Pendeln zwischen Eroberung und Verteidigung, Flucht und Verfolgungsjagd zu begreifen, stößt man immer wieder auf Amerikas Pionierzeit, jenes blutigrohe Abringen von Lebensraum, dem Wilden Westen mit seinen kalifornischen Verheißungen. Womöglich vermochte einzig die schattenspendende Breitkrempigkeit eines Cowboyhutes dem amerikanischen Januskopf einen Anschein von Gelassenheit zu geben. Vielleicht ist der Schlüssel zum Verständnis all dessen, was zur Zeit vor sich geht, ein nicht mehr unter uns weilender Heldendarsteller namens John Wayne.

Lange Nachkriegsjahrzehnte hindurch war John Wayne der beliebteste ausländische Filmschauspieler der Deutschen. Weil er etwas verkörperte, eine unaufgeregte Überlegenheit, hart, aber gerecht, die zu gleichen Teilen väterlich und abenteuerlich war, niemals aber gleichgeschaltet oder unauffällig. Ein konservativ hedonistischer Patriot, wie ihn nur Amerika hervorbringen konnte.

Verblüffend ist allerdings, dass sich im Oeuvre dieses mimisch eher begrenzten Schauspielers mehr filmgeschichtliche Meisterwerke finden als bei den meisten hochgeschätzten Filigrandarstellern. Weil Wayne eben doch nicht immer einfach nur den Helden mimte, sondern weil er sich nicht scheute, in „Red River“ einer Vaterfigur auch beängstigende Züge zu verleihen. Weil er in „Der Marshal“ einen einäugigen Trinker gab. In „El Dorado“ einen alternden Gauner, der vom Pferd fällt, weil ihm ein alter Steckschuss seit Jahren Rückenschmerzen verursacht. Weil er in „The Shootist“, seinem letzten Film, seine tatsächliche Krebserkrankung, seine Legende und seine Position als Relikt in einer zunehmend technizistischer werdenden Filmlandschaft zur Disposition stellte. Darüber hinaus verlieh er zwei der intelligentesten Filme, die je über Amerikas psychotische Monumente gedreht wurden, Profil. „The Searchers“, auf deutsch „Der schwarze Falke“, in dem er als Besessener seine eigene innere Grenze vor sich herträgt wie ein zerfranstes trauriges Rachebanner, um am Ende mit der eigenen Sinnlosigkeit konfrontiert zu werden. Und „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“, wo nichts mehr so ist, wie es scheint, weil die Amerikaner ihre Mythen höher schätzen als die Wahrheit.

Bemerkenswert ist auch, wie der Westen in John Waynes Filmen mit dem Hauptdarsteller mitalterte. Es begann mit naiven Cowboy-und-Indianer-Spielchen und führte dann über den Edelwestern bis hin zum aufgeklärten Spätwestern. Amerika erlaubte sich ein zweites chronologisches Durchleben seiner eigenen Historie, gespiegelt und gebrochen durch den Lebenslauf eines ikonischen Schauspielers, dabei nachdenklich werdend und lernend. Nur in einem Land, wo Schauspieler Präsidenten werden können, ist so etwas überhaupt denkbar. Nur in einem solchen Land kann ein Präsident einem Schauspieler nacheifern.

Immer, wenn in der aktuellen Diskussion betont wird, dass Amerika die letzte verbliebene Supermacht auf Erden ist, wird einem in Erinnerung gerufen, wie vergänglich Imperien sind, welch fragile, künstliche Gebilde. Fragil und künstlich wie die Legende von Präsident Bush als dem Mann, der Osama bin Laden und Saddam Hussein erschoss.

Der Autor, Jahrgang 1967, lebt in Berlin. 1997 erschien sein erster Roman „Starfish Rules“ (Rowohlt), der sich mit amerikanischen Mythen auseinandersetzt. Seit einigen Jahren arbeitet Meißner an einem auf 50 Jahre angelegten Roman-Zyklus, dessen erster Band „Hiobs Spiel“ bei Eichborn Berlin erschienen ist.

Tobias O. Meissner

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